Das wild, aber erfolgreich ausgerufene „Lutherjahr“ ist in Wirklichkeit ein Reformationsjubiläum. Vor fünfhundert Jahren veröffentlichte Professor Martin Luder an der Reformuniversität zu Wittenberg fünfundneunzig Thesen zum Ablasswesen, schön auf Latein, für seine Kommilitonen und sonst niemanden.
Daraus wurde ein gesamteuropäisches Ereignis, Buchdruck mit beweglichen Lettern sei Dank. Guten- und Wittenberg sind da eins. Das Internet der damaligen Zeit sorgte für rasche Verbreitung jener Gedanken, die den Eleutherios bewogen, sich fortan „Luther“ zu nennen: „der Freie“.
Die griechische lingua franca machte seinerzeit humanistische Helden, weswegen nicht nur der Wittenberger Philologieprofessor Philipp Schwarzerdt alias Melanchthon gefeiert wurde, sondern auch dessen Lehrerschüler Bruder Martinus, der die Bibel – ab seinem Aufenthalt auf der Wartburg – aus den hebräischen wie griechischen Urtexten ins Deutsche übertrug.
Damit griff Luther zurück auf den Ursprung der Verkündigung, die lateinisch-mittelalterlichen Zwischenzustände überwindend. Er tat dies vor allem in musikalischer Arbeitsweise, in Wort und Ton gleichermaßen. Alle Kompositionskunst seitdem muss sich messen lassen an den Impulsen des Wittenberger Reformators – sofern es um gesprochene oder gesungene „Klangrede“ geht.
Nächst der Theologie sei Musik die schönste Gottesgabe, ließ er sich oft vernehmen. Luther hat sich daher wie selbstverständlich auch als Liederdichter und Melodienschöpfer betätigt (Ein feste Burg. Vom Himmel hoch & cetera). Zur bildenden Kunst hatte er ein weniger hochgestimmtes Verhältnis, doch war er der Meinung, man solle den Menschen, die sich an der Kunst fürs Auge erbauen, diese nicht wegnehmen. Dem Wittenberger Bildersturm, den sein Professorenkollege Andreas Karlstadt entfachte, setzte er mit seinen Invocavitpredigten ein ebenso abruptes wie heilsames Ende.
Reformatio bedeutet eigentlich: Rückgestaltung. Die ursprüngliche Botschaft des christlichen Glaubens wird wieder hervorgeholt und so das humanistische „Ad fontes“ kirchlich angewandt. Die forma ist hierbei keinesfalls eine „Form“ ohne Inhalt, sondern beides zugleich: äußere und innere Gestalt, nämlich das Evangelium von Jesus Christus. Alle Künste, die diese „gute Nachricht“ bezeugen, haben ihre Daseinsberechtigung. So verstanden ist die lutherische Reformation ungleich „liberaler“ als die in Zürich (systematische Zerstörung von Bildwerken und Orgeln) oder in Genf (Verbot jeglicher Sinnenfreuden nebst unerbittlicher polizeilicher Durchsetzung).
Um „Strukturen“ hat sich Luther nie ernsthaft gekümmert. Dass er zum Beispiel die Fürsten mit episkopalen Aufgaben betraute, hatte schlicht und einfach den Grund, dass die meisten damaligen Bischöfe altgläubig, also papsttreu bleiben wollten. Das „landesherrliche Kirchenregiment“ war kein „systemimmanentes“ Muss, sondern wurde aus der Not geboren: ein pragmatisches, allerdings langlebiges Provisorium (in Deutschland bekanntlich bis 1918). Von straffer Kirchendurchorganisation kann man also nicht sprechen. Halbheiten dieser Art begegnen in lutherischen Gefilden bis heute hin auf Schritt und Tritt; umso klarer leuchtet das reine Evangelium jenseits von „Profil“- oder „Marketing“-Fragen.
Sinnenfällig ist die Lutherrose, ein vom Wittenberger Reformator selbst entwickeltes Wappen. Das schwarze Kreuz auf rotem Herzen bezeugt den Ernst, die Tiefe und die Würde des Todes Jesu: aufgrund der Liebe Gottes wird es zum Anknüpfungspunkt der erlösungsbedürftigen Seele. Weiße Blätter auf blauem Grund verweisen auf die Boten des Himmels: Die hellen freundlichen Engel zeigen den Weg ins Gottesreich. Da blüht der vergängliche Mensch auf. Alles wird vom goldenen Ring gerahmt, kostbar sowie ohne Anfang und Ende. Die Ewigkeit prägt die Botschaft vom Gekreuzigten und Auferstandenen: als Geschenk, umsonst gegeben, aus Gnade und Barmherzigkeit.
Mit solch einer edlen Rose kommt alles Wilde, Rohe, Ungeschlachte ans Ende. Ein durchdachtes Kunstwerk steht vor den Augen der Welt, die so gern ihrem eigenen Lärm entfliehen möchte und es doch nicht vermag, solange sie steht, sich dreht, verweht … Ob im Weinberg des Herrn oder eben im Rosenhügel des Heilands: Das Ursprüngliche trifft auf das Verfeinerte, die Kraft auf die Kunst, die Allmacht Gottes auf den Leidensweg seiner Menschwerdung.
Ohne Zweck und Nutzanwendung aber blüht solch Botschaft, ganz frei und unabhängig, vielleicht sogar unauffällig. Die leisen Töne und kleinen Schritte und zarten Frühlingsboten hier wie dort bringen uns, ehe wir es merken geschweige denn kontrolliert analysiert haben, die wahre selige Fülle des Lebens – einfach so.
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