Jeder will heutzutage ein Star sein. Wer sich nicht zum Tonfilmmagazin Youtube traut, wagt vielleicht eine stille Karriere beim Weltbebilderer Instagram. Dort kann sich auch der Provinziellste unter die Leute mischen, sich den Reichen und den Schönen zugehörig fühlen.
Schon beim bloßen Betrachten der bunten Fotografien sehe ich mich auf einer Stufe mit Jet-Set-Menschen, die, wenn sie nicht gerade im Gym ihre Luxuskörper durchtrainieren, mal eben nach Dubai fliegen (mit Nächtigung in diesem irre berühmten Segelhotel, das eigentlich in Bremerhaven steht) oder in Sydney vor dem Opernhaus posieren (Betonung liegt auf „vor“).
Seitdem ich selber einen Instagramaccount besitze (unter meinem richtigen Namen! Besuchen und liken Sie doch mal die Bilder bei feo_eccard!), habe auch ich Abonnenten und bin Abonnements eingegangen. Fleißig verteile ich rote Herzchen (bei Facebook wären das die hochgereckten Daumen) an alles, was mir bei meinen Followern gefällt.
Besonders gern habe ich einen gewissen Rick Derneburg, der als rick_derneburg unterwegs ist. Kein Land, das er nicht schon bereist hätte. Ob China
oder Thailand,
er kennt alle noch so entlegenen Winkel dieser Erde. Als kundigen Bonvivant zieht es ihn in dieser dunklen Jahreszeit natürlich auf die uns gegenüberliegende Erdhalbkugel. Dort herrscht nach einem lieblichen Frühling jetzt strahlender Sommer. Den Lenz hat er in diesem atmosphärisch dichten Shot festgehalten:
Aber nicht nur in Fernost oder südlich des Äquators ist Rick Derneburg ein kulturschlürfender Stammgast; auch in den rauhen Gefilden im romanisch-gotischen Frankreich
oder im schroffen gruseligen England (nur der Rasen ist gepflegt),
ja auch im andalusischen Cordoba
kennt er sich bestens aus. Die blicksichere Raffinesse seiner Schnappschüsse zeugt von innerer Souveränität des fotografierenden Subjekts und zugleich von intimer Vertrautheit mit den fotografierten Objekten. Was auch immer dem Globetrotter vor die Linse kommt – es wächst nachgerade unmerklich und doch so bezwingend wirkmächtig über sich beziehungsweise ihn hinaus zu edler Einfalt und stiller Größe. Unter diesem Winckelmannschen Kriterium lässt sich jede stadtrömische Kirche noch einmal ganz neu in Augenschein nehmen, so wie diese hier:
Und was das Beste an diesem begnadeten Instagrammer ist: Er zeigt uns auch hin und wieder die öden Seiten der ansonsten zu Weltattraktionen hochgejazzten Sehnsuchtsorte. Sein jüngstes Posting ist derart sprechend, dass dahinter alles, was Sie bisher über Venedig zu wissen glaubten, schleunigst verblassen muss:
Ach, werden nun einige Schlauberger sagen, das soll etwa die Seufzerbrücke in der Serenissima sein? Und der Klotz mit dem gewellten Dach hinten links gar der Dogenpalast? – Nun sehe ich doch nochmal genauer hin und – ähm – bemerke: Ich hatte wohl einen leichten Knick in der Optik. Aber Rick Derneburg ist daran mitnichten schuld. Brav und bodenständig, wie er ist, hat er seine Bilder wahrheitsgemäß beschriftet. Nur wollte ich das nicht lesen. Die Illusion mochte ich mir nicht rauben.
In Wirklichkeit sehen wir also folgendes: Die Nachbildung der Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers, wie sie in der Bremer Überseestadt dieses Jahr in einer weltumspannenden Wanderausstellung zu sehen war; den thailändischen Tempel in Hagenbecks Tierpark zu Hamburg; Frühlingspartie in einem Garten irgendwo in Norddeutschland; romanisch-gotische Säulenkapitelle im Kreuzgang der Michaeliskirche zu Hildesheim; Kreuzgang von Stift Börstel im Osnabrücker Land; Detail aus dem ottonischen Innenraum wiederum der Hildesheimer Michaeliskirche; Rotunde der St.-Lamberti-Kirche zu Oldenburg (Oldb); und dann das allerklassischste Fotomotiv aus der Hamburger Speicherstadt.
Nach diesen ernüchternden Erkenntnissen bin ich mir selbst gegenüber misstrauisch geworden. Sogar dieses eine Foto, das so aussieht wie ein Blick von der Ausgrabungsstätte Troja hinüber zu den Dardanellen, ist wohl ein inneres Fake meiner trügerischen Wahrnehmung:
Ich interpretiere es als Schemel vor der Haustür des Instagramstars Rick Derneburg, auf den er sich zur Erholung gern setzt, um die herrliche Aussicht über die Norddeutsche Tiefebene in vollen Zügen zu genießen.
Schöne Idee!
LikeGefällt 1 Person