Midi, eingenordet

Den Großteil meines bisherigen Lebens habe ich mich um die richtige Schreibweise der im Frühling sattgelb blühenden Ziersträucher aus der Familie der Ölbaumgewächse kaum gekümmert. Am schönsten leuchten sie ja im Licht der hohen Sonne, so stark, dass ich „vor Süd ziehen“ möchte, um die Augenweide meiner Sinne ganz auszukosten.

Doch der Mittag, le midi, hat etymologisch nichts mit den erfreulichen Pflanzen zu tun, die sich unter anderem auch in unseren prächtigen norddeutschen Gärten finden. Da sollte jedes altphilologisch geschulte Griechentum für einmal schweigen. Kein phoros „trägt“ irgendwelche Sythia heim oder weg. Und niemand unter noch so alten Lateinern wird in seinem Wörterbuch in diesem Fall über eine Vokabel mit Binnen-Ypsilon stolpern, die normalerweise untrüglich auf Ursprünge im hellen Hellas hindeutet.

Tatsächlich hat der norwegisch-dänische Botaniker und Linné-Schüler Martin Vahl (*1749 Bergen / +1804 Kopenhagen) einem schottisch-englischen Kollegen zu Ehren die Forsythien aus der Taufe gehoben. William Forsyth (*1737 Aberdeenshire / +1804 London), 1771 „Superintendent“ des Botanischen Gartens in Chelsea, seit 1779 in den Königlichen Gärten zu St. James und beim Kensington-Palast tätig, ab 1784 deren von King George III. ernannter Oberster Leiter, mithin in hannoversch-britischen Diensten stehend, ist also der Namengeber.

IMG_20190331_120838

Es bedurfte dann freilich der Gärtnerleidenschaft und des Forscherdranges eines gewissen britischen Handlungsreisenden Robert Fortune (*1812 Berwickshire / +1880 London), dass neben den nach ihm benannten Fortunellapflanzen auch die ersten fortpflanzungsfähigen Forsythiensträucher aus China und Indien gen Westen zu uns nach Europa kamen und hier ab den 1840er Jahren heimisch wurden.

Aus solch dürren Fakten spricht eine nachgerade eurasische Sprache: Was wir in Deutschland, französisch illuminiert und griechisch-römisch vermutet, als liebe Gewohnheit von strahlendem Frühjahrsputz für selbstverständlich halten, ist in Wirklichkeit skandinavischer Klassifizierung und britannischer Weltentdeckung bis hin in den Fernen Osten zu verdanken. Wer sich also gern gen Süden wendet, um sich im heimischen Garten in der Sonne zu räkeln, möge sich des blühenden Kosmos bewusst bleiben, den weder selbstbezogen-saugkräftige Brüsselrüssel noch stramm-exitfixierte Brexiteers uns madigmachen können.

2 Gedanken zu “Midi, eingenordet

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s