Unerträglich!

Kinderchormitglied (9) stößt ungehemmt Aerosole aus!

Dies werden wir den leichtsinnigen siebziger Jahren niemals verzeihen. Der Junge auf dem (absichtlich undeutlichen?) Foto von 1975 wird heutzutage hoffentlich voller Scham auf seine Untat blicken.

Und die damalige chorleitende Person ist, das muss deutlich gesagt werden, in Ansehung sämtlicher Folgen dieses dokumentierten Einzelfalls über die seitdem verflossenen Jahrzehnte hinweg (camouflierend?) todsicher mitschuldig am aktuellen Corona-Ausbruch. Denn ist es nicht unsere Nachkriegsausbeutungsgesellschaft in toto, die verantwortlich für die Seuche zeichnet? Kann sich da auch nur eine*r herausreden? Bereits vor viereinhalb Jahrzehnten lag dieser Zusammenhang offen zutage – mag sich die Vernunft auch noch so sehr sträuben.      

Immerhin war die Studie des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ damals erst drei Jahre zuvor frisch erschienen. Bei ernsthafterer zustimmender Rezeption dieses wahrhaft prophetischen Textes hätte es der Bundeskanzlerin anno 2020 (knapp fünfzig Jahre später) erspart bleiben können, auf die bevorstehenden Transformationsprozesse historischen Ausmaßes neuerlich hinweisen zu müssen. Jetzt ist es zu spät für logische Schärfen (gar von Einzelargumenten) und andere Kleinigkeiten (wie Pest und Cholera): Nun sindse halt da, diese Umwälzungen, Verwerfungen, Zerstörungen. So what?

Dass noch vor einigen Tagen ein Kantor seine Schützlinge zeitkritisch-ironisch-wortklangakrobatisch auf elektropostalischem Wege – also immerhin den Einskommafünfmeterabstand einhaltend (darin erschöpft sich aber auch bereits das Positive dieses Vorgangs) – mit „Chor-ohna-Gemeinde“ angesprochen hat, ist vor diesem Hintergrund unverzeihlich und muss umgehend rückgängig gemacht werden.

 

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Ob solche Folgen erwünscht sind?

Die Coronapandemie zeitigt Effekte, die bis vor kurzem noch rundweg strafbar waren. Das Vermummungsverbot galt unangefochten. Radikalinskis aus sämtlichen extremen Ecken, lechts wie rinks, wurden entsprechend dingfest gemacht – im Zeichen einer offenen Gesellschaft, die sich dem Grundsatz „Mehr Demokratie wagen“ verpflichtet wusste. „Gesicht zeigen“ war angesagt in allen Variationen. Das offene Visier, der herzhaft entwaffnende Blick, das freundliche Zwinkern aus freiem Antlitz, die Beziehung von Angesicht zu Angesicht, unbedingt persönlich und eben zutiefst menschlich: all das machte das Leben wesenhaft abendländisch aus.

Dann kam bekanntlich die Seuche, und viele Wochen später, nachdem sich das Virus schon längst breitgemacht hatte, auch eine „Maskenpflicht“ in bestimmten Alltagsbereichen. Nur wurde gleich mitgeteilt: Medizinisch wirksame Schutzschürze würde es für den plebs keinesfalls geben; man solle sich notfalls mit normalen Tüchern ausstatten, das genüge schon. Na wunderbar. So dringend konnte es also um die Volksgesundheit nicht bestellt sein. Darum holte ich, in beflissener Umsetzung der dringenden und zugleich irgendwie höchst nachlässigen offiziellen Empfehlung, mir mein olles Palituch (modern in den 1970/80er Jahren) hervor:

https://feoeccard.com/2020/04/16/back-to-the-seventies/

Aber die alljährlich sich als unbesiegbar erweisende Sonne bewirkte weitere Schritte, um hienieden im regierungsamtlichen Klein-Klein die Einzelpersönlichkeit zu entwerten:

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Nicht nur, dass jetzt ein Mundnasenschutz (MNS) in öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen getragen werden muss; und besonders ängstliche Mitmenschen ihr angebliches Schutztextil auch darüber hinaus aufsetzen, etwa beim Spaziergang, auf dem Fahrrad oder gar in Gottesdiensten. Als ob frische Luft, freier Fahrtwind oder die mittlerweile sprichwörtlich gewordenen „Aerosole“ nachgerade schädlich seien … Vorauseilender Gehorsam, wohin der erstaunte gesunde Menschenverstand auch blickt. Nun scheint in solch vermaledeiten Zeiten von Frühjahr und Sommer noch öfters mal die Sonne: Da benötigt man unbedingt getönte Augengläser – und zu allem hygienisch-hysterischen Überfluss noch ob des figurativen Figaro-Finales eine so richtig finale Finesse:

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Weil nämlich das Haareschneidenlassen derzeit so unendlich kompliziert gemacht wird, von der ausschließlich telefonischen Anmeldung über den geforderten Nass-Schnitt bis hin zur irgendwie kontaktlos zu geschehenden Gesamtprozedur, gibt es mittlerweile Zeitgenossen, die sich um ihren wirrwildwachsenden Schopf nicht weiter scheren (!) und ihn im Zweifelsfall doch lieber unter einer Kopfbedeckung zu zähmen versuchen.

Also: MNS ist Standard. Sonnenbrille deucht den Coolen unerlässlich. Mütze scheint schicklicher als Barhaupt. So schnell zerrinnt die bürgerliche Hochkultur schöner Seelen. Burkaträgerinnen und Mitläufer im „Schwarzen Block“ erfüllen da doch wunderbar staatstragend die aktuellen Vorgaben zur vollsten Zufriedenheit. Es tut mir leid: Da bleibt einem, ehrlich gesagt, mit dem Titel von Grabbes Komödie aus deutschem Vormärz (1822) gesprochen, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ziemlich erschreckend vorhersehbar im Halse stecken.