Platte(n-)Tektonik

Bevor aus den lärmenden Fankurven von Künstlertochter Greta („schlimmste Krise der Menschheit“) und Pfarrerssohn Rezo („Zerstörung der CDU“) der gemeinsame apokalyptische Abgesang mit Unterstützung von deren höchst eigentümlichen Panikorchestern (ohne sich auf Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ berufen zu können) in unfreiwillig urdeutschester Manier („Waldsterben“, „saurer Regen“, „Ozonloch“) erschallt, möchte ich hier zu guter Letzt („das Ende ist Nahles“) in aller Plattheit ganz andere Zusammenhänge kurz („Sebastian“) noch zum Besten geben.

Man soll ja ruiniert rüberkommen. Die Plaza von Laodizäa mit ihren Säulenstümpfen auf dem Hochplateau der piazza strahlt im morgendlichen Nebel genau jene zielgerichtete Morbidität aus, die Lust auf weitere Katastrophen macht:

laodizäa

Solch griechische Tragödie setzt sich von Kleinasien und Attika dann durch die Jahrtausende unausgesetzt fort bis ins heutige Zeitalter der Containerterminals an den Piers von Plattdeutschland. Die bös amerikanisierte Waterkant von Bremerhaven ist da eines der abschreckendsten Beispiele. Höchste Zeit also, dass Kreti und Plethi abgelöst werden durch Greti und Rezi. Wirtschaft war gestern; jetzt kommen Gretifikation und Rezolution endlich zu ihrem Kinderrecht. Da muss jeder Kranwahn endgültig, blitzschnell und eiskalt zermalmt werden.

bremerhaven

Antike von rechts, Industriezeitalter von rechts … äh nein, von links – in unterschiedlichen Spurgrößen zwar [ab jetzt: Ironie off], aber perspektivisch durchaus kombinierbar mit den piatti beim Letzten Abendmahl des Leonardo da Vinci. Indem ich hier eine Reproduktion aus einem oldenburgischen Gesangbuch des neunzehnten Jahrhunderts einrücke, bekenne ich mich ausdrücklich zu jenem großartigen, aber in unverschuldet heftigen Misskredit geratenen Kulturprotestantismus, dem kein Zacken aus der Krone brach, wenn er (Achtung, hier werden nun lauter römisch-katholisch sozialisierte Autoren bzw. deren Werke aufgezählt:) Haydns Schöpfung, Mozarts Requiem oder Beethovens Missa solemnis ebenso zur Aufführung brachte wie die Kuppel der vatikanischen Peterskirche, die Geburt der Venus von Botticelli oder eben besagtes Fresko aus dem Refektorium eines Mailänder Klostergebäudes zu Vorbildern eigenen künstlerischen Schaffens machte.

leonardo abendmahl

Liebe Leserinnen und Leser, die Frage an Sie und Euch lautet nun: Können Verbindungen unter den drei Abbildungen in diesem Text hergestellt werden? Denken wir uns die Welt noch als festgebackene Pizza oder doch schon als bewegliche Kugel? — Da Mitmachaktionen erfahrungsgemäß aber immer noch, trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts, schleppend bis gar nicht anlaufen, teile ich im folgenden schon mal einige Lösungsansätze mit. Wer präferiert was?

Erstens:

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Zweitens:

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Drittens:

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Für weitere Anregungen wäre ich dankbar. Unser 500-Jahres-Gedenkmann war schließlich nicht irgendwer; die Technik hat ihn ebenso begeistert wie die Antike. Beides kulminiert bei ihm in einer kühnen Interpretation christlicher Überlieferung. Etliche Linien führen direkt dorthin und perspektivisch weit darüber hinaus. Der Renaissancemensch lebt im übrigen bei uns weiter (denn die Geschichte schritt ja fort) in seinem optimistischen Humanismus, in den Spuren von Athen, Rom und Jerusalem.

Fazit: Bevor wir in der Mitte Europas uns zopfig gretagrünschnablig und haarig rezoblauäugig von derselben mit furchtbar deutscher Gründlichkeit gewaltsam lossagen wollten, wäre es vielleicht angebracht, doch noch einmal innezuhalten. Das entspräche nicht nur den besten romantischen Gedanken, die unsere Kultur ja auch hervorgebracht hat; es wäre zudem allem Denken, Reden und Tun angemessen, welches ein menschengemachtes Beben in unserer kulturellen Plattentektonik wenn nicht absolut verhindern so doch mit freundlich langem Atem abmildern bis entschärfen könnte.

Yes, we can’t

„Wir schaffen das“ war vor bald vier Jahren das Startsignal für alles, was man seitdem, milde ausgedrückt, „Flüchtlingskrise“ nennt. Dieses Bonmot (oder: Malmot?) aus dem Munde unserer Bundeskanzlerin scheint im Rückblick die deutsche Antwort auf die US-amerikanische Ermunterung des Präsidentschaftskandidaten anno 2008 zu sein. Über zehn Jahre ist es her, dass der Senator aus Chicago, Barack Obama, unter dem orgiastischen Jubel einer unübersehbar großen Menschenmasse auf der Straße des 17. Juni in Berlin wie ein Messias empfangen und für seinen Ausruf „Yes, we can“ besinnungslos beklatscht wurde.

An der Siegessäule meinte damals ein idolbesoffenes selbsternanntes Weltbürgertum, über die künftigen transatlantischen Zeitläufte alternativlos gut entschieden zu haben. Es begann mit einer prophylaktischen Friedensnobelpreisverleihung an den tatsächlich gewählten und 2012 im Amt bestätigten ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika – und endete nach acht Jahren im weltpolitischen Chaos von Drohnenkriegen, in verschärften Fronten im Nahen Osten und mit Misstrauensbekundungen nicht nur aus Russland, sondern auch aus dem Kreis von abgehörten europäischen Verbündeten. Ende 2016/Anfang 2017 war der Mehrheit der amerikanischen Elektoren dann nicht etwa nach der ersten Frau im Präsidentenamt zumute, sondern nach einem alten weißen Cis-Mann, der sich bis jetzt darin treu geblieben ist, nicht als diplomatischer Politiker, sondern als selbständiger Unternehmer und dealmaker zu agieren. Einen neuen Krieg hat er bisher nicht begonnen.

Die dennoch in den bundesdeutschen Medien grassierende Verteufelung des derzeitigen US-Präsidenten hängt natürlich damit zusammen, dass mit ihm gesellschaftspolitisch nach den Begriffen der political correctness kein Staat zu machen ist. Wer legt sich schon ins Zeug für jemanden, der den „menschengemachten Klimawandel leugnet“? So jemand kann nicht als Vorbild dienen, wenn es um kultartige Bedürfnisse geht. Von denen haben wir, die Deutschen, immer sehr viel. Ich erinnere mich an die Begeisterungsstürme, als Papst Woityla in Münster (Westfalen) erschien. Der Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs mitsamt seiner attraktiven Ehefrau Raissa in den späten Achtzigern verursachte laut „Spiegel“ damals gar einen kollektiven „Gorbasmus“. Etwas gesitteter mag es gut zwanzig Jahre zuvor beim Volksauflauf am Schiffgraben in Hannover zugegangen sein, als Queen Elizabeth II. ihren ehemaligen Untertanen einen Besuch abstattete. Aber zwei Jahre noch von da zurück, 1963, vor dem Schöneberger Rathaus, war kein Halten mehr, als US-Präsident Kennedy auf deutsch sein Pfannkuchenbekenntnis ablegte und ausrief: „Ich bin ein Berliner“.

Wir Deutschen mögen den Personenkult. Da setzt bei uns der Verstand aus. Dem Führer hat man einst gehuldigt wie sonstwas. Wie gut hatte der abgeguckt im faschistischen Italien und beim Stalinismus; und wie tief zog sich die Blutspur auch anderswo, im Maoismus und Titoismus sowie in den verderbenbringenden Verehrungszwängen von Albanien, Kambodscha, Vietnam, Nordkorea, Kuba, Rumänien oder Venezuela. Eigenartigerweise gibt es nach 1945 keine deutsche Persönlichkeit, die von ihrem Volk verheiligt worden wäre. Ulbricht wurde eher als Posse wahrgenommen, trotz aller Gefahren an Leib und Leben, die solch gesundes kritisches Urteil standhafter DDR-Bürger mit sich brachte. Die diktatorische Böswilligkeit des vorgeblich ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden muss allerdings wohl erst noch aufgearbeitet werden. Dass die sozialistische Staatssicherheit ein noch engmaschigeres Netz gesponnen hatte als die nationalsozialistische Geheime Staatspolizei, sollte nicht in Vergessenheit geraten.

Der gemeine deutsche Personenhype fokussiert sich heutzutage also eher auf ausländische Stars: Das ist insofern günstig, als den so Verehrten keinerlei wirkliche Verantwortung zuerkannt werden muss. Kennedy, Lizzy, Urbi et Orbi, Gorbi, Obi: Sie sorgen oder sorgten für ihre eigenen Länder oder Schützlinge, nicht primär für die Bundesrepublik. Die SPD-Kampagne „Willy wählen“ von 1972 war wahrscheinlich die einzige Ausnahme, welche die nachkriegsgeschichtliche Regel nur bestätigte: Denn nach anderthalb Jahren wars dann endgültig vorbei mit jenem Bundeskanzler, der immer so strahlend und sonnengebräunt und geschichtsweise aufzutreten hatte … Die „Willy!Willy!“-Rufe seiner Anhänger, die sich nicht zu schade waren, auch ihre Kinder mit Fähnchen auszustatten und diese auf Wahlkampfveranstaltungen begeistert schwenken zu lassen, sprechen da eine bezeichnende Sprache …

Aber nun hat die deutsche Jugend ja ein neues ausländisches Vorbild namens Greta. Die sechzehnjährige Schülerin aus Schweden ruft recht regelmäßig und erfolgreich im Sinne ihres Slogans „Fridays For Future“ zu Demonstrationen für die Klimarettung auf. Damit es den Erwachsenen auch richtig wehtut, finden die straßenfüllenden Proteste immer freitagmorgens zur besten Schulzeit statt. Auch die Bundeskanzlerin hat mittlerweile die notorische Schwänzerei gutgeheißen, so dass der Rechtsstaat alleingelassen dasteht auf weiter Flur. Andererseits: Warum soll man denn auch bitteschön sich noch Wissen aneignen unter kundiger Anleitung von Lehrpersonen, wenn doch sowieso morgen die Welt untergeht?

Befeuert werden die Großkinder saturierter Altachtundsechzigerrevolutionäre von den Möchtegerndemagogen der dazwischenliegenden Elterngeneration. Und es stimmt ja auch: Die „89er“ sind so etwas wie betrogene Betrüger; denn als sie im besten Revoluzzeralter wie ihre Vorbilder zwei Jahrzehnte zuvor mit Anfang zwanzig aufbegehren wollten, machte ihnen der Berliner Mauerfall einen Strich durch die Rechnung idealistischer Flausen vom Gleichklang in Marx- und Engelszungen. Flüggegewordener Nachwuchs solch bedauernswerter Sandwichkinder soll ergo jetzt richten, wo der böse alte Cis-Mann in barocker Inkarnation etwa eines patriarchalen Bundeskanzlers Kohl die seinerzeitigen frischen Kräfte an deren guten Werken hinderte.

Deutsche Bischöfe beiderlei Geschlechts und Konfession entblöden sich in diesen unorientierten Zeiten nicht, die Klimaaktivistin aus Stockholm in einen prophetischen, wenn nicht gar gleich jesusmäßigen Rang zu erheben. Predigten auch von normalen Pfarrern vor Ort verklären das so herzzerreißend traurig dreinblickende Mädchen zur göttlichen Botin. „Wie hast du’s mit dem Klimaschutz?“ wird zur unüberbietbaren Gretchenfrage 2.0 hochgejazzt. Dass der Glaube an Gott eigentlich weitaus mehr meint als gesellschaftspolitische Rechthaberei, soll bloß niemand mehr ernsthaft denken müssen. Nein, alles ist klar, entschieden, eindeutig, alternativlos. Wehe dem, der heutzutage mit neuen Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern um die Ecke käme – die könnten ja (und wir bemühen ein weiteres Mal Goethes Faust) „leider auch Theologie“ enthalten …

Zur heutigen Wahrheit würde indes ziemlich sicher gehören, dass wir „das“, was uns einerseits in barrierefreie Toleranz oder andererseits in massenhafte Panik geraten lassen soll, durchaus nicht schaffen. Weder die Einwanderung von Angehörigen zutiefst archaisch geprägter Kulturen noch die Bewältigung der tatsächlich wirkenden, aber eben weniger menschenabhängigen als vielmehr, wie seit Jahrmillionen üblich, solar verursachten weltweiten Klimaveränderung lassen sich mal eben so wuppen. Idole hin oder her. Die wahre Sonne scheint sowieso vor Ort und lässt die Traditionen strahlen:

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Lob einer je eigenen Heimat mitsamt deren auch neugotischen Zeugnissen in eigentlich doch wunderschönen Bauwerken, bereit zur Überwindung von Schleusen – und fest auf dem Boden des bundesdeutschen Grundgesetzes, das nun siebzig Jahre alt wird, in bester schwarz-rot-goldener Verankerung: Was gibt es besseren Schutz vor Personenkult jeglicher Couleur? Wir schaffen nicht alles, aber darüber müssen wir die Freiheit nicht verlieren. Wer so weit denkt wie das Meer unendlich ist, fühlt und weiß sein Herz am richtigen Ort. Und damit zurück nicht in die bloß großdimensionierte, aber in Wirklichkeit inhaltsleere „Vielfalt“ von allem und jedem, sondern ganz sinnlich und genau, durchaus republikanisch-demokratisch-amerikanisch-deutsch-bürgerlich bestimmt zum Beispiel nach –  Bremerhaven.

Foto: Bremerhaven, Schleuse mit Schiff, das ins offene Meer steuert, dahinter Großer Leuchtturm, auch Loschenturm genannt, erbaut 1853 bis 1855 nach Plänen des Bremer Architekten Simon Loschen (1818-1902).