Heilige Weisheit?

Jetzt ist es amtlich: In der Hagia Sophia zu Konstantinopel sollen wieder, wie in den Jahren von 1453 bis 1934, islamische Gebete abgehalten werden können. Orthodoxe und römisch-katholische Sprecher äußern Unmut, bis hin zum Zorn. Sie werden bestärkt von den jeweiligen Regierungsvertretern in Athen und Moskau beziehungsweise vom Heiligen Stuhl. Evangelische Repräsentanten machen sich im wesentlichen eine Stellungnahme des Weltkirchenrates zueigen und sprechen in je persönlichen Variationen ihr Bedauern aus. Sie haben allerdings kaum Rückhalt durch entsprechende Verlautbarungen aus der Politik. Interessanterweise kommt aber auch, zumindest in Deutschland, von muslimischer Seite Kritik. In der Türkei selbst sind es naturgemäß die Kemalisten, denen die Gründung der laizistischen Republik 1923 als undiskutable historische Errungenschaft erscheint.

IMG_20161006_132452 

Die Argumente gegen die Entscheidung des türkischen Obersten Verwaltungsgerichts sind vielfältig: Das Gotteshaus, anno 537 eingeweiht, sei als Kirche erbaut und müsse, wenn es denn schon kein Museum mehr sein solle, umstandslos wieder zu einer solchen werden. Es mangele in Istanbul mitnichten an Moscheen, da brauche man über die jetzt bestehenden hinaus keine weiteren. Auch sollte alles vermieden werden, was den Streit unter den Religionen neu anfachen könne; denn man lebe schließlich im 21. Jahrhundert: Aus überwundenen schlimmen Zeiten von Glaubenskriegen habe man doch hoffentlich gelernt. Toleranz sei das Gebot der Stunde und die Hagia Sophia ihr Wahrzeichen, habe doch Atatürk bei ihrer Neueröffnung als Museum im Februar 1935 von ihr als dem Ort gesprochen, wo sich einst zwei Konfessionen voneinander trennten – im Jahre 1054 die West- und die Ostkirche –  und nunmehr zwei Religionen – Christentum und Islam – zusammenfänden. Das Bauwerk trage gewissermaßen durch ihr langes 1500jähriges bloßes wenngleich wechselvolles Dasein die Botschaft des Friedens in sich.

IMG_20161006_125831

Von unbedingten Forderungen über praktische Hinweise bis hin zu idealistischen Träumereien spannt sich also der hüben wie drüben religiöse und mehr oder weniger geistreiche Bogen. Griechenland und Russland erkennen dahinter glasklar die machtpolitischen Dimensionen. Und die Menschenmenge, die vergangenen Freitag, einen Tag nach dem Urteil, sich vor dem bisherigen Museum unter freiem Himmel zum Gebet zusammenfand, war entsprechend lauthals freudig erregt von dieser „zweiten Eroberung“ und der damit verbundenen islamischen „Raumgewinnung“. Damit stand quasi die Wiederholung des 29. Mai 1453 an: Mehmet der Eroberer hatte ja durch seine Heere an diesem Tag die Hauptstadt der morgenländischen christlichen Welt zu Fall gebracht. Er, der Sultan, erklärte sich durch diese militärische Tat zum legitimen Nachfolger der römischen Kaiser und wandelte das östliche römische Reich um in jenes muslimisch-türkisch dominierte Herrschaftsgebiet, das erst rund 470 Jahre später, in der Folge des Ersten Weltkriegs, unterging. Da war also von vornherein ein Machtanspruch wirksam, der die grausamen Türkenkriege hervorrief und Europa in den nächsten drei Jahrhunderten immer wieder in Angst und Schrecken versetzte.

IMG_20161006_125910

Die Hagia Sophia aber war während all dieser historischen Ereignisse und weltgeschichtlichen Dramen nie nur ein Gotteshaus. Sie war vielmehr für rund 900 Jahre die Eigenkirche der römischen Kaiser, die von Konstantinopel aus seit dem Jahr 330 ihr christliches Reich regierten. Am „Nabel der Welt“ wurden sie, die irdisch-himmlischen Mittler, im Sinne eines Caesaropapismus gekrönt und später gern als Inhaber sowohl der weltlichen wie der geistlichen Gewalt in kunstvollen Mosaiken verewigt. Übrigens sprach seinerzeit vom „Byzantinischen Reich“ dort niemand, erst recht nicht vom „Oströmischen Reich“; denn man sah sich selbst ja als organische Fortführung des einen römischen Weltkreises, mit dem „Neuen Rom“ als Zentrum, von Konstantin dem Großen eben vom Tiber an den Bosporus verlegt und mit seinem griechischen Namen versehen: Konstantinoupolis, Konstantinopel, Stadt des Konstantin. Erst ein deutscher Bücherwurm des 16. Jahrhunderts hat den heutzutage geläufigen kulturgeschichtlichen Begriff „Byzanz“, „byzantinische Kunst“ etc. erfunden: https://feoeccard.com/2017/06/08/hieronymus-wolf/. Ab 1453 gehörte das Bauwerk dem Sultan persönlich, ganz analog zur vormals kaiserkirchlichen Bestimmung,  und wurde im Rahmen einer Stiftung folgerichtig zur Moschee. Dies legte Mehmet II. „der Eroberer“ in seinem Testament fest.

Es war nun dieses Schriftstück, das den jetzigen Richterspruch sowie die nachfolgende Entscheidung des türkischen Ministerrates begründet. Damit ist faktisch die Staatsgründung vom Oktober 1923 durch Mustafa Kemal Pascha Atatürk übergangen und für im Grunde ungültig erklärt worden. Die Republik hat in ihrem wesentlichen Gehalt aufgehört zu existieren, wenn ein Beschluss des damaligen Ministerrats vom November 1934 als nichtig bezeichnet wird, weil er angeblich gegen die Bestimmungen des Begründers eines untergegangenen Vorgängerstaates, nämlich des Osmanischen Reiches, verstößt. Dass das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia nach dem jüngsten Gerichtsspruch nun ausgerechnet am 24. Juli verrichtet werden wird, ist ebenfalls historisch brisant: Es ist nämlich der Jahrestag des Vertrags von Lausanne 1923. Darin wurden die neuen Grenzen der bis dahin in Besatzungszonen aufgeteilten Rest-Türkei festgelegt, unter anderem aber auch der leidvolle „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Türken und Griechen besiegelt und im übrigen etliche christliche Minderheiten, die seit 1915 Opfer des Völkermordes geworden waren, nicht weiter berücksichtigt. Das grausame Martyrium von Armeniern und Assyrern wird seitdem von offizieller Seite krampfhaft verschwiegen und seine Benennung strafrechtlich geahndet. Da sind sich Kemalisten und Erdoganisten bis heute erschreckend einig.

Das Vermächtnis des Sultans Mehmet II. legte allerdings auch für alle Zeiten fest, dass die vormaligen Kirchengebäude des römischen Staates weder zerstört noch bilderstürmerisch versehrt werden dürften. Der Eroberer von Konstantinopel hatte eine christliche Mutter, und deren Andenken verbot es dem wüsten Heerführer ganz offensichtlich, die geistlichen Kunstwerke der griechischen Orthodoxie hemmungslos zu vernichten. Die Fresken und Mosaiken etlicher byzantinischer Kirchenräume sind demzufolge erhalten geblieben, oft unter Putz oder Stoffbahnen. Mit der Umwandlung der Hagia Sophia von einer Moschee in ein Museum Mitte der 1930er Jahre war also auch die Freilegung von seit rund 480 Jahren verborgenen Bildwerken verbunden. Zugleich konnten Ausgrabungen stattfinden; die Archäologie kam zu ihrem Recht, Kunstgeschichte wurde legitimiert in einem Umfeld, das bis dahin von solchen Dingen kaum etwas wissen wollte. Und weil Atatürk vieles war, nur nicht religiös, konnte unter seiner Ägide das Bauwerk der Heiligen Weisheit zu einem säkularen Museum werden, das die neun Jahrhunderte als christliche Kaiserkirche und die knapp fünf Jahrhunderte als muslimische Sultansmoschee sozusagen gleichberechtigt miteinander zu präsentieren vermochte. Die Republik hielt sich aus Glaubensdingen nach außen hin heraus, während sie allerdings zugleich einseitig das Türkentum förderte, auf Kosten aller anderen Bewohner des neuen Staates. Der „europäische Staat mit islamischer Bevölkerung“, dessen Verfassung sich am französischen Laizismus und am schweizerischen Rechtssystem orientierte, war von Anfang an in einem nationalistischen Widerspruch gefangen; denn der Republikanhänger Parole „Die Türkei den Türken“ legte jegliche Religionsfreiheit in Fesseln, sofern die im Volk verwurzelte sunnitische Religion nicht, wie von Atatürk durch seine rigiden Maßnahmen erwartet, einfach binnen kurzem verschwand.

Ende von Sultanat und Kalifat, Verbot von Kopftuch und Fez, Einführung europäischen Kalenders und lateinischer Schrift sowie Installierung vor allem französisch-republikanischer Staatstugenden sollten die vormaligen „Jungtürken“ voranbringen in eine neue Zeit. Das Ganze entlarvte sich indes irgendwann als eine aufgepfropfte Ideologie, die den Menschen vor Ort mehr nahm als gab. Wer geschichtlich gewachsene Gewohnheiten mit einem Federstrich abschafft, ohne dass das Neue einen nachhaltigen Rückhalt im Volk besitzt, wird irgendwann scheitern. Und dann kommt die Stunde der Spießbürger: „Ach, sieh an, ich dacht‘ es gleich“. Dies ist jetzt der glorreiche Augenblick aller noch verbliebenen Erdoganisten. Die Hagia Sophia wird neuerlich und zum wiederholten Male ein Objekt machtpolitischer Setzung. Unser vormals christlich-politisches Europa, also das, was man mehr oder weniger romantisch mal als das Abendland bezeichnet hat, steht deshalb so fassungslos vor dieser historischen Zäsur, weil es ernstlich nicht mit der Wiederkehr des machtbewehrten Religiösen gerechnet hat. Glaube ist für die westeuropäischen Granden eigentlich nur noch etwas fürs Museum. Daher fand man den bisherigen Status der Hagia Sophia bequem, ausgewogen und in seiner nie beim Namen genannten Zahnlosigkeit touristisch wunderschön. Die Machtkämpfe dahinter wurden geflissentlich ignoriert. 

Im Jahre 2011 gab es schon einen Testlauf: Damals wurde die Hagia Sophia zu Nizäa in eine Moschee umgewandelt. Isnik, wie der Ort heute heißt, südöstlich von Istanbul gelegen, war Schauplatz des ersten sowie des siebten und letzten der Ökumenischen Konzile, also der von allen christlichen Kirchen in ihren Lehrentscheidungen anerkannten Bischofsversammlungen. Im Jahre 325 bejahte man die Frage, ob Jesus als der Christus „wahr Mensch und wahrer Gott“ sei; anno 787 entschied man abschließend, dass Bildnisse mit dem Glauben vereinbar sind. Die Kunst nahm neuen Aufschwung, unsterbliche Ikonen, Fresken und Mosaiken entstanden. Aus dieser Zeit stammen auch die Werke in der Kaiserkrönungskirche zu Konstantinopel. Aber in der vormaligen Kirche, da das Konzil gegen die Ikonoklasten, die Bilderstürmer des achten Jahrhunderts tagte, erinnert an die dort erlaubten Bilder nichts mehr.

IMG_20161007_145846

Mehrfach wechselten Konfession und Religion, im Jahr 2000 war es dem Patriarchen von Konstantinopel für einmal durch die türkische Religionsbehörde gestattet, eine Weihnachtsmesse abzuhalten. Das war’s dann. 1920 schon war diese kleine Hagia Sophia zum Museum gemacht worden, mit der Option, dass in der ehemaligen Kirche auch hin und wieder christliche Gottesdienste stattfinden könnten. Der Wind drehte sich recht bald. In Westeuropa, bei uns also, hielt sich über viele Jahrzehnte das Interesse an solchen Vorgängen oder eben Nicht-Ereignissen in überschaubaren Grenzen. So wird es auch jetzt wieder sein, bei der großen Hagia Sophia, der Heiligen Weisheit zu Konstantinopel.

Fotos (alle Aufnahmen aus dem Jahr 2016): (1) Hagia Sophia, Innenraum mit christlichen und islamischen Elementen. (2) In der Hagia Sophia wird immer irgendwo gebaut, erneuert, ausgebessert. (3) Der Nabel der Welt. (4) Kirche des Konzils 787 in Nizäa, erbaut im 4. Jahrhundert, im Laufe der Jahrhunderte mal Kirche, mal Moschee, seit 1920 Museum, seit 2011 Moschee. Die Abschnitte, wo man als Muslim beten kann, sind mit Teppichen ausgelegt. Die für das Gebet gen Mekka nicht benötigten Ecken des Gotteshauses sind weiterhin touristisch zugänglich. Wird so eine Aufteilung auch in der großen Hagia Sophia in Konstantinopel erfolgen? Und was spräche eigentlich gegen die Möglichkeit, dort neben den muslimischen Freitagsgebeten auch christliche Sonntagsgottesdienste abzuhalten?   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Betroffene Flaschen

Würden alle momentan als „zeitgemäß“ eingeforderten Normen befolgt, müssten etliche schöne Baudenkmäler gnadenlos verschwinden. Denn die meisten Kirchen, Burgen, Schlösser oder Rathäuser aus antiken, mittelalterlichen oder neuzeitlichen Epochen erfüllen nie und nimmer auch nur von ferne heutige Regelungen in bezug auf Frauen- , Behinderten- oder Meinungsfreiheitsrechte. Allenfalls die Aufgänge zu den Emporen der Hagia Sophia in Konstantinopel (erbaut im 6. Jahrhundert) bilden eine politischkorrekte, weil rollatorkompatible rühmliche Ausnahme, hat man doch dort in steingewordener heiligweiser Voraussicht auf Treppenstufen zugunsten von sanft ansteigenden schwellenlosen Rampen verzichtet.

Dieser Tage nun werden wir heimgesucht von Skandalen völlig anderer Art. Sie stehen aber insofern mit architektonischer Hochkultur auf dem Boden der heutigen Türkei sowie mit einer leider daraus abzuleitenden islamistischen Verirrung in Verbindung, als der Autor dieses Weblogs bereits vor längerer Zeit in einem Text mit dem Titel Suite gothique einleitend unter anderem – weil ja (es war im Reger-Gedenkjahr) alles mit allem immer irgendwie zusammenhängt – auch über grüne Flaggen meinte sinnieren zu müssen. Allerdings vergaß ich damals (1. Juli 2016) zu erwähnen, dass sich zu spitzbögigen Baumeisterplänen gern auch spitzbübische Bierbrauerkünste gesellten. Gotischer Gerstensaft passt nun allerdings so ganz und gar nicht zu glaubensstarkem Grün, sofern öffentlichkeitsheischende Ökoparteipolitik sich dann doch zuletzt von ölscheichgesteuerter Ökonomie unterscheidet.

Jedenfalls war wohl niemandem bisher klar, was Kronkorken so alles anrichten können. Erst jetzt erfahren wir, dass sie weniger knorke denn krawallig wirken: König Fußball macht’s möglich, wenngleich wider Willen. Eine Bierbrauerei aus Mannheim beabsichtigte, auch in diesem Weltmeisterschaftsjahr allen Sammlern und Tauschlustigen eine Freude zu machen, und bedruckte fröhlich ihre Flaschenverschlüsse mit den Abbildungen von Flaggen der bald in Russland antretenden Nationen. Weil diesmal Saudiarabien mit von der Partie ist, prangte folglich auch dessen Hoheitszeichen als alkoholabdichtendes Objekt in regelmäßigen Abständen und völlig gleichberechtigt mit den Symbolen der übrigen einunddreißig Staaten auf diesem oder jenem gläsernen Behältnis.

Der Sturm im Bierglas ließ nicht lange auf sich warten. Nichts blieb im grünen Bereich; denn bekanntlich ziert das Tuch auf der Grundfarbe des Islam in Gestalt eines weißen arabischkalligraphischen Schriftzugs über schlankem Schwert das fundamentale Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter.“ Deshalb beschwerten sich wohl derartig viele Wahhabitismusversteher, dass dagegen auch nicht eine einzige Mannheimer Rakete geholfen hätte. Ein Königreich für eine Alkoholfahne! – diese Kombination rief immense Wut unter „Betroffenen“ hervor, so dass die Brauerei nach Konsultationen mit der Polizei (!) und gar dem Staatsschutz (!) den Rückzug antrat, das Weite suchte … oder wie immer man das ausdrücken soll. Jedenfalls blies sie schließlich aus Sicherheitsgründen die gesamte Aktion ab. Kleine und große Fußballfans haben seither das Nachsehen.

Irritierend wirkt, dass die Zornigen und Eifrigen einen Sieg davontragen, indem sie Form und Inhalt dreist miteinander vermengen und dafür punktgenau jenes Verständnis bekommen, das sie drohend eingefordert haben. Als ob es tatsächlich um Verletzung religiöser Gefühle ginge. Wäre es den Aufgeregten wirklich darum zu tun, könnten sie sich doch juristisch zur Wehr setzen, schön innerhalb unserer bundesdeutschen rechtsstaatlichen Ordnung. Vielleicht bekäme man dann Klarheit darüber, ob die bloße Abbildung eines staatlichen Symbols im Kontext von mehr als zweieinhalb Dutzend weiterer Flaggen eine gedankliche Auseinandersetzung mit den jeweils auf ihnen abgebildeten Realien implizieren muss. Sind denn – anderes Beispiel – die auf den Dannebrog zurückgehenden Kreuzdarstellungen sämtlicher oldenburgisch-skandinavischen Länderfahnen noch heutzutage primär und zwingend als Zeichen einer (hier: christlichen) Gottergebenheit zu deuten?

Im normalen, faktisch multikulturell geprägten Alltag dient das alles doch dem spielerischen und sportlichen Wettbewerb. In dessen Vollzug kann man sich Weltläufigkeit durchaus im Sammeln und Tauschen auch von Kronkorken aneignen. So wird die gute alte Übung modifiziert, sich gegenseitig freundschaftlich bei der Füllung von Panini-Alben zu unterstützen. Nicht mehr, nicht weniger. Statt nun aber in diesem Sinne den Kritikern zu antworten, schrieb die Brauerei an nicht näher spezifizierte „Liebe Muslime“ unter anderem folgendes: „Wir haben kein Interesse an religiösen und politischen Äusserungen – schon gar nicht über unsere Produkte. Sollten wir Sie unabsichtlich beleidigt haben, bitten wir förmlichst um Entschuldigung. Wir wussten tatsächlich nicht, dass die Schriftzeichen ein Glaubensbekenntnis darstellen. Wir haben lediglich überprüft, ob Flaggen und Teilnehmer korrekt sind.“

In einem begleitenden posting der Brauerei an die Kundschaft finden sich überdies die hübschen Sätze über die gesamte Aktion: „Nur jede 171ste Flasche davon trägt den Kronkorken von Saudi-Arabien. Wir sind aktuell dabei, die Paletten im Handel zu sichten und die betroffenen Flaschen auszusortieren.“ Gleichzeitig aber wird eben damit die ganze heitere Angelegenheit beendet. Kein Biertrinken mehr aus den armen bemitleidenswerten gläsernen Behältnissen, weil Sympathisanten einer der schlimmsten Diktaturen der Welt sich aufregen. Was hat die Brauerei eigentlich befürchtet? Dazu Schweigen im deutschen Walde. Wurde die Firma bedroht? Ist die Saudilobby hierzulande bereits genauso stark wie im schon unterworfenen Houellebecqfrankreich?

In unserem Fußballdeutschland nerven ja derzeit eher zwei türkischstämmige Spieler: Die posieren stolz auf einem Foto mit dem Neosultan aus Osmanien, welcher gerade in seinem Staat erst die Gewaltenteilung, dann die Demokratie insgesamt abschafft und, um von selbstgemachten finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken, Kriege anzettelt. Alles unter den geneigten Augen eines paneuropäischen appeasement. Als nun die beiden erwachsenen Männer, die sich einst bewusst für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, erwischt werden, erhebt sich ein allgemein bundesdeutsches pädagogisches „Du, du, du“ – für die ach so naiven Jungs wird eigens ein Termin beim Bundespräsidenten arrangiert, bei dem die beiden in Turnschuhen und Hochwasserhosen auflaufen. Danach soll, trotz dieser neuerlichen Respektlosigkeit, alles vergessen sein, man belässt sie im Kader für die Weltmeisterschaft, und nur wenige protestieren udojürgensmitfühlend, jedoch erfolglos: Aber bitte mit Sané …

Özil beleidigt rund um sich herum – einmal unser Staatsoberhaupt, mehrfach zudem die Nationalhymne, die er nicht nur bisher nie mitsang, sondern auch nach dem Besuch auf Schloss Bellevue weiterhin ganz absichtlich meidet: Dieser nach wie vor und völlig unverändert seit eh und je extra zugekniffene Mund hätte doch eigentlich für den Bundesjogi Grund genug gewesen sein müssen, auf solch einen hartleibigen störrischen Mesut endgültig zu verzichten. Die Pfiffe aus deutschen Fankurven im Stadion zu Klagenfurt waren aber wohl noch nicht gellend genug. Und das Endergebnis, die Translation von Córdoba (nein, eben nicht von anno 711, sondern 1978), hat mitnichten Alarmglocken läuten lassen. Wie auch, er schoss ja das eine Tor für „die Mannschaft“ und war sozusagen der Sieger trotz schlussendlicher Niederlage; denn die Ösis gewannen ja mit zwei Treffern gegen Özil … Aber wiederum tönt es: Schwamm drüber. Freundschaft!

Fassen wir zusammen: Russland ist ein großes Land. Zwar wirkt deutsches Bier völkerverständigend, kann jedoch die Sicherheit vor Wahhabiten und solchen, die es unbedingt werden wollen, dadurch nicht unbedingt garantieren. Deutscheingebürgerte Erdoganversteher dürfen sich alles erlauben, auch wenn sie unser Grundgesetz, dazu Haydn und Hoffmann von Fallersleben buchstäblich mit Füßen treten. So bleibt nur ein Blick auf den Beginn dieses Textes: Lest mal meine Suite gothique, freut euch an der abendländischen Kultur welcher Spielart auch immer, trinkt zur Not Gerstensaft nach Rezepten völlig vergessener Weltgegenden, aber doch nach dem deutschen Reinheitsgebot:

betroffene flasche

… und haltet es ansonsten mit den betroffenen Flaschen so, wie einst Bayern-München-Trainer Giovanni Trapattoni in seiner syntaktisch-semantisch wunderbaren Wutrede von vor gut zwanzig Jahren: „Spieler, die waren schwach wie eine Flasche leer.“ Wer sich übrigens ganz besonders flaschig anstellt, hat in der christlich-muslimisch-musealen Hagia Sophia keine Chance: Man kann dort beim Abgang von den Emporen in Tat und Wahrheit sehr ins Rutschen, Rollen oder auch Runterkullern kommen … – Treppen haben eben auch ihr Gutes. Ich habe fertig.

https://ausdrucksiteblog.wordpress.com/2016/07/01/suite-gothique/

Foto: Zu Kronkorken mögen Majestäten gehören, wie es „König Silberzunge“ war: Schon anno 1969 mahnte Kanzler Kiesinger: „Ich sage nur: China, China, China.“ – Da war die deutsche Kolonie Tsingtao im Reich der Mitte zwar bereits fünfzig Jahre verflossen, nicht aber deren Exportschlager, den man bis heute in Chinarestaurants im deutschen Tor zur Welt genießen kann. Wer dort aus irgendwelchen politischreligiöskorrekten Gründen solches verschmäht, muss nicht gleich beleidigt sein. Man reicht dort in ausgesuchter Höflichkeit auch anderes Erfreuliche: unter Umständen sogar in Kännchen, nicht ausschließlich in Flaschen. Nach Sammelbildchen habe ich bisher übrigens noch nicht gefragt. Dass das zuständige Politbüro Proteste gegen Bierbouteillen wegen missliebiger Panini organisieren würde, ist allerdings eine echte Pekingente.