Domdämmerung

… und nun zu etwas ganz anderem: Eine gesunde Mischung aus Verkaufsveranstaltung und Volksfest lässt uns an den uralten Zusammenhang von Gottesdienst und Schauspiel, von Liturgie und Drama erinnern. Bald beginnt der diesjährige „Sommerdom“. Die Eigenwerbung schreibt übrigens nicht einfach „Dom“, sondern „DOM“, so, als handle es sich um ein Kürzel, das rein zufällig ein bekanntes Wort ergibt, ähnlich wie die „PISA-Studie“, bei der man immer an die toskanische Stadt mit dem schiefen Domturm denken muss oder auch soll.

Nun, der Begriff „Hamburger Dom“ geht tatsächlich auf ein kirchliches Bauwerk zurück. Er hat vielleicht sogar das Zeug zum Paradigma, wie Aufklärung und Barbarei, Abbruch und Neubeginn, Wegräumen der Finsternis und Hoffnung auf Licht in eigenartiger Weise zusammengehen können. Geistliche Stellvertretung und weltliche Schaustellerei, Kirche und Konsum, sakrale Schranken und säkulare Schrankverkäufe haben hier nämlich in jahrhundertelanger Entwicklung letztlich ein gentleman agreement hervorgebracht, dem bei aller denkmalschützerisch immer wieder geäußerten Fragwürdigkeit doch eine konsequente Logik innewohnt.

Gehen wir, zur Abwechslung von Corona, Inflation, Krieg und den Großtaten einer „letzten Generation“ einmal spurensicher, zunächst aus der Perspektive der Aussichtsplattform des Nikolaikirchturms in Richtung Rathaus auf jenen unterirdischen blinden Fleck zu, der die Hamburger Stadtsilhouette im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts so werden ließ, wie sie sich bis heute präsentiert:

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Von den luftigen Höhen steigen wir hinab und landen in löwenzahnumrankten Tiefen:

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Hier befinden wir uns an archäologischer Stätte. Das Ausgegrabene wurde für die Nachwelt erhalten. Es kann nun bestaunt werden von denen, die hektisch vorbeizugehen im Begriff sind. Durchreisenden muss ja etwas geboten werden, sonst erzählen sie zu Hause nur von Jungfernstieg, Landungsbrücken, Reeperbahn, Michel und „König der Löwen“. Weil aber fragmentarisch Altes ganz allgemein nicht aus sich selbst heraus den vielen Schaulustigen seinen vormaligen Zweck erschließt, ist eine Erklärtafel vorhanden. Wer sich also für die freigelegten Überreste früheren gottesdienstlichen Lebens interessiert, kann alles Wissenswerte darüber auf einer wetterfesten Metallstellwand nachlesen, hier am Speersort über Ziegeln im Klosterformat norddeutscher Backsteingotik: Die installierten „Möbel“ auf der grünen Wiese mitten in Hamburg machen es möglich.

Gotische Reliquien und Gewöhnlicher Löwenzahn: Sie befinden sich zirka zweieinhalb Meter tief von jener durchsichtigen regenabweisenden Schutzschicht entfernt auf trockenem Grund. Es ist dieses eine Fenster, das die überdimensionierte „Hotelseife“ (lakonisches Wort eines Künstlers) im Nordwesten der Anlage unterscheidet von den anderen sozusagen Seifensteinen (in freier Assoziation zu deren begrifflichem Vorbild in der Jerusalemer Grabeskirche).

Kunststoffige Kissen, nicht zum kommunalen Kuscheln, sondern zum gesitteten Sitzen bestimmt, stecken den Raum ab, der früher einmal, bis in die ersten Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, von gewölberelevanten Pfeilern und Pfosten beherrscht war. Die Postenpositionen hat man nun in einem rasenumgreifenden ZEITbegrenzten Denkmal von anno 2009 nachgeahmt. Der Blick in die Tiefe von Löwenzahn und Ziegelstein ist mit Glas eingefasst und von weißer Sitzfläche umrahmt:

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Hier sehen wir die „Hotelseife“ im ganzen. Im Hintergrund befindet sich die älteste Pfarrkirche Hamburgs, Sankt Petri. Der Gegenblick:

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eröffnet uns ein ganzes Feld von Sitzgelegenheiten, aber nur diese eine verfügt über ein Guckloch in den gotischen Untergrund. Und vielleicht kann hier die ZEIT Wunden heilen, jenes liberale Hamburger Wochenblatt mit dem Bremer Schlüssel im Zeitungskopf:

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Dass dieser Platz öffentlich zugänglich ist, wäre keiner besonderen Erwähnung wert, gäbe es nicht seit wenigen Jahren dort diese Möglichkeit, sich ausdrücklich mit dem Ursprung Hamburgs zu befassen. Nach etlichen Jahrzehnten Parkplatztristesse auf dem im Zweiten Weltkrieg durch Fliegerbomben völlig zerstörten Gelände des klassizistischen Johanneumgebäudes aus den 1830er Jahren ist dies so, als hätte man sich ein Herz gefasst, der eigenen Geschichte ins Gesicht zu blicken. Jede Sitzgelegenheit markiert ein Pfeilerfundament jener fünfschiffigen gotischen dömlichen Hallenkirche, die man Anfang des neunzehnten Jahrhunderts meinte abreißen zu müssen.

Im Blick auf die ökologische Wahrheit halten wir uns schlicht und einfach an die Tatsache, dass tief unten Gewöhnlicher Löwenzahn ganz eigenständig und von aufgeregten „Grünen“-Sprecherinnen völlig unbetreut wächst, blüht, verwelkt und sich in alle Winde verstreut, wie die Blume auf dem Felde bei Hiob, im Psalter, beim zweiten Jesaja oder im ersten Petrusbrief, vom Hamburger Jung Johannes Brahms in seinem Deutschen Requiem so einzigartig in oratorisch-romantische Töne gesetzt und notabene im Dom zu Bremen uraufgeführt.

Wer ökonomisch denkt, wird seine Freude haben an den Überlegungen im Rathaus, nachdem der ganze in Rede stehende Bezirk endlich an die Stadt Hamburg gefallen war. Was könnte man mit dem Grundstück mitten im Zentrum alles erwirtschaften, wären erst einmal die schändlich verwahrlosten Häuser und dieses gotisch-finstere Monstrum selbst abgeräumt? Die Makler der damaligen Zukunft sahen in dem Areal nichts weiter als einen möglichst rasch zu beseitigenden Makel der Vergangenheit.

Wer ökumenisch sich der Sache annimmt, lernt, dass im Jahr 1892 in Sankt Georg die erste katholische Kirche seit der Hamburger Reformation eingeweiht wurde. Sie versteht sich bis heute als Nachfolgerin des einst so unbeliebten Heiligtums und wahrt die geistliche Kontinuität einer seit dem neunten Jahrhundert bremischen Dependance: Bischof Ansgar verlegte seinen Sitz von Elbe und Alster an die Weser; den Kirchenoberen in Hamburg verblieben aber ihre Pfründen am Ort. Der heutige römisch-katholische St.-Marien-Dom, seit 1995 Kathedralkirche, ist in seinen architektonischen Außenformen ganz bewusst als Kleinausgabe des Bremer Doms errichtet.

Dass in Hamburgs St.-Petri-Kirche heutzutage evangelisch-katholisch-orthodoxe Andachten am Ansgaritag abgehalten werden, also in unmittelbarer Nachbarschaft zu den alten Steinen und deren ZEITläuften, lässt jedes irenisch und liberal gestimmte Herz höher schlagen. Und eigenartig mutet an, dass ein langer Atem den Katholiken nach tausendeinhundertfünfzig Jahren wieder einen Erzbischofssitz in Hamburg beschert hat.

Das letzte erhaltene trockenlehmziegelsteinige Fundament des einstmals großartigen Kirchengebäudes aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert ist also dem seit dem Jahre 1806 sonst restlos verlorenen Hamburger Mariendom zuzuordnen. Es gehört schon einiges an Kühnheit hinzu, seine eigene Geschichte derart rabiat zu entsorgen. Einige historische Anmerkungen zu diesem aus heutiger Sicht befremdlichen Vorgang mögen nun ausgesprochen sein:

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Bereits seit dem Jahr 845 gab es in Hamburg keinen Bischof mehr. Dennoch blieben adlige Domherren dort, die in dem ihnen zustehenden Bezirk Unabhängigkeit von jedwedem weltlichen Recht genossen. Die aufblühende Hafen- und Handelsstadt barg mithin in ihren Mauern ein exterritoriales Gebiet, das der Bürgerschaft wenig Nutzen und manchen Ärger einbrachte.

Die bremische Enklave wurde im Zuge der Reformation, wie die Stadt Hamburg, lutherisch, wobei alle Privilegien erhalten blieben. Im Westfälischen Frieden von 1648 kam der Dom – wie auch die Mutterkirche in Bremen – an Schweden; ab 1719 gehörte das Areal zum Kurfürstentum Hannover und war faktisch – wegen der herrscherlichen Personalunion mit London – seitdem der britischen Krone untertan. Die gottesdienstliche Versorgung erfolgte durch hamburgische Pastoren und Kirchenmusiker (z.B. Thomas Tallis, Johann Mattheson und Georg Philipp Telemann), aber wegen der Nichtzugehörigkeit zur Freien und Hansestadt erhielt der Dom niemals den Status einer Hauptkirche.

Für die Händler, die rund um das Gemäuer ihre Waren verkauften, war das Gotteshaus vor allem bei Regenwetter praktisch. Dann zogen sie, namentlich die Tischler, mit ihren Ständen in eine Halle, die im spätgotischen Stil nördlich Ende des Mittelalters angebaut worden war, den sogenannten „Schappendom“, von niederdeutsch „Schapp“ = „Schrank“. Ansonsten kümmerte sich die hannoversche Regierung aber so gut wie gar nicht um den Erhalt des Geländes: Kirche und umliegende Gebäude verfielen, manche Ecken mussten baupolizeilich abgesperrt werden.

Spätestens mit dem stattlichen hellen Neubau der Michaeliskirche, der 1762 eingeweiht werden konnte, sah man den gesamten Dombezirk als städtebaulichen Schandfleck an. Der Stadtrat startete 1772 eine Initiative mit dem Ziel, das Areal käuflich zu erwerben. Weil man aber eine diplomatische Auseinandersetzung mit dem Handelspartner England scheute, wurde daraus nichts. Der durch die hannoversche Regierung 1784 veranlasste Ausverkauf der bis dahin frei zugänglichen Dombibliothek mit kostbaren und einzigartigen Dokumenten zur hamburgischen Geschichte erzürnte viele kulturbeflissene Bürger und zeigte zugleich, wie sehr mit der überkommenen Domfreiheit auch insgesamt das „alte gotische Gebäude des Reiches“ am Ende war. Die dämlichen Dömlinge vor Ort passten allen aufklärerisch Gesinnten da nur zu gut ins Bild.

Als mit dem Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 die geistlichen Territorien aufgelöst wurden und infolgedessen der Dom an die Stadt Hamburg fiel, war kein Halten mehr. Bereis im Januar 1804 beschloss der Stadtrat den Abriss der „dunklen Höhle“, im Laufe des Jahres 1805 barg man die Gebeine aus den Gräbern im Kirchengebäude, um sie auf umliegenden Friedhöfen neu zu bestatten. Einen Großteil des Inventars verkaufte man, nur weniges brachte man in anderen Kirchen oder in Museen unter. Künstler wie Ludwig Tieck und Philipp Otto Runge suchten den verschwindenden Ort auf, machten Aufzeichnungen und blickten zwar romantisierend, aber keineswegs wehmütig auf die fortschreitend zur Ruine sich wandelnde Stätte.

Ende 1806, einige Monate nach dem Abschied des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation aus der Weltgeschichte, war von dem gotischen Ungetüm nur noch ein Schutthaufen übrig. Auch der wurde abgetragen, und man grub sogar die Fundamente aus, einesteils der Steine wegen, andernteils, um ein für allemal vollendete Tatsachen zu schaffen und den Regensburger Beschluss von 1803 wirklich unumkehrbar zu machen.

Kirchenorganisatorisch empfand man allgemein Genugtuung. Ein Gotteshaus ohne feste Gemeinde war nun endlich weg, ein alter Zopf erfolgreich abgeschnitten. Später erging es anderen sakralen Gebäuden ähnlich: Das Johanniskloster und die Magdalenenkirche machte man in den 1820er und 1830er Jahren ebenso dem Erdboden gleich, wenn auch unter deutlich vernehmbaren Protesten. Denn nach den Befreiungskriegen begann in ganz Deutschland eine Rückbesinnung auf die eigene Geschichte; die Auffindung der originalen Baupläne zum Kölner Dom leitete eine neugotische Bewegung unter den Architekten ein. Nach dem Hamburger Stadtbrand von 1842 schleifte man die Ruine der Nikolaikirche und errichtete dort einen riesigen Kirchenneubau, gotischer, als das Vorgängergebäude (geschweige denn der verschwundene Dom) es jemals gewesen war. Mit dem Rathausturm aus den 1880er Jahren wurde dann die Anzahl der Türme im Stadtbild wieder komplettiert.

Auf einem winzigen Rest von Steinen kann man sitzen, einsam und allein den Träumen an eine große Vergangenheit nachhängend. Ruderalvegetation wie jener Gewöhnliche Löwenzahn lässt uns in je neuer Gegenwart aber auch den rudus, den „Schutt“ vor Augen führen, von dem sich die Altvorderen einst befreiten. Der alte Hamburger Dom lebt folgerichtig genau dort weiter, wo ihn die Stadtväter Ende des neunzehnten Jahrhunderts in seiner nützlichen und unterhaltsamen Version installierten: auf dem Heiligengeistfeld, in freier geschäftstüchtiger und konsumorientierter Entfaltung. Die klerikale Fassung zog um nach St. Georg, wo heutzutage die gelungene bauliche Vereinigung von Neuromanik, Wiederaufbauarchitektur nach dem Zweiten Weltkrieg und jüngsten Renovierungen beeindruckt. Oder sie zeigt sich als Mahnung an die Schrecken des Feuersturms von 1943 am heutigen Turm von St. Nikolai.

Ein Gleichnis auf die deutsche Geschichte der letzten zweihundertfünfzig Jahre? Durchaus. Und auch ein Fingerzeig auf all die Kirchengebäude, die heutzutage entwidmet werden, weil ihnen die sie einstmals füllenden Gottesdienstgemeinden abhandenkamen. Wie ist es um die christliche Prägung unserer bundesdeutschen Gesellschaft derzeit eigentlich bestellt? Dies zu fragen sine ira et studio brächte vielleicht einen Zuwachs an Erkenntnis: und sei es nur im unverwandten Blick in den Untergrund am Hamburger Speersort, hinab zum letzten verbliebenen Mauerrest, den der Löwenzahn so oder so als rudimentär dömlich ausweist.

Felix Mendelssohn

Eine Skizze zu seinem Geburtstag

Felix Mendelssohn Bartholdy wurde am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren und wuchs in einer Bankiersfamilie auf. Sein Großvater war der jüdische Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester Fanny und weiteren Geschwistern wurde der junge Felix nach der durch die napoleonische Besetzung erzwungenen Übersiedlung zu Verwandten nach Berlin dort ab 1811 sorgfältig erzogen. Die mozarthaften Wunderkinder erregten bald Aufsehen. 1816 ließen die Eltern sie evangelisch taufen. Reformatorisches Bekenntnis hat Mendelssohns tiefe Frömmigkeit zeit seines Lebens geprägt, bis zu seinem frühen Tod mit achtunddreißig Jahren in Leipzig am 4. November 1847.

Abraham Mendelssohn hatte das nötige Kleingeld, seinen begabten Kindern viele Bildungs- und Konzertreisen durch halb Europa zu ermöglichen: in die Schweiz, nach Frankreich und Italien sowie nach England und Schottland. Felix Mendelssohn hat auch als Erwachsener auf den britischen Inseln seine größten künstlerischen Triumphe vor einer riesigen dankbaren Zuhörerschaft gefeiert. Die Reiseeindrücke flossen in Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ (darin unter vielen anderen Hits der weltberühmte „Hochzeitsmarsch“), die Hebriden-Ouvertüre oder die Schottische Sinfonie ein.

Die eigene musikaliensammelnde Verwandtschaft und der Leiter der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter, machten Mendelssohn mit Bachs Matthäuspassion bekannt. Auch sonst ist allenthalben schon beim ganz jungen Komponisten eine intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel zu erkennen. Seine Wiederaufführung der „großen Passion“ des alten Thomaskantors im Jahre 1829 ist ein Meilenstein der musikalischen Wirkungsgeschichte. Mendelssohn hat damit, als gerade Zwanzigjähriger, etwas mehr als hundert Jahre, nachdem dieses Hauptwerk abendländischer Passionsmusik 1727 erstmals erklungen war, die öffentliche umfassende Bach-Renaissance eingeleitet; sie dauert an bis in unsere Tage.

Mendelssohn hat sich zeit seines kurzen glanzvollen Lebens stets für Kollegen seiner Zunft eingesetzt, indem er ihre Werke aufführte, nachempfand oder anderweitig bekanntmachte: Dazu zählten Hector Berlioz, Franz Liszt, Robert Schumann und auch Richard Wagner. Vergleichen wir etwa dessen Holländer-Ouvertüre mit der Einleitung zum Oratorium „Elias“, so merken wir, wie nahe sich der Leipziger Gewandhauskonzertdirektor und sein neidischer musikdramatischer Nachbar in Dresden manchmal waren.

Ganz bewusst komponierte Mendelssohn ein ausgesprochen musikhistorisches Moment in seine Werke ein. So klingt im Oratorium „Paulus“ Bachs Johannespassion nach. Der erste Satz seiner „Italienischen“ atmet Mozarts lichten Geist. Im „Lobgesang“, gezählt als zweite Symphonie, treten Chor und Vokalsolisten hinzu, ganz nach dem Vorbild von Beethovens Neunter.

Eigene unverwechselbare Zeichen hat Mendelssohn in der Klavier- und Orgelmusik gesetzt: Die „Lieder ohne Worte“ sind quasi seine Erfindung. Und die sechs Orgelsonaten markieren den Beginn einer romantischen Tradition, die vor allem im französischen Sprachraum bei César Franck, Charles-Marie Widor oder Louis Vierne zu hoher Blüte gelangte.

Es gibt so gut wie keine musikalische Gattung, die von Mendelssohn unbeachtet blieb. Er ist einer der letzten Komponisten, die ganz universell dachten und schufen, in der Kirchenmusik wie im Opernfach, in Liedern wie in Solokonzerten, in Motetten, Kantaten, Oratorien, Chören (z.B. „O Täler weit, o Höhen“ oder „Denn er hat seinen Engeln befohlen“) Sinfonien, Schauspielmusiken, Streichquartetten und sonstigen kammermusikalischen Werken.

Die Fülle seines Schaffens erwuchs, ähnlich wie bei Mozart, aus einer gediegenen Allgemeinbildung, die vor allem einen entschiedenen Sinn für die jeweilige Form ausbildete. Was Kritiker meinten, als allzu „glatt“ bemängeln zu müssen, war tatsächlich immer neu hart erarbeitet. Mendelssohn strich, verwarf und korrigierte stets bis zur Drucklegung seiner Kompositionen – und oft noch darüber hinaus, sehr zum Leidwesen der Verleger.  Hierin ähnelte er seinem Kollegen Frédéric Chopin: Nie war er zufrieden.

Felix Mendelssohn, glücklich verheiratet mit der Tochter eines Hugenottenpredigers aus Frankfurt am Main und Vater vieler Kinder, galt zu Lebzeiten und noch viele Jahrzehnte danach als ein geniales Glückskind, das den öffentlichen Musikbetrieb im biedermeierlichen Deutschland schöpferisch und organisatorisch ungemein bereichert hatte. Kein Männerchor im wilhelminischen Zeitalter, der nicht seine Lieder sang; kein Bachverein, der nicht seine kirchenmusikalischen Werke aufführen wollte; kein Konzertpublikum, das nicht nach seinen Ouvertüren und Sinfonien verlangte.

Dass er kein Titan wie Beethoven, kein Grübler wie Brahms, kein Neutöner wie Liszt war – geschenkt. Verhängnisvoll sollte sich im Fortgang seiner Rezeptionsgeschichte allein der Umstand erweisen, dass er aus einer jüdischen Familie stammte. Die Nazis kannten ja selbst dann keine Gnade, wenn die von ihnen Geächteten längst zum Christentum konvertiert waren – weil bei ihnen überhaupt gar kein Glaube zählte, sondern bloß dumpf das Blut. Das Mendelssohn-Fenster in der Leipziger Thomaskirche verarbeitet diese böse Fama sehr eindrücklich.

So wurde das beliebte e-Moll-Violinkonzert aus dem öffentlichen Musikbetrieb verdrängt, indem man Robert Schumanns d-Moll-Violinkonzert zu etablieren suchte: 1937 wurde dieses Stück, das im 19. Jahrhundert niemand aufführen wollte, erstmals dem Publikum dargeboten. Die Perfidie, noch post mortem Keile zu treiben zwischen Kollegen, die sich im wirklichen Leben geschätzt und unterstützt hatten, ist vielleicht nur ein kleiner Aspekt in dem sich damals schon manifestierenden Grauen der 1940er Jahre – aber eben einer unter unzähligen Schritten, die den aufrichtigen Geist einer zwar unpolitisch-vormärzlichen, aber in sich selbst zutiefst humanen Kultur niedergetrampelt und zertreten haben.

Mendelssohn hat es auch im Nachkriegsdeutschland schwer gehabt. Man traute dem stilistischen Alleskönner nicht recht über den Weg. Wer jedoch die feinsinnige Klangwelt mit durchaus aufbegehrenden Momenten etwa in der „Walpurgisnacht“ oder im c-Moll-„Sinfoniesatz“ zusammenhört, wird nicht umhinkönnen, in ihm einen europäischen Weltbürger zu entdecken, der die heutzutage so gern vollmundig betonte „Vielfalt“ nicht als propagandistisch aufgemotztes Neusprech übergriffig missbraucht, sondern leise und unausdrücklich, schlicht und einfach, gebildet und kunstreich: wirklich GELEBT hat.

Primus insta grammes: Eine Wiederaufnahme

Vor zweieinhalb Jahren ließ ich meine geneigte Leserschaft teilhaben an den atemberaubenden Photographien des Instagrammers Rick Derneburg. Mittlerweile ist sein Account aus dem weitverzweigten Reich derer von und zu Zuckerberg verschwunden. Wenn ich recht informiert bin, dann hat der Künstler selbst aus freien Stücken sein Konto dort gelöscht. Die schönsten der Bilder allerdings sind – mit seiner Zustimmung – dank meiner seinerzeit erfolgten Veröffentlichung in diesem Weblog der Nachwelt erhalten geblieben.

Lange habe ich überlegt, ob ich mich aufraffen soll, meinen Beitrag von Ende Dezember 2018 hier ein zweites Mal einzustellen. Den Ausschlag FÜR diese Vorgehensweise gab schließlich ein gewisses Unbehagen an der eigenen letzten Nummer von vor einem Monat: Die durchaus ansehnlichen Schnappschüsse aus privatem Gartenreich werden ja textlich so gut wie unbegleitet präsentiert. Solch eine Sprachlosigkeit mag ich mir selber auf Dauer nicht durchgehen lassen. So will ich den Ursprungsfaden wieder aufnehmen und dafür eben einen älteren Text in Erinnerung rufen. Keinesfalls möchte ich den Eindruck erwecken, es gebe hier nichts mehr zu sagen.

Freilich beschleicht mich genau diese dunkle Ahnung im Blick auf coronatische Eingriffe, von denen niemand vor zweieinhalb Jahren eine auch nur klitzekleine Vorstellung haben konnte. In dem weiter unten nochmals präsentierten Bilderbogen nebst nettem Fließtext wird nämlich unter anderem freier Reiseverkehr ohne Flugscham vorausgesetzt. Auch die unmaskierte zwischenmenschliche Begegnung ist unausdrücklich stets eingepreist.

Das sollte sich klarmachen, wer nun die originalen Zeilen zwischen den bunten Bildchen und diese selbst sich zu Gemüte führt. Ein Zeitdokument ersteht vor unseren betrachtenden, lesenden und verstehenden Augen. Ob es sich hierbei tatsächlich um die letzten Zuckungen weitgebrachter überlebter Kultur handelt, oder ob ein unterschwelliger Humor das abendmorgenländische Weltganze doch noch umzuwenden vermag, sollte zwischen China und Troja sowie allem, was ideell wie reell dazwischen ist, gütlich entschieden werden.

Hier ist nun der Beitrag. Wir wünschen gute Unterhaltung!

Jeder will heutzutage ein Star sein. Wer sich nicht zum Tonfilmmagazin Youtube traut, wagt vielleicht eine stille Karriere beim Weltbebilderer Instagram. Dort kann sich auch der Provinziellste unter die Leute mischen, sich den Reichen und den Schönen zugehörig fühlen.

Schon beim bloßen Betrachten der bunten Fotografien sehe ich mich auf einer Stufe mit Jet-Set-Menschen, die, wenn sie nicht gerade im Gym ihre Luxuskörper durchtrainieren, mal eben nach Dubai fliegen (mit Nächtigung in diesem irre berühmten Segelhotel, das eigentlich in Bremerhaven steht) oder in Sydney vor dem Opernhaus posieren (Betonung liegt auf „vor“).

Seitdem ich selber einen Instagramaccount besitze (unter meinem richtigen Namen! Besuchen und liken Sie doch mal die Bilder bei feo_eccard!), habe auch ich Abonnenten und bin Abonnements eingegangen. Fleißig verteile ich rote Herzchen (bei Facebook wären das die hochgereckten Daumen) an alles, was mir bei meinen Followern gefällt.

Besonders gern habe ich einen gewissen Rick Derneburg, der als rick_derneburg unterwegs ist. Kein Land, das er nicht schon bereist hätte. Ob China

china

oder Thailand,

thailand

er kennt alle noch so entlegenen Winkel dieser Erde. Als kundigen Bonvivant zieht es ihn in dieser dunklen Jahreszeit natürlich auf die uns gegenüberliegende Erdhalbkugel. Dort herrscht nach einem lieblichen Frühling jetzt strahlender Sommer. Den Lenz hat er in diesem atmosphärisch dichten Shot festgehalten:

südhalbkugel

Aber nicht nur in Fernost oder südlich des Äquators ist Rick Derneburg ein kulturschlürfender Stammgast; auch in den rauhen Gefilden im romanisch-gotischen Frankreich

frankreich

oder im schroffen gruseligen England (nur der Rasen ist gepflegt),

england

ja auch im andalusischen Cordoba

cordoba

kennt er sich bestens aus. Die blicksichere Raffinesse seiner Schnappschüsse zeugt von innerer Souveränität des fotografierenden Subjekts und zugleich von intimer Vertrautheit mit den fotografierten Objekten. Was auch immer dem Globetrotter vor die Linse kommt – es wächst nachgerade unmerklich und doch so bezwingend wirkmächtig über sich beziehungsweise ihn hinaus zu edler Einfalt und stiller Größe. Unter diesem Winckelmannschen Kriterium lässt sich jede stadtrömische Kirche noch einmal ganz neu in Augenschein nehmen, so wie diese hier:

rom

Und was das Beste an diesem begnadeten Instagrammer ist: Er zeigt uns auch hin und wieder die öden Seiten der ansonsten zu Weltattraktionen hochgejazzten Sehnsuchtsorte. Sein jüngstes Posting ist derart sprechend, dass dahinter alles, was Sie bisher über Venedig zu wissen glaubten, schleunigst verblassen muss:

venedig

Ach, werden nun einige Schlauberger sagen, das soll etwa die Seufzerbrücke in der Serenissima sein? Und der Klotz mit dem gewellten Dach hinten links gar der Dogenpalast? – Nun sehe ich doch nochmal genauer hin und – ähm – bemerke: Ich hatte wohl einen leichten Knick in der Optik. Aber Rick Derneburg ist daran mitnichten schuld. Brav und bodenständig, wie er ist, hat er seine Bilder wahrheitsgemäß beschriftet. Nur wollte ich das nicht lesen. Die Illusion mochte ich mir nicht rauben.

In Wirklichkeit sehen wir also folgendes: Die Nachbildung der Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers, wie sie in der Bremer Überseestadt dieses Jahr in einer weltumspannenden Wanderausstellung zu sehen war; den thailändischen Tempel in Hagenbecks Tierpark zu Hamburg; Frühlingspartie in einem Garten irgendwo in Norddeutschland; romanisch-gotische Säulenkapitelle im Kreuzgang der Michaeliskirche zu Hildesheim; Kreuzgang von Stift Börstel im Osnabrücker Land; Detail aus dem ottonischen Innenraum wiederum der Hildesheimer Michaeliskirche; Rotunde der St.-Lamberti-Kirche zu Oldenburg (Oldb); und dann das allerklassischste Fotomotiv aus der Hamburger Speicherstadt.

Nach diesen ernüchternden Erkenntnissen bin ich mir selbst gegenüber misstrauisch geworden. Sogar dieses eine Foto, das so aussieht wie ein Blick von der Ausgrabungsstätte Troja hinüber zu den Dardanellen, ist wohl ein inneres Fake meiner trügerischen Wahrnehmung:

zu hause auf dem schemel

Ich interpretiere es als Schemel vor der Haustür des Instagramstars Rick Derneburg, auf den er sich zur Erholung gern setzt, um die herrliche Aussicht über die Norddeutsche Tiefebene in vollen Zügen zu genießen.

Soweit dieser Beitrag. Die Diskussion ist eröffnet.

Felix Mendelssohn zum Geburtstag

Eine Skizze

Felix Mendelssohn Bartholdy wurde vor zweihundert und einem Dutzend Jahren am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren und wuchs in einer Bankiersfamilie auf. Sein Großvater war der jüdische Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester Fanny und weiteren Geschwistern wurde der junge Felix nach der durch die napoleonische Besetzung erzwungenen Übersiedlung zu Verwandten nach Berlin dort ab 1811 sorgfältig erzogen. Die mozarthaften Wunderkinder erregten bald Aufsehen. 1816 ließen die Eltern sie evangelisch taufen. Reformatorisches Bekenntnis hat Mendelssohns tiefe Frömmigkeit zeit seines Lebens geprägt, bis zu seinem frühen Tod mit achtunddreißig Jahren in Leipzig am 4. November 1847.

Abraham Mendelssohn hatte das nötige Kleingeld, seinen begabten Kindern viele Bildungs- und Konzertreisen durch halb Europa zu ermöglichen: in die Schweiz, nach Frankreich und Italien sowie nach England und Schottland. Felix Mendelssohn hat auch als Erwachsener auf den britischen Inseln seine größten künstlerischen Triumphe vor einer riesigen dankbaren Zuhörerschaft gefeiert. Die Reiseeindrücke flossen in Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ (darin unter vielen anderen Hits der weltberühmte „Hochzeitsmarsch“), die Hebriden-Ouvertüre oder die Schottische Sinfonie ein.

Die eigene musikaliensammelnde Verwandtschaft und der Leiter der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter, machten Mendelssohn mit Bachs Matthäuspassion bekannt. Auch sonst ist allenthalben schon beim ganz jungen Komponisten eine intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel zu erkennen. Seine Wiederaufführung der „großen Passion“ des alten Thomaskantors im Jahre 1829 ist ein Meilenstein der musikalischen Wirkungsgeschichte. Mendelssohn hat damit, als gerade Zwanzigjähriger, etwas mehr als hundert Jahre, nachdem dieses Hauptwerk abendländischer Passionsmusik 1727 erstmals erklungen war, die öffentliche umfassende Bach-Renaissance eingeleitet; sie dauert an bis in unsere Tage.

Mendelssohn hat sich zeit seines kurzen glanzvollen Lebens stets für Kollegen seiner Zunft eingesetzt, indem er ihre Werke aufführte, nachempfand oder anderweitig bekanntmachte: Dazu zählten Hector Berlioz, Franz Liszt, Robert Schumann und auch Richard Wagner. Vergleichen wir etwa dessen Holländer-Ouvertüre mit der Einleitung zum Oratorium „Elias“, so merken wir, wie nahe sich der Leipziger Gewandhauskonzertdirektor und sein neidischer musikdramatischer Nachbar in Dresden manchmal waren.

Ganz bewusst komponierte Mendelssohn ein ausgesprochen musikhistorisches Moment in seine Werke ein. So klingt im Oratorium „Paulus“ Bachs Johannespassion nach. Der erste Satz seiner „Italienischen“ atmet Mozarts lichten Geist. Im „Lobgesang“, gezählt als zweite Symphonie, treten Chor und Vokalsolisten hinzu, ganz nach dem Vorbild von Beethovens Neunter.

Eigene unverwechselbare Zeichen hat Mendelssohn in der Klavier- und Orgelmusik gesetzt: Die „Lieder ohne Worte“ sind quasi seine Erfindung. Und die sechs Orgelsonaten markieren den Beginn einer romantischen Tradition, die vor allem im französischen Sprachraum bei César Franck, Charles-Marie Widor oder Louis Vierne zu hoher Blüte gelangte.

Es gibt so gut wie keine musikalische Gattung, die von Mendelssohn unbeachtet blieb. Er ist einer der letzten Komponisten, die ganz universell dachten und schufen, in der Kirchenmusik wie im Opernfach, in Liedern wie in Solokonzerten, in Motetten, Kantaten, Oratorien, Chören (z.B. „O Täler weit, o Höhen“ oder „Denn er hat seinen Engeln befohlen“) Sinfonien, Schauspielmusiken, Streichquartetten und sonstigen kammermusikalischen Werken.

Die Fülle seines Schaffens erwuchs, ähnlich wie bei Mozart, aus einer gediegenen Allgemeinbildung, die vor allem einen entschiedenen Sinn für die jeweilige Form ausbildete. Was Kritiker meinten, als allzu „glatt“ bemängeln zu müssen, war tatsächlich immer neu hart erarbeitet. Mendelssohn strich, verwarf und korrigierte stets bis zur Drucklegung seiner Kompositionen – und oft noch darüber hinaus, sehr zum Leidwesen der Verleger.  Hierin ähnelte er seinem Kollegen Frédéric Chopin: Nie war er zufrieden.

Felix Mendelssohn, glücklich verheiratet mit der Tochter eines Hugenottenpredigers aus Frankfurt am Main und Vater vieler Kinder, galt zu Lebzeiten und noch viele Jahrzehnte danach als ein geniales Glückskind, das den öffentlichen Musikbetrieb im biedermeierlichen Deutschland schöpferisch und organisatorisch ungemein bereichert hatte. Kein Männerchor im wilhelminischen Zeitalter, der nicht seine Lieder sang; kein Bachverein, der nicht seine kirchenmusikalischen Werke aufführen wollte; kein Konzertpublikum, das nicht nach seinen Ouvertüren und Sinfonien verlangte.

Dass er kein Titan wie Beethoven, kein Grübler wie Brahms, kein Neutöner wie Liszt war – geschenkt. Verhängnisvoll sollte sich im Fortgang seiner Rezeptionsgeschichte allein der Umstand erweisen, dass er aus einer jüdischen Familie stammte. Die Nazis kannten ja selbst dann keine Gnade, wenn die von ihnen Geächteten längst zum Christentum konvertiert waren – weil bei ihnen überhaupt gar kein Glaube zählte, sondern bloß dumpf das Blut. Das Mendelssohn-Fenster in der Leipziger Thomaskirche verarbeitet diese böse Fama sehr eindrücklich.

So wurde das beliebte e-Moll-Violinkonzert aus dem öffentlichen Musikbetrieb verdrängt, indem man Robert Schumanns d-Moll-Violinkonzert zu etablieren suchte: 1937 wurde dieses Stück, das im 19. Jahrhundert niemand aufführen wollte, erstmals dem Publikum dargeboten. Die Perfidie, noch post mortem Keile zu treiben zwischen Kollegen, die sich im wirklichen Leben geschätzt und unterstützt hatten, ist vielleicht nur ein kleiner Aspekt in dem sich damals schon manifestierenden Grauen der 1940er Jahre – aber eben einer unter unzähligen Schritten, die den aufrichtigen Geist einer zwar unpolitisch-vormärzlichen, aber in sich selbst zutiefst humanen Kultur niedergetrampelt und zertreten haben.

Mendelssohn hat es auch im Nachkriegsdeutschland schwer gehabt. Man traute dem stilistischen Alleskönner nicht recht über den Weg. Wer jedoch die feinsinnige Klangwelt mit durchaus aufbegehrenden Momenten etwa in der „Walpurgisnacht“ oder im c-Moll-„Sinfoniesatz“ zusammenhört, wird nicht umhinkönnen, in ihm einen europäischen Weltbürger zu entdecken, der die heutzutage so gern vollmundig betonte „Vielfalt“ nicht als propagandistisch aufgemotztes Neusprech übergriffig missbraucht, sondern leise und unausdrücklich, schlicht und einfach, gebildet und kunstreich: wirklich GELEBT hat.

Foto: Felix Mendelssohn: aus den „Sieben Charakterstücken“ Opus 7 (1827-1829)

Primus insta grammes

Jeder will heutzutage ein Star sein. Wer sich nicht zum Tonfilmmagazin Youtube traut, wagt vielleicht eine stille Karriere beim Weltbebilderer Instagram. Dort kann sich auch der Provinziellste unter die Leute mischen, sich den Reichen und den Schönen zugehörig fühlen.

Schon beim bloßen Betrachten der bunten Fotografien sehe ich mich auf einer Stufe mit Jet-Set-Menschen, die, wenn sie nicht gerade im Gym ihre Luxuskörper durchtrainieren, mal eben nach Dubai fliegen (mit Nächtigung in diesem irre berühmten Segelhotel, das eigentlich in Bremerhaven steht) oder in Sydney vor dem Opernhaus posieren (Betonung liegt auf „vor“).

Seitdem ich selber einen Instagramaccount besitze (unter meinem richtigen Namen! Besuchen und liken Sie doch mal die Bilder bei feo_eccard!), habe auch ich Abonnenten und bin Abonnements eingegangen. Fleißig verteile ich rote Herzchen (bei Facebook wären das die hochgereckten Daumen) an alles, was mir bei meinen Followern gefällt.

Besonders gern habe ich einen gewissen Rick Derneburg, der als rick_derneburg unterwegs ist. Kein Land, das er nicht schon bereist hätte. Ob China

china

oder Thailand,

thailand

er kennt alle noch so entlegenen Winkel dieser Erde. Als kundigen Bonvivant zieht es ihn in dieser dunklen Jahreszeit natürlich auf die uns gegenüberliegende Erdhalbkugel. Dort herrscht nach einem lieblichen Frühling jetzt strahlender Sommer. Den Lenz hat er in diesem atmosphärisch dichten Shot festgehalten:

südhalbkugel

Aber nicht nur in Fernost oder südlich des Äquators ist Rick Derneburg ein kulturschlürfender Stammgast; auch in den rauhen Gefilden im romanisch-gotischen Frankreich

frankreich

oder im schroffen gruseligen England (nur der Rasen ist gepflegt),

england

ja auch im andalusischen Cordoba

cordoba

kennt er sich bestens aus. Die blicksichere Raffinesse seiner Schnappschüsse zeugt von innerer Souveränität des fotografierenden Subjekts und zugleich von intimer Vertrautheit mit den fotografierten Objekten. Was auch immer dem Globetrotter vor die Linse kommt – es wächst nachgerade unmerklich und doch so bezwingend wirkmächtig über sich beziehungsweise ihn hinaus zu edler Einfalt und stiller Größe. Unter diesem Winckelmannschen Kriterium lässt sich jede stadtrömische Kirche noch einmal ganz neu in Augenschein nehmen, so wie diese hier:

rom

Und was das Beste an diesem begnadeten Instagrammer ist: Er zeigt uns auch hin und wieder die öden Seiten der ansonsten zu Weltattraktionen hochgejazzten Sehnsuchtsorte. Sein jüngstes Posting ist derart sprechend, dass dahinter alles, was Sie bisher über Venedig zu wissen glaubten, schleunigst verblassen muss:

venedig

Ach, werden nun einige Schlauberger sagen, das soll etwa die Seufzerbrücke in der Serenissima sein? Und der Klotz mit dem gewellten Dach hinten links gar der Dogenpalast? – Nun sehe ich doch nochmal genauer hin und – ähm – bemerke: Ich hatte wohl einen leichten Knick in der Optik. Aber Rick Derneburg ist daran mitnichten schuld. Brav und bodenständig, wie er ist, hat er seine Bilder wahrheitsgemäß beschriftet. Nur wollte ich das nicht lesen. Die Illusion mochte ich mir nicht rauben.

In Wirklichkeit sehen wir also folgendes: Die Nachbildung der Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers, wie sie in der Bremer Überseestadt dieses Jahr in einer weltumspannenden Wanderausstellung zu sehen war; den thailändischen Tempel in Hagenbecks Tierpark zu Hamburg; Frühlingspartie in einem Garten irgendwo in Norddeutschland; romanisch-gotische Säulenkapitelle im Kreuzgang der Michaeliskirche zu Hildesheim; Kreuzgang von Stift Börstel im Osnabrücker Land; Detail aus dem ottonischen Innenraum wiederum der Hildesheimer Michaeliskirche; Rotunde der St.-Lamberti-Kirche zu Oldenburg (Oldb); und dann das allerklassischste Fotomotiv aus der Hamburger Speicherstadt.

Nach diesen ernüchternden Erkenntnissen bin ich mir selbst gegenüber misstrauisch geworden. Sogar dieses eine Foto, das so aussieht wie ein Blick von der Ausgrabungsstätte Troja hinüber zu den Dardanellen, ist wohl ein inneres Fake meiner trügerischen Wahrnehmung:

zu hause auf dem schemel

Ich interpretiere es als Schemel vor der Haustür des Instagramstars Rick Derneburg, auf den er sich zur Erholung gern setzt, um die herrliche Aussicht über die Norddeutsche Tiefebene in vollen Zügen zu genießen.

Rank und Schrank mit Schank

Um die knisternde Spannung zu halten, die mein Beitrag „Restposten“ ausgelöst hat, seien heute die eingetroffenen Rückmeldungen mitgeteilt. Sehr herzlich danke ich den unzähligen Freunden, die ihre Beobachtungen kundtaten: Es sind nicht umständlich zu zählende zwei. Die übrigen geneigten Leserinnen und Leser wissen ganz offensichtlich, was das Rätselbild darstellt; sie haben sich entsprechend meiner Bitte vorbildlich zurückgehalten. Ihnen allen meine hohe Anerkennung!

Wir gehen nun in die nächste Etappe. In der einen Antwort wird auf das sich räkelnd rankende taraxacum officinale hingewiesen, außerdem sei „viel Herbst“ auszumachen. Die zweite Zuschrift lautet: „Ich sehe welkenden Löwenzahn auf einem sehr trockenen, lehmigen, zerklüfteten Boden.“

Mauerblümchen im Untergrund. Neues Leben sprosst aus den Ruinen. Wer genau hinsieht, erkennt außerdem weißschimmernde Lichtreflexe. Da scheint die Sonne auf eine Glasschicht – und die bewirkt, dass es zweieinhalb Meter tiefer so gut wie nie regnet. Wir blicken in konserviertes, museal aufbereitetes Terrain, wobei sich der Betrachter selbst unter freiem Himmel befindet.

Über den Ziegelresten lässt sich rasten: So kann man „auf den Steinen sitzen“, zugegebenermaßen viel prosaischer, als das im dritten Teil von Thomas Manns erstem Roman in den Kapiteln sieben und acht beschrieben wird. Ich teile in diesem Zusammenhang jetzt mit, dass sich der Kurbetrieb von Travemünde in der erzählten Zeit – anno 1845 – fest in Hamburger Hand befand. Damit ist nun ein Hinweis auf die lokale Zuordnung des Fotos gegeben.

Ab dem Herbst des Mittelalters dienten Teile jenes Gebäudes, dessen letzter Rest-Pfosten hier aus der Versenkung hervorlugt, als Schranklager. Später, nach der vollständigen Niederlegung seiner Mauern, lebte der Verkauf von Waren aller Art anderswo in der Stadt weiter. Auch die Schankwirte machten auf diesen Märkten ihr einträgliches Geschäft. Bis heute ist das im Grundsatz so geblieben, wenn auch größer, lauter und zeitgeistiger.

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Ich freue mich auf Lösungsvorschläge und bin/bleibe gespannt. Im nächsten Beitrag kommt dann restlose Klarheit. Mir ist bewusst, dass die durch einen gebürtigen Lübecker sprichwörtlich gewordene Wendung „Mehr Demokratie wagen“ bereits von seinem Nachfolger im Amt, einem Hamburger, nach Möglichkeit so abgemildert wurde, dass sie das jeweils Machbare nicht aus dem Blick verlor.  Beteiligungskultur, die das „Sich-Einbringen“ fördert, ist gut und schön – auch wenn dadurch manchmal im Geiste des „Fortschritts“ dann Entscheidungen herbeigeführt werden, die man im nachhinein zutiefst bedauert.

Aber dies ist nun wirklich für heute der allerletzte Tipp zu meiner Fotografie,

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die eben Trümmerreste zeigt, ohne dass es kriegerische oder sonstwie gewaltsame Einwirkungen gab – sondern einzig und allein einen stadträtlichen Beschluss, den seinerzeit tatsächlich alle, die etwas auf sich hielten, erleichtert bejahten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hommage à Melante

Ehrung, gar: Laudatio? Er, der sich anagrammatisch „Melante“ zu nennen beliebt und darin in seiner ihm eigenen bestgelaunten Art so etwas wie Italianità francophone betont, gilt nach seinem Hinscheiden über zwei Jahrhunderte hinweg als absolutes No go: zopfig verdorben, stilistisch unbestimmbar (ergo charakterlos), rokokoüberbordend flach & cetera …

Wer über Georg Philipp Telemann (*14. März 1681 in Magdeburg / +25. Juni 1767 in Hamburg) spricht, kommt weder an postmortal einsetzender Verachtung noch an zu eigenen Lebzeiten und dann wieder ab dem zwanzigsten Jahrhundert gepflegter Hochschätzung seines Werkes vorbei. Aus beidem ergibt sich Maß und Mitte für eine hier versuchte skizzenhafte Würdigung.

Wäre eine Lobrede auf ihn noch so kurz: Im neunzehnten Jahrhundert hätte selbst dem Musikkundigsten nicht allzuviel einfallen dürfen. In einem Lexikon von 1878 steht über ihn zu lesen: Er „brachte […] es mit seiner Vielschreiberei wohl zu einer Unzahl von Werken, aber es waren keine künstlerischen Schöpfungen, sondern Fabrikwaare.“ Und 1884 urteilt ein Kritiker: „Telemann kann entsetzlich bummelich [sic!] schreiben, ohne Kraft und Saft, ohne Erfindung, er dudelt ein Stück wie das andere herunter.“

Seine Zeitgenossen haben das ganz anders gesehen. Da hätte jeder noch so ausführliche Panegyrikos nicht ausgereicht, ihn qualitativ adäquat zu fassen. Johann Mattheson – seines Zeichens Universalgenie in Hamburg und also unter anderem auch Musikkritiker dortselbst – dichtet 1740 über den im sechzigsten Lebensjahr stehenden Komponisten: „Ein Lulli wird gerühmt; Corelli lässt sich loben; / nur Telemann allein ist übers Lob erhoben.“

Der damals schon ertaubte Mattheson (*1681 [also gleichaltrig mit Melante] in Hamburg / +1764 ebenda) beschreibt hier eine stilhistorisch aufsteigende Linie: Auf den gepriesenen Italo-Franzosen Giovanni Battista Lulli = Jean-Baptiste Lully (*1632 in Florenz / +1687 in Paris) und den zu preisenden Italiener Arcangelo Corelli (*1653 in Fusignano / +1713 in Rom) folgt der Preissieger aus dem deutschen Tor zur Welt. So sieht womöglich eine wirklich europäische Geschichtsschreibung aus!

Ein erschreckend-erstaunlicher Lebenslauf

Die einzelnen äußeren Lebensstationen von Telemanns schon früh einsetzender musikalischer Wirksamkeit deuten indes nicht notwendigerweise auf Internationalität oder wenigstens Weltbürgerlichkeit hin: Magdeburg, Zellerfeld (tiefste Harzlandschaft), Hildesheim, Leipzig, Sorau (Schlesien), Eisenach, Frankfurt am Main, Hamburg. Dennoch ist da von Anfang an mehr.

Schon in Magdeburg komponiert und inszeniert er eine Oper, mit sich selber in der Hauptrolle. Daraufhin erfolgt seine Verbannung in den Harz und Vorharz, zunächst in die Obhut eines Superintendenten, der mit Telemanns früh verstorbenem Vater ehedem in Helmstedt studiert hat; aus dem Jungen soll schließlich etwas Ordentliches werden, nicht so ein Musikus-Luftikus. Doch auch dort und später am Andreanum, an der evangelischen Lateinschule zu Hildesheim, lässt Georg Philipp „das Mausen nicht“ (wie es im Text von J.S. Bachs Kaffeekantate einst instinktanalytisch heißen wird).

Im Oberharz und in der konfessionell geteilten Reichsstadt findet Telemann, der mütterlicher- wie väterlicherseits aus Pastorenfamilien herstammt, sowohl subversive als auch offensive Gelegenheiten für fruchtbares Komponieren. Anregungen erhält er durch Hofmusiken im französischen Stil, die er bei Konzertbesuchen in Braunschweig und Hannover erlebt. Seine Begabungen werden allseits wahrgenommen und gelobt: Er darf dann beispielsweise sogar in römisch-katholischen Gottesdiensten der Hildesheimer Godehardikirche Kantaten aufführen – ein früher Fall von Ökumene …

Die ob der keineswegs weniger gewordenen Musikalität des Knaben erschreckte Familie bleibt in größter Sorge. Nach der Rückkehr in seine Geburtsstadt nimmt die Mutter ihrem Sohn das Versprechen ab, fortan nur noch vernünftig zu sein und in Leipzig brav Jura zu studieren. Noten und Musikinstrumente muss er zu Hause lassen. Telemann findet das nicht sooo sonderlich schlimm: Der eigene Sinn für Melodien und Harmonien lebt notfalls im Kopf, woraus sich spontan und flexibel neue Stücke erfinden sowie niederschreiben lassen – und spielen kann man schließlich auch auf Instrumenten jeweils vor Ort.

Lebensklug und listig zugleich ist ihm alles recht und eigentümlich leicht zu erreichen, was der Karriere seines in Planung befindlichen Musikerlebens dient. In Halle an der Saale trifft der junge Mann den sechzehnjährigen Georg Friedrich Händel (*1685 in Halle a.S. / +1759 in London) – und ergibt sich in seinem avisierten Studienort recht bald ausschließlich der ars musica. Er gründet ein Studentenorchester, jenes Collegium musicum, mit dem später dann auch Johann Sebastian Bach (*1685 in Eisenach / +1750 in Leipzig) arbeitet. Außerdem bringt es Telemann dort in Leipzig zum Leiter des Opernhauses und sogar bis zum Titel eines Kirchenmusikdirektors. Mit dreiundzwanzig Jahren!

Es folgt eine Zeit in der Welt adliger Provinz: selbstauferlegte Klausur sozusagen, zum vorbedachten Behuf, sich in der eigenen Kunst weiterzubilden und zu vervollkommnen. Am Hof im schlesischen Sorau pflegt man die französische Musik – und Telemann macht von dort Ausflüge in die Gasthöfe, wo abends die einfachen Leute vom Lande mit Fiedel, Laute oder Dudelsack ihre melodisch, harmonisch und rhythmisch unverwechselbaren Tänze spielen und dazu singen. Auch bereist der allseits interessierte Musiker die polnische Königsstadt Krakau und lässt sich hier wie dort inspirieren von der slawischen Volksmusik – lange vor Chopin und Bartók …

Vielen seiner Melodien hört man diese Herkunft an: Deren Fundus allein hätte für ein durchschnittliches Komponistenleben reichen können. Aber Melante will eben mehr als das, und als er ein erstes Mal geheiratet hat, geht er an den Hof von Eisenach. Auf einer Reise nach Weimar lernt er den dortigen Kapellmeister Bach kennen. Man freundet sich an, und noch aus der Ferne – der nachmals Goetheschen Distanz von Frankfurt zum thüringischen Musenhof – entspringt diesem Musikerbund (im Jahr 1714) eine Patenschaft zum zweitältesten Bachsohn: Daher der Philipp zwischen Carl und Emanuel … Jahrzehnte später noch für den mittlerweile allseits hochgelobten „großen Bach“ (*1714 in Weimar / +1788 in Hamburg) gewiss ein Vorteil, um in Hamburg Telemanns Nachfolger im Amt des Director musices tatsächlich zu werden.

Doch von der schönsten Großstadt der Welt ist in den 1710er Jahren in Thüringen noch nicht die Rede. Der Tod der Gattin nach der Geburt einer Tochter ist zu betrauern. Telemann will weg, braucht dringend Luftveränderung. Der in Leipzig erworbene Titel verschafft ihm 1712 die Stelle des Director musices in der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main. Hier heiratet er zum zweitenmal; viele Söhne und Töchter gehen aus dieser Ehe hervor; keines der Kinder zieht es beruflich zur Musik; erst der Enkel Georg Michael (*1748 in Plön / +1831 in Riga, Spross von Pastor Andreas Telemann [1715-1755], nach dem Tod des Vaters vom Großvater erzogen), setzt die Profession fort, zwischenzeitlich als Vertretung für den verstorbenen Opa in Hamburg (bis zur Ankunft von CPE Bach im Jahr 1768), zuletzt als komponierender Musikdirektor, Kantor und Organist in Riga …

Die Mainmetropole hält viele verschiedene Anlässe bereit, Musik gewissermaßen auf der Durchreise kennenzulernen: Zu den Messezeiten quillt die Stadt über von Gästen, die sich gern unterhalten lassen durch Konzerte, Theater- und Opernaufführungen von gastweise anwesenden Klangkörpern aus der näheren und weiteren Umgebung. Man ist in dieser städtischen Gesellschaft großzügig und weitherzig gegenüber allen Musikern, lässt sie organisatorisch und finanziell gewähren – Hauptsache, sie gefallen … und nach der Saison sind sie ja auch wieder weg.

Ebenso verhält sich die Stadtregierung ihren eigenen festangestellten Musikern gegenüber: Telemann darf in seinem dienstlichen Bereich in der Katharinenkirche und Barfüßerkirche (Vorgängerin der Paulskirche) mit seinem Budget schalten und walten, wie er selbst es für richtig hält. Melante wird Selfmademan – und das liegt ihm. Die Texthefte für seine Kantaten verlegt und verkauft er ganz eigenständig: Später, in Hamburg, wird diese Frankfurter Gewohnheit langjähriger Quell für Unmut und rechtlichen Streit; denn dort will der Drucker am Erlös monetär mitbeteiligt sein …

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Anno 1721 wird er, ohne sich beworben zu haben, vom Senat der Freien und Hansestadt zum Kantor am Johanneum und Director musices für die fünf Hauptkirchen (von links nach rechts gemäß der Stadtansicht von Elias Galli:) St. Michaelis, St. Nicolai, St. Katharinen, St. Petri und St. Jacobi gewählt (zweiter Turm von rechts gehört zum Dom St. Marien, welcher nicht den Hauptkirchen zuzählt, sondern hannoverscher Besitz ist – aber das ist eine andere Geschichte …). Telemann nimmt den Ruf an, aber zugleich sichert er sich, wie schon bei seinem Weggang aus Eisenach, nun auch hier ab: Er wird weiterhin für Frankfurt Musik komponieren – und so lässt man ihn versöhnt seine Straße ziehen. Melante scheidet niemals im Streit von einer Stelle.

In Hamburg allerdings geschieht dies fast, nur ein Jahr nach seiner Ankunft dort: Genervt von den textheftherstellenden gewinnheischenden zünftigen Ratsdruckern bewirbt er sich erfolgreich um die ausgeschriebene Stelle des Thomaskantors und städtischen Musikdirektors in Leipzig. Das teilt er auch der Bürgerschaft mit, die ihm daraufhin bessere Konditionen zusagt und sein Gehalt erheblich aufbessert. Also bleibt Telemann in Hamburg. In der Pleißestadt erhält schließlich, weil Christoph Graupner keine Freistellung seines Darmstädter Fürsten bekommt, der nur drittplazierte Johann Sebastian Bach den Zuschlag.

Melante entfaltet in den folgenden Jahrzehnten an Alster und Elbe eine derart umfassende Tätigkeit, dass man es kaum glauben kann. Lehrer an der Lateinschule, Organisator und Schöpfer aller Kirchenmusik, Leiter der Oper am Gänsemarkt, Komponist von Werken für die weltliche Öffentlichkeit senatorischen Glanzes sowie für den hausmusikalischen Bedarf; hier ein Freiluftkonzert, dort eine gravitätische Trauerkantate, „Ebbe und Flut“ für die Bürgerkapitäne, „Seliges Erwägen“ jahraus jahrein zur Passionszeit sowohl für Waisenkinder als auch für die Hochmögenden …

Allgegenwärtig, umtriebig, hellwach, souverän in seiner Kunst und erprobt im Umgang mit Adligen, Kirchenleuten und stolzen Bürgern gleichermaßen, ist er bei alledem auch noch von sympathischer Ausstrahlung. Anders ist es kaum zu erklären, dass man für ihn eine Geldsammlung veranstaltet, als das familiäre Unglück sich nicht länger verbergen lässt: Telemanns Ehefrau brennt mit einem schicken schwedischen Offizier durch und hinterlässt enorme Spielschulden.

Nach diesem Tiefschlag ermöglicht man anno 1737 dem Sechsundfünfzigjährigen eine achtmonatige Reise nach Paris, ins Zentrum damaliger Weltmusik. Damit erfüllt sich ein Traum für den mondänen Komponisten, der stets auch literarisch, philosophisch, innovativ und herbarisch interessiert ist. In der Kapitale der Grande Nation trifft er viele geistreiche Köpfe von Rang und Namen, die ihrerseits sich freuen, den großen deutschen Tonkünstler, von dem sie schon so viel gehört haben, endlich persönlich kennenzulernen. Man reicht ihn in den Salons herum und ist begeistert.

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Die weiteren dreißig Lebensjahre in Hamburg, immer mal wieder ergänzt durch Kuraufenthalte in Pyrmont sowie kleinere Reisen ins Holsteinische und Mecklenburgische, sind geprägt von regem Interesse am Fortgang der musikalischen Entwicklung – und von sich steigernder Freude an den Gewächsen des eigenen Gartens, Zeichen von Wohlstand, Dankbarkeit und Ehrfurcht vor der Schöpfung. Er stirbt im Jahr des 250. Reformationsjubiläums am Gedenktag der Augsburgischen Konfession und wird begraben am Tag der Apostel Petrus und Paulus.

Musikalische Besonderheiten

Telemanns Musik speist sich aus einer bildhaften Melodik; den schulmäßigen Kontrapunkt lässt er früh hinter sich. Ihn interessieren vor allem Singstimmen und Melodie-Instrumente. So macht er die Blockflöte salon- und orchesterfähig – was späteren ach so heroisch denkenden Zeiten dann eher suspekt ist. Jedes Soloinstrument bekommt bei ihm „seine“ Musik. In seinem riesigen Gesamtwerk von über 3600 Nummern sind nur Stücke für Tasteninstrumente solo vergleichsweise selten: doch etwa in den „drei Dutzend Klavier-Fantasien“ präsentiert er eine kompositorische Farbigkeit, die weit vorausweist in Richtung Chopinsche Mazurken oder Bartóksche Tänze – und entschädigt so einen seiner bei ihm ansonsten eher seltenen quantitativen Mängel.

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Die immer neue Mischung in aller erdenklichen Vielfalt ist eine enorme Antriebskraft Telemannscher Kompositionspotenz. Nebenher wird Melante auf diese Weise zum Erfinder des Streichquartetts und zum Meister von Trio und Duo. Das klingt in seiner „Tafelmusik“-Sammlung, aber auch in seinen unzähligen Kantaten in ihren kleineren und größeren Besetzungen bewusst durch. Überall ist er auf der Höhe seiner musikalischen Zeit und geht mit ihr weiter, vom Generalbasszeitalter über die Empfindsamkeit bis hinein in die Frühklassik. Als Melodienschöpfer steht er in einer Linie mit Händel, Mozart und Schubert, auch wenn die beiden Letztgenannten sein Originalwerk kaum in seinem ganzen Reichtum kennengelernt haben dürften.

In den vierstimmigen Chorälen bleibt er, verglichen mit dem in dieser Disziplin einzigartigen Bach, weitgehend traditionell: Doch überraschen im an und für sich schlichten Satz dann doch bizarre harmonische Wendungen sowie die neumodische Unbekümmertheit, mit der Gesangbuchlieder in molliger Tönung auch tatsächlich in Moll enden dürfen … Das gibt es bei J.S.B. nicht!

Empfindsam arbeitet Telemann dem Stil seines Patenkindes CPE Bach vor. Und in überschäumender Schöpferkraft schickt er auch mal Eigenkompositionen nach London, erlaubt dem dort oft überlasteten Freund Händel, sie unter dessen Namen aufzuführen; im Gegenzug sendet der deutsche Engländer dem Kollegen in Hamburg seltene Pflanzen fürs Herbarium – New Deal in enzyklopädischen Dimensionen mitten im Siècle des Lumières: praktisch, sachdienlich, freundschaftlich, unprätentiös, gabenorientiert, situationsschnell, naheliegend, vernünftig.

Bei aller Universalität, die in manchem an Heinrich Schütz (1585-1672) oder Joseph Haydn (1732-1809) erinnert (schon was die schiere Lebenslänge angeht), bleibt Telemanns Musik stets leicht fasslich und insgesamt eher heiter gestimmt. Seinem Selbstzeugnis nach wohnt in ihm nun mal „kein sauertöpfisch Herz“, sehr zum Verdruss der späteren Kritiker, die bei ihm so wenig Metaphysisches zu entdecken vermögen und sich daher lieber gründlich deutsch an Bach, Beethoven oder Wagner orientieren.

Aber dieses Französische, Gravitätische und Objektive lässt Melante stets wie selbstverständlich da sein. Dinglich direkt, human konkret, bestechend logisch: all das liegt bei Telemann offen zutage. Klang erschöpft sich wirklich im Klang; aber das stellt keine Beschränkung dar, sondern entbirgt Musik in einer quicklebendigen vollblütigen Art und Weise. Alles ist tatsächlich so gemeint, wie es erklingt. Hier gilt, was eine mögliche Herangehensweise betrifft, die klare, ursprünglich auf die Werke Franz Schuberts gemünzte Empfehlung: „Einfach musizieren!“

Diese Art von prompter Präsenz ist wohl einer der Gründe, weshalb Melante bei seiner Ankunft in Paris von tout le monde gefeiert wird wie ein sehnlichst zurückerwarteter vertrauter Star aus eigenem Hause. Längst hat man dort seine gedruckten Werke subskribiert; man stellt ihm sogleich ein königliches Privileg aus, die eigene Musik konkurrenzfrei zu publizieren. Die „Dilettanten“ (im damaligen Sprachgebrauch keinesfalls abschätzig gemeint) kennen ihn als den Gründer der in ganz Europa gelesenen Fachzeitschrift „Der Getreue Musikmeister“.

Wer Telemann spielt, weiß sich immer in Gesellschaft. Jeder hausmusikalische Kreis, der sich mit seinen Triosonaten befasst, kennt dieses Phänomen, das tröstet, erfreut oder beides miteinander. Nichts Menschliches bleibt ihm fremd. Von fröhlichen „Bratensymphonien“ bis zum oratorischen „Weltgericht“ wird nichts zwischen Himmel und Erde ausgelassen. Humorvolle Lautmalereien, ergreifende Klagechöre, fröhlicher Durmollwechsel und schräge Ausdruckssteigerungen eröffnen allen, die sich hörend oder ausführend darauf einlassen, einen zugleich pointierten und unerschöpflichen Kosmos per aspera ad astra.

Eigentümliche Nachwirkungen

Mit ersten wissenschaftlichen Editionen beginnt anno 1907 die Telemann-Renaissance, begünstigt in den folgenden Jahrzehnten von einer durch die Jugend-, Sing- und Orgelbewegung angeregten völlig entschlackten Musikauffassung. Mit der antiromantischen Wiederentdeckung kleinteiliger Formen und einer an barocken Modellen geschulten Hochschätzung von Tonsprache als „Klangrede“ gelangt der gesellige und spielfreudige Melante zu neuen Ehren.

Aber gibt es nicht schon mitten in der rund 140 Jahre davorliegenden Zeitspanne seiner größten journalistischen Verdammung manch einen Lichtblick? Woher stammt denn das ominöse e-Moll-Thema aus der Durchführung des ersten Satzes in Beethovens Eroica? Ich meine, es einmal in einer der vielhundert Telemannschen Sonaten mitgespielt zu haben … Nur mit dem Unterschied, dass es dort, rhythmisch unwesentlich modifiziert, in c-Moll notiert ist … Kann mir da jemand bei der Recherche weiterhelfen? Und selbst, wenn diese Sonate (wider meine rudimentäre Erinnerung) heutzutage unter Händels Namen laufen sollte (was bei Beethovens Verehrung für ihn nicht weiter verwunderlich wäre): ihr Hauptthema könnte gleichwohl von Melante stammen – eventuell gegen eine Blumenkiste von der Insel?

Gleichfalls ins neunzehnte Jahrhundert führt uns eine Adventskantate, die Felix Mendelssohn für ein Bachsches Werk gehalten hat, weil sie in einer Handschrift des Thomaskantors überliefert ist. „Machet die Tore weit“ ist aber von Telemann! – ebenso wie manch andere Kirchenkantate, der J.S.B. die Ehre zuteil hat werden lassen, sie für eigene Aufführungszwecke abzuschreiben. Der verpatete Kollege in Frankfurt respektive Hamburg wird das keinesfalls missgestimmt, sondern stolz zur Kenntnis genommen haben, auch wenn die Forschung lange, nämlich bis tief ins nachkriegszwanzigste Jahrhundert gebraucht hat, beispielsweise auch eine so schöne Kantate wie „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet“ schnörkellos dem „fünften Evangelisten“ abzusprechen und dem Mann aus Magdeburg friktionsfrei zuzuerkennen …

Formvollendet und freigeistig zugleich – beides macht Telemann zu einem gesamteuropäischen Ereignis, ohne dass dabei die von ihm aufgegriffenen nationalen und landsmannschaftlichen Stilelemente verwischt werden. Im Gegenteil, die auskomponierte Liebe zum Detail, das Interesse am je Eigenartigen von Stil und Stimmung, ja der Sinn fürs Ausgefallene und Besondere, woran Spätere anknüpfen werden, bis hin zu Chopin und Bartók – : all das bringt eine bunte Vielfalt überhaupt erst zum Klingen. Was sich künstlerisch ausdrücken lässt, bleibt in seiner Wurzel doch erkennbar und wirkt von dort weiter, gewissermaßen hinein in eine Polyphonie höherer Ordnung …

In diesem durchaus aktuellen Sinne: Melante sei Dank.

Abbildungen:
(1) Elias Galli (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts in Hamburg tätig), Hamburg von der Elbseite um 1694. Das Originalgemälde von den großen Ausmaßen 152,5 x 247, 5 cm befindet sich im Museum für Hamburgische Geschichte. Meinem eigenen Foto liegt als Vorlage zugrunde eine Reproduktion auf dem Titelblatt für den Hamburgensien-Kalender 1969, herausgegeben von der Vereinsbank in Hamburg, Filiale Cuxhaven.
(2) Gedenkplatte für Telemann, dessen Grab sich auf dem Johannisfriedhof befand. Heute steht dort das Hamburger Rathaus. Die Platte ist in den Boden eingelassen direkt an der Fassade zum Rathausmarkt, links am Haupteingang.
(3) Fantasie F-Dur aus den „drei Dutzend Klavier-Fantasien“, hier aus dem in Klavierstunden häufig benutzten „Notenbuch für Wolfgang“ (zu dessen Namenstag am 31. Oktober [!!!] 1762) von Leopold Mozart, Mainz 1939 (Edition Schott).
Literaturhinweise:
Karl Grebe: Georg Philipp Telemann mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg (1970), 9. Auflage 1996 (Reihe: rowohlts monographien).
Eckart Kleßmann: Georg Philipp Telemann. Mit einem Nachwort von Helmut Schmidt. Hamburg (2004), aktualisierte Ausgabe 2015 (Reihe: Hamburger Köpfe).
Siegbert Rampe: Georg Philipp Telemann und seine Zeit. Laaber 2017 (Reihe: Große Komponisten und ihre Zeit).

Stücke zu Samuel

Johann Sebastian Bach kam in Berlin zur Welt und starb, keine dreißig Jahre alt, in Rom. Dort, auf dem protestantischen Friedhof, nahe der Cestiuspyramide, wurde er begraben. Viele Kollegen trauerten um einen jungen Nachwuchskünstler, dessen Zeichnungen und Gemälde eine vielversprechende Zukunft verheißen hatten.

Wer jetzt an P.D.Q. Bach denkt, jenes fake, das es immerhin bis in die seriöse Enzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“ geschafft hat;  oder wem die in großen Teilen frei erfundene Biographie des Wilhelm Friedemann Bach in Albert Emil Brachvogels vielgelesenem Roman aus dem Jahr 1858 in den Sinn kommt: – … liegt schon deshalb falsch, weil der „Hans“ gerufene Johann Sebastian Bach, der sich selber lieber „Samuel“ nannte, eben kein Musiker war, erst recht keiner wider Willen, sondern ein in seiner kurzen Lebensspanne zwischen dem 26. September 1748 und dem 11. September 1778 ungewöhnlich begabter und außerordentlich geförderter Jungstar im Reich der bildenden Kunst – und zwar vor allem in deren damals sehr beliebtem Zweig der Landschaftsmalerei, mit besonders ausgeprägtem Hang zu arkadischen, idyllischen und mythologischen Motiven.

Dieser Johann Sebastian Bach hat also wirklich gelebt und ist – Gott sei’s geklagt – tatsächlich an einer tückischen Krankheit gestorben, unerreichbar fern von den seit 1768 in Hamburg lebenden Eltern, die nur Geld schicken konnten für die Behandlung durch beste Ärzte – und zwischen Hoffen und Bangen schier verzweifelten. Sein Vater Carl Philipp Emanuel Bach schrieb nach dem Tod des jüngsten Sohnes in einem Brief: „Dächten wir nicht als Christen, die sein jetziges Glück wißen: so gäbe ich noch alles jetzt hin um ihn wieder zu haben.“

Erlöst von den Qualen eines nicht näher bekannten Leidens, heimgerufen in den hellen Himmel, dessen Schönheiten er idealiter so gern vermittels der erlernten Kunst in irdische Sinnlichkeit formte, eingefangen mit mediterranem Blick – und die er auch persönlich vorstellte im Wesen unerschütterlicher freundlicher Heiterkeit: Es ist, als ob in seinen Bildern etwas durchklingt von den Kantaten des Großvaters, der Musik schuf zu Texten wie: „Freue dich, erlöste Schar“ …

Was bringt mir das?

Noch ist Gelegenheit, mit dem Lesen dieses Beitrags aufzuhören. Er scheint ja so gar nichts Zeitgemäßes oder Aktuelles an sich zu haben … Wer sich indes für jene heutzutage in aller Munde geführten Rede von unseren gesellschaftlichen „Werten“ halbwegs interessiert, indem er zunächst ohne verzweckte Intention fragt: Welchen Inhalts sind die denn eigentlich? -: … kommt um die Kenntnisnahme von so zahlreich wie nur irgend möglich angeführten exempla aus dem mannigfaltig künstlerisch-kulturellen Leben unseres christlichen Abendlandes schlechterdings nicht herum. Ich bringe hier und heute, mit längerem Anlauf, nur ein einziges Beispiel.

Unmittelbarer Anlass für diese Zeilen war die unumgängliche Wiederkehr des Jahrestages von Nine-eleven. Ein wenig ist über die Fixierung auf die massenmörderischen Geschehnisse von vor fünfzehn Jahren in Vergessenheit geraten, dass es auch vor dem annus horribilis 2001 einmal jährlich einen elften September gab. Hält man sich hier vorrangig (ja, so eingetrübt sind seitdem auch rückwirkend alle anderen Tage seines Vorkommens:) an traurige Ereignisse, die mit diesem Datum verbunden sind, dann ist der Schock des 11. September 1778 für die Familie Bach wie auch für die gesamte künstlerische Welt des achtzehnten Jahrhunderts überhaupt nicht hoch genug einzuschätzen.

„Samuel“ war unter anderem insofern ein echter Bach, als er keine halben Sachen machte. Der Vater, die vielen komponierenden Onkel und Großonkel, davon abgestammt dann Heerscharen an künstlerisch tätigen Cousins und Großcousins, auch schon Neffen und Großneffen, besonders natürlich der meisterhafte Großvater nebst dessen Vorfahren, dazu alle möglichen angeheirateten Familienmitglieder, die auch im weitesten Sinne musisch sich betätigten … – sie bildeten in ihrer Gesamtheit eine regelrechte Künstlerdynastie, deren einzelne Glieder eigenständig, bisweilen eigensinnig, auf jeden Fall meistens beispiellos souverän agierten, in welcher beruflichen Stellung sie sich auch befanden.

Sie beherrschten ihr métier, und allein ihre unbestreitbaren Kunstfertigkeiten ließen sie, trotz allem Ärger im Alltag, groß und anerkannt sein. Durch den bloßen Umstand, dass sie einfach da waren und man nicht ohne weiteres an ihnen vorbeikam, riefen sie auch notorische Neider und Ignoranten auf den Plan; doch konnte das diesen geradlinigen Typen, auf ihre Kunst gesehen, nichts anhaben. Sie blieben, komme, was da wolle, bei der Anwendung ihrer Gaben und Fähigkeiten, und sauer wurden sie nur, wenn etwas mit der Vergütung nicht stimmte. Dann allerdings setzten sie sich hin und schrieben Briefe.

Johann Samuel Bach starb zu früh, als dass er sich mit unverständigen Arbeitgebern hätte herumplagen müssen. Es bleibt die in der Forschung gern gestellte, naturgemäß letztlich unbeantwortbare Frage, wie er sich als Künstler weiterentwickelt hätte … – Nun, er wäre, nimmt man seine von Zeitgenossen gerühmten Baumgruppen als Ausgangspunkt, vielleicht ein stetig in seinem Bereich fortschreitender und selbständig seine landschaftsentwerfenden Werke durchdenkender Meister geworden, die karrierefördernden Gelegenheiten des Lebens beim Schopfe packend, beseelt von einem ebenso bodenständigen wie phantasiegezeugten Ideal, das ihn getragen hätte auch durch persönliche, pekuniäre und politische Krisen hindurch –  den locus amoenus, den „lieblichen Ort“ immer vor dem inneren Auge.

Gestalterischer Wille auf dem Gebiet, das ich gut überblicke; wo ich mich einigermaßen auskenne: So motiviert wünschte ich mir die heutige Welt im nörgelig gewordenen Europa. Großzügig und realistisch zugleich, weder zu sehr nach „links“ noch nach „rechts“ abdriftend, völlig frei von jeglichem fundamentalistischen Eifer, dabei durchaus gottesfürchtig im besten Sinne des Wortes. Übrigens ist der Jungverstorbene bis zuletzt dem ererbten Glauben seiner Taufe und Konfirmation treu geblieben: Er wurde in nächtlicher Dunkelheit beerdigt, weil es im damaligen päpstlichen Rom keinen tageslichttauglichen evangelischen Ritus geben durfte.

Bleiben bei dem, woher man kommt. Fähigkeiten entwickeln aufgrund der Gaben, die einem mitgegeben sind. Sich nicht abbringen lassen von dem, was das eigene Leben so offenkundig bestimmt. Allerweltsparolen meiden. Und bei alledem ein fröhliches dankbares Gemüt bewahren. Der einzige in Italien begrabene Bach scheint das alles, trotz Krankheiten immerfort und allerorten, zeit seines kurzen Lebens beherzigt zu haben. Aber sehen wir nun im einzelnen, anhebend mit dem ungleich bekannteren gleichnamigen Großvater – ohne nur den mindesten Anspruch auf Vollständigkeit. Mehr als Stücke zu diesem eigentümlichen „Samuel“ sind es nicht …

Künstlerische Mehrsprachigkeit

Johann Sebastian Bach, geboren am 21. März 1685 in Eisenach, gestorben am 28. Juli 1750 in Leipzig, ist ja seit jeher, wie übrigens auch sein zweitgeborener Sohn Carl Philipp Emanuel, geboren am 8. März 1714 in Weimar, gestorben am 14. Dezember 1788 in Hamburg, ein dankbarer Fall für die Kalligraphologen unter uns: Wer ihre faksimilierten Briefe aus der einschlägigen Literatur kennt oder die Handschriften der Partituren vor Augen hat – diese aus sich selbst heraus so ausdrucksstarken und darum jedem Lesenden tief eindrücklichen Zeugnisse kräftiger Musik – , kann zur Not in Noten bleiben: beim Betrachten – und bedarf keines Hörens mehr. Er weiß bereits, dass hier Außerordentliches geschieht.

Hans Samuel Bach, dem die schwungvollen, gleichwohl energischen Punkte, Notenköpfe, Schlüssel, Striche, Fähnchen, Bögen, Bindungen und Ligaturen des Großvaters und Vaters in seiner eigenen eindrucksvollen Handschrift zu noch runderen und gleichmäßigeren Zügen gerieten, hat sich in anderer Weise zueigen gemacht, was an charakterlicher Überlieferung aus dem Geist der Musik ihm unweigerlich in die Wiege gelegt war. Anregend dürfte dabei auch die väterliche Sammlung von Portraitbildern berühmter Zeitgenossen gewirkt haben. Emanuel hat später, als er die Genehmigung erteilt hatte zum aus seiner Sicht doch recht ungewöhnlichen beruflichen Weg des Sohnes, dessen Fähigkeiten eingespannt zu Kopieraufträgen: Was er an Musikerbildnissen nicht käuflich erwerben konnte, malte ihm Sohnemann einfach ab.

Wir bezeichnen ihn als Johann Sebastian Bach d.J., auch J.S.B. junior oder JSB II. Doch im Unterschied etwa zu den Familien Holbein, Cranach oder Dumas, wo es Hans, Lucas beziehungsweise Alexandre gleichnamig als Vater: „den Älteren“ – und  Sohn: „den Jüngeren“ – gibt, ist hier eine Generation übersprungen und eben das künstlerische Metier gewechselt, äußerlich von ferne halbwegs vergleichbar mit Großvater und Enkel Christian Morgenstern, zwischen denen beiden sich die Landschaftsmaler(!)-Familientradition zur Allround-Artistik wandelt … Das Werk des jüngeren JSB ist dementsprechend cum grano salis die Fortsetzung von bukolischen Arien wie „Schafe können sicher weiden“ mit anderen Mitteln.

Der Großvater hätte durchaus Lust gehabt, viel mehr „Weltliches“ zu komponieren, als ihm das nach seinen glücklichen Jahren am Hof zu Köthen dann in Leipzig möglich war. Er fuhr ja gern mit seinen ältesten Söhnen Friedemann und Emanuel nach Dresden, um dortige Opernaufführungen zu genießen. Welch anregende Abwechslung von den drei Leipziger Dienstgebern Kirche, Kommune und Kaffeehaus!

Italien war dort mit Händen zu greifen; die Stadtansichten eines Canaletto d.J. (d.Ä. war ein Onkel) führen es uns bis heute vor Augen: jenes helle Wunderland, Ursprung der Oper, Hort von Musikhauptstädten wie Venedig mit Antonio Vivaldi oder Neapel mit Alessandro und Domenico Scarlatti (Vater & Sohn) – im Elbflorenz war es optisch und akustisch, architektonisch und musikalisch, politisch und konfessionell ebenso handfest wie vergeistigt: omnipräsent! Dresden wurde später denn auch einer der Studienorte des dritten Sprosses von Emanuel beziehungsweise des gleichnamigen Kindeskindes von Opa Sebastian.

Sein selbstgewählter „Samuel“ ist, wenn nicht vielleicht gar prophetisch von Belang, so doch zumindest ein raffiniertes Akronym, gebildet ausnahmslos aus Buchstaben von Vaters und Großvaters Rufnamen. Auf der realen Ebene spielt der in Meiningen tätige Zweig der Familie eine Rolle, wo es unter anderem einen Bach namens Samuel Anton (1713-1781) gab, der zugleich Hoforganist und Maler war. Eine persönliche Bekanntschaft mit Emanuel rührt daher, dass er, fast gleichaltriger Vetter soundsovielten Grades, bei seinem „Onkel“  JSB I in Leipzig Orgelunterricht erhalten hatte. Er dürfte also auch später in Berlin und Hamburg Gegenstand von Gesprächen gewesen sein.

Das so typisch Bachsche Kombinationsgeschick zeigt sich dann bei JSB II also einmal mehr – vielperspektivisch und hintergründig, technisch makellos und zugleich gemütvoll warmherzig, künstlerisch-menschlich in immer wieder verblüffender bodenständiger und zugleich entrückter Einheit: Augenmusik und Ohrenschmaus verschmelzen da auf wundersame Weise.

In vielen seiner Sonntagskantaten sowie in den Passionsmusiken hat JSB I, teilweise zum Schrecken der Leipziger städtischen Hautevolée, hochdramatische Töne angeschlagen. Und andererseits ist etwa in der Einleitung der zweiten Kantate des Weihnachtsoratoriums die Hirtenidylle in ihrem ganzen sehnenden Frieden so bildhaft vertont, dass dieses Instrumentalstück zu einem Inbegriff der Gattung „Pastorale“ werden konnte. Immer wieder Ausbrüche aus der vertraglich abgesteckten Welt der Erfordernisse und Erwartungen, mal heftig, mal ruhig – und meistens angeregt durch die neuesten musikalischen Entwicklungen südlich der Alpen …

Beim zeichnenden und malenden Enkel scheinen die Emotionen auf den ersten Blick zurückgenommen, alles ist im Geist von rokokovermeidender Empfindsamkeit und antikenbegeistertem Frühklassizismus ebenso leuchtend wie ausgeruht durchgestaltet. Eine früh gereifte Virtuosität wird erkennbar, die dem Sohn des „Berliner“ und später „Hamburger Bach“ gewiss, wie einst Georg Friedrich Händel (1685-1759), einen ehrenvollen Zutritt in die stadtrömische „Schäferakademie“ verschafft hätte – wenn, ja wenn er nicht im zarten Pergolesi-Alter den irdischen Eindrücken gepflegter Honoratioren bei gastfreien Abendgesellschaften und Ateliergesprächen so grausam endgültig entschwunden wäre.

„… nach Italiaenischen Gusto“

Italien im Leben der Familie Bach – das ist ein eigenes Kapitel. JSB I hat das Land, dessen Sprache bis zum heutigen Tag als musikalische lingua franca fungiert, nie gesehen. Von klein auf aber hat sich sein wacher Intellekt für italienische, also für die damals modernste Musik interessiert, um sie in Bearbeitungen und Eigenschöpfungen weiterzugeben. Insbesondere nahm er sich der Werke von Antonio Vivaldi (1678-1741) und Tomaso Albinoni (1671-1751) an, richtete sie für Orgel oder Klavier oder Instrumentalensembles ein – oder verwendete ihre Themen für eigene Fugen.

Auch Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) wurde eingemeindet, in einer Kantate, wo er dem Stabat Mater des frühverstorbenen Neapolitaners einen anderen (deutschen) Text unterlegte („Tilge, Höchster, meine Sünden“) und es so in Leipzig bekanntmachte. Auch gibt es da dieses Concerto nach Italiaenischen [sic!] Gusto, aus dem Zweiten Teil der Clavierübung von 1735, das vor Freude überströmt und ebenso in Untiefen schwelgt – eine Aneignung fortschrittlichster Kunst ersten Ranges.

Im selben Jahr, da das Italienische Konzert gedruckt erschien, wurde seinem Schöpfer der jüngste Sohn geboren, Johann Christian. Nach dem Tod des Vaters, 1750, kam der Fünfzehnjährige in die Obhut seines Halbbruders Emanuel nach Berlin. Man nennt ihn auch den „Mailänder Bach“, weil er im Alter von zwanzig Jahren nach Italien zog und somit auch seinem damals siebenjährigen Neffen JSB II für immer Lebewohl sagte.

In Bologna wurde er vom später auch den jungen Mozart so prägenden musikbeflissenen Padre Martini unter die Fittiche genommen und zum Kirchenkomponisten nach ortsüblicher Manier (sprich: italienischem Gusto) ausgebildet. Dafür nahm er sogar in Kauf, römisch-katholisch zu werden, was ihm vom Rest der Familie schwer verübelt, nämlich als Verrat am Stammvater angekreidet wurde. Veit Bach (um 1550-1619) war einst als protestantischer Glaubensflüchtling von Ungarn nach Thüringen gekommen … – und so ein ungezügelter Nachfahr wurde Organist am Mailänder Dom!

Dieser dem Luthertum abspenstig gemachte Bach entdeckte seine wahre Liebe nun in der Beschäftigung mit jenen „schönen Dresdener Liederchen“, von denen sein Vater immer geschwärmt hatte: Er reüssierte in der Opernwelt, vor allem in Neapel. Von dort verbreitete sich frohe Kunde über ihn bis an die Italienische Oper in London, so dass 1762 diesem Mann von Welt ein drittes Land zur Heimat wurde, das Vereinigte Königreich.

Der einzige Bruder, der den Kontakt zum Konvertierten aufrechterhielt, war Johann Christoph Friedrich, der sogenannte „Bückeburger Bach“ (1732-1795): Er, vielleicht der  Bodenständigste aus der vierköpfigen Musikermännerriege unter den insgesamt zehn erwachsen gewordenen Kindern des Thomaskantors, hat, zusammen mit seinem Sohn Wilhelm Friedrich Ernst (1759-1845), also einem direkten (Halb-)Cousin Johann Sebastians d.J., den „Englischen Bach“ Anfang des schicksalhaften Jahres 1778 für drei Monate auf der Insel besucht.

Im London der 1760er Jahre tat Johann Christian sich mit einem Musiker namens Abel zusammen, dessen Vater in Köthen gemeinsam mit JSB I in der Hofkapelle gewirkt hatte. Die beiden Söhne gründeten ein Konzertunternehmen sowie eine Männer-WG, die solange bestand, bis Christian des Kompagnons Geliebte heiratete, eine reiche italienische Sängerin – was aber nicht daran hinderte, dass das intime Verhältnis der beiden vormals Liierten weiterlief, nur jetzt ergänzt um finanzielle Vorteile auch für Bach.

Diese mitzunehmen war wohl bitter nötig: Indes half alles nichts, die immer weniger besuchten „Bach-Abel-Konzerte“ trieben alle Beteiligten in den Bankrott, und zu den Folgen getreu dem „Brauch von Alters her: / Wer Sorgen hat, hat auch Likör“ gesellten sich Krankheiten, die zum Tod (1782) des jüngsten Bachsohnes mit noch nicht einmal 47 Jahren führten. Man begrub ihn auf einem katholischen Friedhof in englischer Provinz.

Die Königin höchstpersönlich übernahm ausstehende Schulden ihres verstorbenen Klavierlehrers, so dass dessen Witwe nach Italien zurückkehren konnte – in jenes Land, das dem Verblichenen kompositorische Fähigkeiten erweckt hatte, mit denen er die gesamteuropäische musikalische Sprache bis heute hin prägt. Das „singende Allegro“ hat er sozusagen erfunden; eine heitere, zupackende, leichte, optimistische Art ist vielen seiner Stücke eigen. Die Anfänge des Sinfonikers Mozart (1756-1791) sind ohne ihn, der als „Londoner Bach“ mit dem achtjährigen Wolfgang Amadé gemeinsam Klavier spielte, undenkbar.

Erfahrungen und Erwägungen

„Onkel Christian ist jetzt in Italien“ – das ließ die Phantasie des kleinen JSB II vermutlich kaum unangeregt. Vater Carl Philipp Emanuel, Hofcembalist Friedrichs des Großen, hatte seinerzeit alte Beziehungen zu einer befreundeten Adelsfamilie aufgefrischt, um den ungestümen Halbbruder nach Milano zu vermitteln. Dass es auch den eigenen Sohn in südliche Gefilde ziehen könnte, legte sich nahe, als die zeichnerische Begabung des Jungen überdeutlich hervortrat.

Das war spätestens mit der Übersiedlung von Berlin nach Hamburg der Fall, wo Emanuel Bach das Amt seines verstorbenen Paten Georg Philipp Telemann (1681-1767) als Kantor am Johanneum und städtischer Musikdirektor aller fünf Hauptkirchen übernahm. Was JSB I in Leipzig gewesen war, wurde dessen Zweitgeborener nun, 1768, an Elbe und Alster. Dort entfaltete er in seinem Haus ein reges hanseatisch feines gesellschaftliches Leben, zu dem auch die Präsentation seiner Gemäldesammlung gehörte. JSB II, schon in der Ausbildung, blieb in Berlin und ging 1770 in die Stadt an der Pleiße, wo sein Großvater als Director musices amtiert hatte.

Vier Tanten, Schwestern seines Vaters, lebten in Leipzig in einer Frauen-WG zusammen: Die verwitwete Elisabeth Juliana Friederica Altnickol (1726-1781), außerdem die unverheiratet gebliebenen Bachtöchter Catharina Dorothea (1708-1774), Johanna Carolina (1737-1781) und Regina Susanna (1742-1809). Eine Biographin heutiger Zeit schreibt dazu: „Inwieweit der junge Student allerdings Interesse am Kontakt mit seinen ‚alten Tanten‘ hatte, bleibt fraglich.“

Übrigens hat das jüngste Bachkind später Empörung unter der komponierenden Männerwelt ausgelöst. Als nämlich bekanntwurde, dass Regina Susanna, die letzte noch lebende Tochter des großen Johann Sebastian Bach, von Altersarmut betroffen war, initiierten Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Ludwig van Beethoven und andere mitfühlende Musiker eine deutschlandweite Spendenaktion.

Zurück zu Emanuel und seinem Nachwuchs: Der Berlin-Hamburger Bach hat in bezug auf seinen Sohn ganz offenkundig viel Erfahrungsweisheit walten lassen. Am Bruder Wilhelm Friedemann (1710-1784), dem „Hallischen Bach“, sah er, wohin väterlicher Ehrgeiz führen konnte. In allerbester Absicht hatte JSB I seinen Ältesten gefördert, gefordert – und überfordert. Friedemann hielt sich auf keiner Organistenstelle lange, nachdem er sein Amt an der Sophienkirche zu Halle an der Saale verlassen hatte. Sein hochfahrendes Wesen bot ständig Anlass zu Streitereien und Zerwürfnissen. Zuletzt war er freischaffender Künstler in Braunschweig und Berlin, gerühmt als bester Orgelspieler weit und breit, aber immer knapp bei Kasse, stets auf der Kippe ins soziale Elend. Brachvogel bezieht aus diesem Sachverhalt seinen romantisierenden plot. – Solch Mitgift wollte Emanuel den eigenen drei Kindern ersparen; Berufsmusiker übrigens wurde keines von ihnen.

Anderes kam hinzu: JSB I, mit zehn Jahren bereits Vollwaise geworden, litt zeit seines Lebens darunter, niemals ein Hochschulstudium absolviert zu haben. Nach äußerlich abfragbarem Bildungsstand ist er immer nur ein „Musikant“, also ein Handwerker geblieben, auch wenn er ja später in Leipzig unter anderem für das musikalische Leben an der Universität zuständig war. Die Söhne sollten es besser haben. Neben der Trauer um seine in Köthen verstorbene erste Frau Maria Barbara und dem Wunsch nach einem veränderten Umfeld für seine zweite Ehe mit Anna Magdalena spielte bei der Bewerbung um das Thomaskantorat auch die Zukunft seiner Ältesten als studiosi in spe eine Rolle: möglichst in einer Stadt mit allen Ausbildungschancen! Tatsächlich fing Emanuel in Leipzig mit einem Jurastudium an, um sich schließlich doch die Musik zu erkiesen – dies dann allerdings, wohlgemerkt, abgenabelt im weit genug entfernten Frankfurt/Oder, also: freiwillig!

Für Carl Philipp Emanuel Bach dürfte demnach der Schluss nahegelegen haben, den eigenen Nachwuchs nicht zwingend auf die ars musica festzulegen – sondern ihn eher gemäß den jeweils eigenen Gaben und Fähigkeiten ideell und materiell zu unterstützen. Denn was soll man von einem Sohnemann erwarten, der sich die Last des „Sebastian“ abschüttelt und sich lieber nach einem Verwandten in Meiningen beziehungsweise einem knorrigen alttestamentlichen Propheten nennt? Das Potential zur offenen Rebellion wäre vorhanden gewesen, hätte der Vater nicht klug eingelenkt – Familientradition hin oder her.

Noch etwas: Zu Zeiten, da man sich in der besten aller Welten wähnte, da die Universalität eines Leibniz noch nachwirkte und man den scharfsinnigen Voltaire als Aushängeschild in Potsdam bei Hofe herumreichte, – da wurden viele Lehrbücher verfasst, die im Sinne der Aufklärung die natürlichen Anlagen eines Individuums fördern wollten, sofern dieses sich für ein Handwerk oder eine Kunst entschieden und festgelegt hatte. C.Ph.E. Bach hat für sein Fach die Anleitung geschrieben: „Versuch über die wahre Art, Clavier zu spielen.“ Das war das Gegenstück zur Flötenschule von J.J. Quantz, und weil der König ja die Querflöte so sehr liebte und eifrig blies – sich auf deren Grundlage auch komponierend ins Zeug legte – , gab es des öfteren interne Rangeleien um die höfische Gunst zwischen dem Chef der Bläser und dem der Tasten.

Dieser Konflikt zwischen Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Joachim Quantz war dem heranwachsenden Samuel sicherlich genausowenig verborgen geblieben wie die fama von der Unverschämtheit des Alten Fritz, dem Großvater 1747 bei dessen Besuch in Sanssouci auf der Flöte ein extra schweres Thema vorzugeben, aus dem der berühmte Gast dann allerdings das ebenso atemberaubende wie anstrengende „Musikalische Opfer“ schuf. Dass professionell betriebene Tonkunst keineswegs nur Zuckerschlecken sei, hat JSB II von Kindesbeinen an also durchaus mitbekommen und auf seine Weise verinnerlicht.

Entfaltung eigener Kunst

In Berlin und Potsdam erhielt Johann Samuel Bach Unterricht beim Radierer (und späteren Baurat sowie Zeichenlehrer preußischer Prinzen) Andreas Ludwig Krüger (1743-ca. 1805). Die Fertigkeit, mit der Nadel Metall so zu traktieren, dass daraus ein ansprechender Tiefdruck resultierte, wurde im achtzehnten Jahrhundert immer mehr vervollkommnet. Eine Weihnachtskantate des Großvaters beginnt mit den Worten: „Christen, ätzet diesen Tag / In Metall und Marmorsteine!“ – und zu Hause erzählte dem Schüler der stolze Vater gewiss, wie er selber seinem alten Herrn einst beim Notenstich für die „Kunst der Fuge“ zur Hand gehen musste, der Gefahr, durch Verblitzung zu erblinden tapfer sich aussetzend, allein dem erregenden Werk dienstbar. Wie vormals JSB I, so stach vorübergehend auch JSB II zu höherem Ruhm.

In Leipzig setzte der Twen seine Ausbildung fort bei Professor Adam Friedrich Oeser (1717-1799), Sohn sächsischer Eltern, gebürtig aus Pressburg (wie weiland Veit Bach als Spross thüringischer Einwanderer aus Wechmar?), künstlerisch belehrt und geprägt in Wien. Als er Samuel bei sich aufnahm, hatte er schon Jünglingen wie Goethe und Winckelmann das Zeichnen beigebracht, unter dem Einfluss der Werke Salomon Gessners, des nachmaligen Gründers (1780) jenes Journals, das sich seit 1821 „Neue Zürcher Zeitung“ nennt und bis heute an genauer Analyse des Allfälligen fast sämtliche andere deutschsprachige Gazetten weit überflügelt.

Dieser Gessner wirkte als Buchhändler, Verleger, Politiker, Schriftsteller und Zeichner, er repräsentiert die deutschschweizerische Variante eines vielseitigen Künstlers in weltbürgerlicher Absicht. Immerhin hatten ihn seine Lehr- und Wanderjahre bis nach Berlin und Hamburg geführt, ehe er die Familientradition fortsetzte und die ererbte Buchhandlung in Zürich übernahm.

Gessner (1730-1788) war bekanntgeworden durch seine Verse und Idyllenmalereien, worin er Bukolisches oder Pastorales, also Szenen aus dem als unbeschwert gedachten Leben antiker Viehhirten ausführte im Sinne einer starken Aufmerksamkeit für die Landschaft. Quellgrund dieses sympathischen Genres waren die Dichtungen des alten Griechen Theokrit (um 300-260 v. Chr.), die schon den alten Römer Vergil (70-19 v. Chr.) und im italienischen Mittelalter den alten Dante (1265-1321) und den nicht ganz so alten Petrarca (1304-1374) inspiriert hatten. Heitere, bisweilen derb humorvolle bis offen erotische Darstellungen einfachen, unbekümmerten, ungebundenen Lebens auf dem Lande unter mediterraner Sonne oder während lauschiger Nächte in freier Natur zogen die verstädterten Gebildeten des siècle des Lumières nachgerade magisch an.

Ihrem sanften Bann entzog sich auch JSB II nicht; er zeichnete und malte Bilder, Vignetten, Entwürfe in diesem und somit in Oesers Sinn. Rasch wurde er mit seinen Werken Dauergast auf Kunstausstellungen in Dresden und verkaufte derart viele Zeichnungen, dass er von manchen seiner Exponate Repliken anfertigen musste. 1773 ließ er sich gänzlich in der sächsischen Residenzhauptstadt nieder. Er beteiligte sich von dort aus 1775 an einer Ausstellung in Weimar, wo er seinen Bekanntheitsgrad nochmals steigern und weitere Aufträge entgegennehmen konnte. Besonders die „Südländische Ideallandschaft“ erwies sich als Erfolg, und so entstand im Folgejahr, beim sechsmonatigen Aufenthalt im Elternhaus in Hamburg, das einzige erhaltene und ihm zweifelsfrei zuzuordnende Ölgemälde.

Südländische Ideallandschaft

Italien unbekannterweise mit Anleihen beim Elbsandsteingebirge – kein Motiv hat JSB II häufiger variiert als dieses Landschaftsbild. Dessen gezeichnete Fassung von 1776 aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle habe ich mit eigenen Augen im Original betrachtet und dabei das Passepartout gemäß den freundlichen Anweisungen des dortigen Fachpersonals einigermaßen fingerfertig umtastet und behutsam gehandhabt. Zu sehen ist folgendes:

ideallandschaft

Links vorn beginnt die Szenerie mit reichlichem Laub- und Rankenwerk eines in abgeschattetes Licht getauchten großen Baumes. Im Vordergrund, am unteren Bildrand, steht die Statue der Göttin Flora, einen Siegeskranz in Händen haltend, mitsamt Rauchgefäß – und daneben eine Blickpunktvase auf steinernem Postament. Davor tummeln sich Frauen und Kinder, teilweise auf breiten Treppenstufen, die, von einer Mauer eingefasst, nach rechts hin sanft ansteigen. Die Personen bringen der Göttin kleine Opfergaben dar. Zwei der Kinder reichen Kohlen an die Frau nächst dem Standbild, die sich so als eine Priesterin erweist. Dieser ganze „heilige Bezirk“ wird in weitem Rund von einer Blütenhecke eingehegt.

Im sich in die Tiefe öffnenden Hintergrund sieht man ein breites Gewässer, gesäumt von Büschen und Bäumen, alles von der Sonne beschienen. Zwei Männer sind am rechten Ufer erkennbar auf einer flachen Wiese. Weiter hinten verläuft ein von vier sichtbaren Doppelöffnungen durchbrochener, römisch gemauerter Aquädukt. Rechts begrenzt, ab der Mitte des Bildes, eine bewaldete Anhöhe den Ausblick in die Landschaft; diese verliert sich im sonnigen Dunst bewaldeter Hügel. Oben rechts befindet sich ein schräg nach vorn zum Betrachter ausgerichteter griechischer Tempel, dessen Portikus von vier Säulen bestimmt wird. Davor liegen umgestürzte Grabsteine und Säulenreste, dahinter türmen sich Ruinen in einem beginnenden Nadelwald.

Es ist eine arkadische Komposition, die angeregt sein könnte von einer Szenerie „nach der Natur“ in der Sächsischen Schweiz. Die antikisierende Phantasie des Künstlers, nach dem Vorbild von Lehrern und Kollegen, geht über die konkreten lokalen Gegebenheiten dann aber so weit hinaus, dass im Ergebnis ein schöner Ort erschaffen ist, der ohne Beispiel bleibt und an dem sich alles harmonisch zusammenfügt. Sogar das durch die friedhöflichen Überbleibsel oben am Tempelberg in Erinnerung gerufene memento mori verursacht nicht die geringste mentale Störung beim Betrachter. Trotzdem ist es da: Der Tod lebt immer mit, wenn auch trümmerhaft und ziemlich weit weg von Frauen und Kindern und Männern.

In manchem Gegenstück hat JSB II anstatt des rechteckigen heidnisch-sakralen Bauwerks einen Rundtempel gezeichnet, an etlichen Stellen demoliert und eher eine romantisierende Ruinenstimmung vorwegnehmend denn eine heitere Landschaft darstellend. Ein anderes, ein nächtliches sujet stellt auf die Anhöhe eine veritable mittelalterliche Burg, und wiederum in anderen Arbeiten kommt die Szenerie ganz ohne Bauten aus, dafür bevölkern nackte Hirtenjünglinge die buschige Situation, aus dem Unterholz emporwachsende Baumriesen inbegriffen. Blatt für Blatt scheint da extra gezeichnet zu sein, nebst individuell geäderter Struktur. Wo, wenn nicht hier, wird die Redensart von „jedem Grashalm“ schwerelos überboten und damit hinfällig?

Helle mediterrane Idyllen mit ernsthafteren arkadischen Beimischungen, zwischen bukolischem Humor und endzeitlicher Tragik hinundherflirrend gleich dem Lichtschattenwechsel der in friedlicher Sehnsucht immer und immer wieder auftauchenden Büsche und Bäume – darin eingestreut allerdings so manches Mal ein Sarg, ein Denkmal, ein Gedenkbrunnen, eine Pyramidenspitze, sogar bisweilen etwas angedeutet Kirchliches … Johann Sebastian Bach der Jüngere hat sich vor und nach seiner „Südländischen Ideallandschaft“ in seinem Fach gründlich umgesehen, und man vergisst beim Erleben seiner besten Werke, aus welchem Land er eigentlich stammt. Europäischer Geist, aufgeklärtes Denken, beginnende romantische Überhöhung aus antik-klassischem Sinn: Mit diesem intellektuellen Gepäck strebte der junge Mann gen Italien.

Venedig sehen – in Rom sterben

Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) befürwortete und unterstützte die Absicht, dass der begabte Sohn seines Hamburger Freundes im Gelobten Land der Künste studieren könne, ja müsse. Nach Dresden schrieb er einem befreundeten Bibliothekar über den soeben im September 1776 abgereisten JSB II, man solle ihm am besten jetzt schon Aussichten eröffnen auf eine künftige Anstellung in der Akademie, denn es sei sicher, dass er „gewiß einen eben so großen u. originellen Mahler verspricht, als seine Vorfahren Tonkünstler gewesen sind“. Von Hamburg startend steuerte der mit solchen Vorschusslorbeeren Bedachte zunächst die Metropolen Wien, Triest und Venedig an.

Mitten im Karneval traf der Kunststudent in der Lagunenstadt ein. Dort erlebte er Dresdner Liederchen venezianisch liederlich – immerhin Anlass für die einzige überlieferte Äußerung Johann Sebastian Bachs des Jüngeren zum beruflichen Hauptbetätigungsfeld seiner Familie. In einem Brief an Professor Oeser berlinert er: „Von dem Zustande der Musick und Opern hatte ich mich auch größere Begriffe gemacht“ … Über gesehene Werke der bildenden Kunst heißt es einige Sätze weiter: „Viele Gemählde die noch vor gut ausgegeben werden sind auch ihrem Untergange nahe, indeßen ist noch immer die Anzahl der wohl erhaltenen Gemählde so groß, daß man in Versuchung fallen kann Courier vorbeyzureiten; dieses wäre beym Tintorett am ersten zu entschuldigen, und ich muß gestehn daß mich dieser Meister mehr in Verwundrung gesezt als gefallen hat.“

Nach diesem musikkundigen und tintorettokritischen Aufenthalt in der Serenissima reiste JSB II weiter über Bologna (dort, wo Onkel Christian und Wolferl Gottlieb Motzhard sich speziellen sakralmusikalischen Studien unterzogen hatten), Ancona, Loretto und Terni. Eigentlich war geplant, auch Florenz zu sehen. Doch witterungsbedingt fuhr ab der ältesten europäischen Universitätsstadt keine Kutsche in Richtung Uffizien, so dass ein anderes Modul gewählt werden musste, ein Bologna-Prozess sui generis, und unser Held dann eben flexibel umdisponierend sowie frisch modulierend erst für die Rückreise eine Rast am Arno projektierte.

Im Februar 1777, senza Firenze, doch guter Dinge und nicht auf ewig hintendran sich wähnend, weil ein Vorhaben mal nicht geklappt hätte und nun ein Rückstand in Form von unerlaubt steigender Semesteranzahl im Modus eines Tadels zu gewärtigen und jetzt schon wortreich zu beklagen wäre –, erreichte er Rom.

Von den deutschen Künstlern, die dort ihr Zelt aufgeschlagen hatten, wurde der Achtundzwanzigjährige herzlich in Empfang genommen. Als väterlicher Freund erwies sich vor allem der Maler Reiffenstein, der den bald Erkrankten durch drei quälende, medizinisch für notwendig erachtete und finanziell vom Vater ermöglichte Operationen begleitete und betreute. Ende 1777 galt der junge Mann als geheilt, und eine letzte Schaffensperiode brach an. Mythologische Motive, römische Ruinen und sogar seine eigene Ruhestätte, der cimitero accattolico, wurden 1778 durch ihn ins Bild gesetzt. Gezeichnet vom wiederaufflackernden Krankheitsbild starb der Zeichner so hell-lebendig-gesund-sehnsüchtiger Bilder plötzlich und unerwartet am bezeichnet-bezeichnenden elften September.

Lebendige Erinnerungen in Moll

Dem trauernden Vater in Hamburg blieb nur der Nachlass, den man von Rom nach Norddeutschland schickte – und der eigene musikalische Ausdruck. Ein Rondo in a-moll für Klavier – mit schmerzlich verminderten Akkorden, chromatischen Bass-Abstiegen, wilden Arpeggien und harmonisch kühnen Rückungen – widmete er dem vor der Zeit weit weg von zu Hause Verstorbenen. Das Stück ist so etwas wie ein musikalisches Portrait. Was sonst ein Ratevergnügen im illustren Kreise abendlicher Salongespräche war – „Madame S. hört man sofort in den punktierten Achteln heraus“ – wird hier zu einem tombeau, einer Grab- und Gedenkmusik auf den Charakter des so Verewigten. Die frischen Wesenszüge stehen auf Bruchkante mit den untröstlichen Empfindungen des Hinterbliebenen, so dass ein zerrissener Eindruck hervorgerufen wird. https://www.youtube.com/watch?v=8OWLud86UM8

Seltsam mutet an, dass nur wenige Wochen vor dieser Klage auf Tasten ein ungleich wütenderes a-moll-Stück entstand, im fernen Paris, wo sich Mozart mit seiner Mutter aufhielt: als diese plötzlich verstarb. Der Kopfsatz seiner ersten von insgesamt nur zwei Moll-Klaviersonaten beginnt mit einem marschmäßigen Thema, das in gezackter Rhythmik und schmerzlicher Dissonanz einem musikalischen Aufschrei gleichkommt. – Ebenfalls in dieser Tonart steht das eigenartige Klavierstück „Abschied von Rom“, komponiert von Fanny Hensel als Nachklang eines Aufenthaltes in der Ewigen Stadt im Jahre 1840. Und: Schließt nicht die „Italienische“ Symphonie ihres Bruders Felix Mendelssohn gleichfalls in traurig-tänzerisch-grimmigem a-moll? Tod und Trauer, Abschied und Erinnerung: Abendländische kunstfertige Klänge wachsen hinüber zu denen, die weiterleben müssen …

Wir, hier und heute, haben den aufstrebenden Johann Sebastian Bach, frühverstorbenen hoffnungsvollen Enkel des gleichnamigen Klangtitanen, so gut wie vergessen. Dank seiner familiären Herkunft haben manche Bachforscher versucht, neben der Musikwissenschaft sich auch Grundkenntnisse in der bildenden Kunst anzueignen. Das ist nur zu begrüßen. Und es ist förderungswürdig in einer Zeit wie der unsrigen, die nicht mehr bloß fachidiotisch agiert, sondern langsam auch, in einer fatalen Drehung weiter, den Überblick darüber verliert, weswegen sie sich überhaupt mit Einzelerscheinungen aus Geschichte, Religion und sonstiger Kultur beschäftigen sollte. Vielleicht ist Fachsimpelei am Ende doch lebenszugewandter als jene alles egalisierende Bequemlichkeit, die nicht mehr sieht, wie auch das lichteste und leichteste Kunstwerk ein Ergebnis harter Arbeit und abgerungener Zeit ist.

Benutzte Literatur. Anke Fröhlich: Zwischen Empfindsamkeit und Klassizismus. Der Zeichner und Landschaftsmaler Johann Sebastian Bach d.J. (1748-1778), Oeuvre-Katalog. Mit einem biographischen Essay von Maria Hübner [Seiten 13-32]. Leipzig 2007 [Umschlagbild: Südländische Ideallandschaft 1776, davon die Abbildung in diesem Text]. — Martin Geck: Die Bach-Söhne. Hamburg 2003 (rowohlts monographien). — Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Katalog. Köln / Weimar / Wien 2007 (Die Sammlung der Hamburger Kunsthalle. Kupferstichkabinett. Band 1. Herausgegeben von Hubertus Gaßner und Andreas Stolzenburg). — Dorothea Schröder: Carl Philipp Emanuel Bach. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Hamburg 2003 (Hamburger Köpfe).
Zitatnachweise. „Dächten wir nicht als Christen …“: Carl Philipp Emanuel Bach in einem Brief an die Leipziger Schriftstellerin Julie Friederike Clodius, zitiert nach Schröder, Seite 86. — „Inwieweit der junge Student …“: Hübner in: Fröhlich, Seite 17. — „gewiß einen eben so großen …“: Gotthold Ephraim Lessing in einem Brief an den Bibliothekar Karl Wilhelm Daßdorf am 26. September 1776, zitiert nach Hübner in: Fröhlich, Seite 25. — „Von dem Zustande der Musick …“ und „Viele Gemählde …“: Johann Sebastian Bach d.J. in einem Brief an Adam Friedrich Oeser am 2. März 1777 aus Rom, zitiert nach Hübner, in: Fröhlich, Seite 26.