Bilder-Building

Wir leben in einer Zeit der Bilderflut. Nichts ist medial so gegenwärtig wie die bloße Abbildung aus dem unmittelbaren Schießmodus von Kamera oder Handy-Upload. Der gute alte Fotoapparat, gar nicht zu reden von dessen aufwendiger Zubereitung etwa für eine Stativ-Aufnahme (mit Selbstauslöser!), hat längst ausgedient. Von Filmentwicklung durch chemische Lösungen in einer Dunkelkammer nebst Anbringen von entstehenden Negativen mit Wäscheklammern an der im Keller gespannten Bindfadenleine weiß der heutige Normalmensch rein gar nichts mehr.

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Die Technik schnurrt zusammen in allzeit verfügbaren Knopfdruck. Die kindliche Frage: Wie funktioniert das? – ist in die Anspruchshaltung überführt: Wo bitteschön befindet sich die günstigste Netzverbindung? – Ich selber, durchaus kein technisch begabter Zeitgenosse, bedaure diese Entwicklung; sie kommt mir zwar entgegen, sofern ich längst nicht mehr eine Woche oder länger auf fertige Papierfotos in der Tüte des Drogeriemarktes warten muss; aber die schier unbegrenzten Möglichkeiten, alles und jedes augenblicklich per digitalem Lifeshot dauerhaft festhalten zu können, machen einen doch schwindeln.

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Um es kurz zu machen: Die Erlebnisfähigkeit geht baden. Bilder persönlicher Erinnerung verschwinden in dem Maße, da sie durch Aufnahmen per Smartphone vorgeblich festgehalten werden. In jeder öffentlichen Veranstaltung, ob es sich um einen Vortrag, eine Theateraufführung, ein Konzert oder einen Gottesdienst handelt, haben die Akteure mit dem Phänomen wild fotografierenden Publikums zu tun. Die Leute sind derart beschäftigt mit ihrem mitgebrachten Allerwelts-Equipment, dass sie das Ereignis selbst, für das sie womöglich sogar Eintritt bezahlt haben, gar nicht richtig mitbekommen.

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Oder ist dies nur ein bildungsbürgerliches Vorurteil, gespeist aus jenem Neid, der sich immer dort einstellt, wo die Dinge einem entgleiten und andere sich ihrer erfolgreich bemächtigen? Dann wäre mein Klagen ein Unbehagen am allgemeinen Fortschritt, mit dem ich eben nicht Schritt halten kann. Genau so scheint es in der Tat bei mir auszusehen. Aber so ist es eben nicht. Das Gebäude ist davor, the building would be great, das Feste wird zum Fest!

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Man muss das alles nicht mögen. Und es ist vielleicht gar nicht so schlecht, Bisheriges bewusst zu perhorreszieren. Spätestens bei den Bilderbergen jedoch werden die Rezipienten weich. Da gilt dann nichts Trennendes mehr. Da ruft das gespaltene Meer! Dem Stab des Mose sei jedenfalls reinlich und reimlich / so reichlich denn Preistum und Ehr! – Das muss man mögen: die Bilder vergangener Zeiten. Es gibt sie nur mündlich und schriftlich, in Zeugnissen archäologischer Entdeckungen; oder eben direkt musikalisch. Tertium non datur.

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Meine kulturelle Entdeckung vor Ort bezieht sich auf Blumen, die einfach so da sind. Mauerblümchen sozusagen. Dem Bilder-Building angemessen freue ich mich an besagter Macht: Das wird schon. In Tönen bewegte Formen lassen sicherlich nicht lange auf sich warten. Daher: Lass uns nur intensiv in Zeiten der Bilderflut leben; trotz allem sind betreffende Fotos/Shots/Filmchen fotogen ob jener Botschaft, die in Tüten nie genas und dennoch Türen immer öffnete. Wie es dazu kommen konnte, lesen Sie dann – wenn das Bedürfnis fürderhin besteht – in der nächsten Ausgabe von Feo Eccard.

Bilder: (1) Treppe im Hotel „The Green Dragon“ in Hereford, Großbritannien, Juni 2016; (2) Schneeflöckchen an jungem Weiden-Frühlingsgrün, Wesermarsch April 2016; (3) Spaziergang im Stadthafen von Emden, Ostfriesland Frühjahr 2015; (4) Frühnächtlicher Bummel in Bremerhaven, Wesermünde 2015; (5) Mauerblümchen 2019.

Lamoleonische Vestib*letten

Entre nous: Entrez, s‘ il vous plaît! Wenn man nur wüsste, wohinein. Da ergeht freundliche Einladung, und ich nehme sie auch durchaus gerne an. Rankenornamental ist alles super im Vestibul. Oder eingedeutscht mit ü statt u, wie bei der C/Konfi- oder Ouvert*re? Manche Wörter übrigens gibt es in der behelligten Sprache gar nicht. Der Friseur/Frisör heißt im Französischen coiffeur, und wer in anglophonen Gegenden ein Handy so nennt und also neudeutsch „Händie“ ausspricht, sollte sich über unverständiges Kopfschütteln nicht wundern, selbst bei denen nicht, die unablässig mit ihrem mobile beschäftigt sind.

Am geschmiertesten läuft die eigene Sprache, wenn sie sich selber so setzt, als seien ihre Gepflogenheiten die natürlichsten der Welt und schon immer dagewesen, sozusagen seit unvordenklichen Zeiten. Angesichts von Blümchenmustern dürfte das keine allzugroße Anstrengung darstellen. Unüberwindliche Schwierigkeiten ergeben sich auf einer hochstrebend sowie blumig gedachten Treppe der Erkenntnis vielmehr aus dem Mangel an Orientierungsstufen (!):

Lamoleonische Vestibületten

Erstens nämlich hat die Räumlichkeit, in der ich mich nun befinde, nichts mit einer längst wieder abgeschafften Schulform zu tun, die seit den siebziger Jahren alle Fünft- und Sechsklässler zu durchlaufen hatten, um von dort und ab deren (Be-)Schluss dann entweder in die Hauptschule, in die Realschule oder ins Gymnasium weiterverschickt zu werden.

Zweitens versagen bei dem Gebäude, um das es hier geht, sehr viele sonst zuverlässige Regeln. Wer alles über Stile und Bestimmungen von Bauwerken aus alter und neuer Zeit auswendig gelernt haben sollte, wird hier keinen Blumentopf gewinnen. Eifrig eingeheimste Fleißpunkte helfen dem strebsamen Schüler mitnichten weiter, wenn er nicht höchstselbst sich aufmerksam umschaut.

Drittens sind Stufungen immer heikel. Wenn gerade kein Meisterfriseur zugegen ist, steigt die Gefahr des Pottschnitts. Neben Höher- gibt es leider auch Ein- und sogar Herabstufungen, wofür sich mittlerweile das alles umfassende Unwort „Wertschätzung“ etabliert hat: Ich lobe hoch, sortiere ein oder senke den Daumen. Einen Wert abzuschätzen kann eben unter Umständen auch bedeuten, höchst abschätzig zu werten = zu entwerten.

Viertens ist Orientierung oftmals eher Wunsch denn Wirklichkeit. Ex oriente lux – aus dem Osten kommt das Licht. Die Sonne geht im Morgenland auf, und an uns ergeht immer wieder die Frage, wie „geostet“ unsere abendländischen Sinne tatsächlich sind. Die bisher übliche „Westorientierung“ ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Genauer müsste man dieses Phänomen als „Okzidentierung“ bezeichnen.

Fünftens aber hat Lamoleon sich nie um solche Fragen groß gekümmert. Das Eigenverständnis läuft seltsame Wege, wohl von großen architektonischen Vorbildern und sonstigen Lilienmotiven angeregt, aber dann anschließend von nachkommenden Generationen unverstanden und sogar manchmal ums Spezifische betrogen. Davon wird in einem Folgetext noch ausführlich zu reden sein.

Sechstens geht es im Grunde nur um diese Fragen: Wer oder was mag denn „Lamoleon“ wohl sein? Wie „bio“ ist die blau-weiße Farbgebung? Es folgt vielleicht ein ganzer Fragenkomplex: Kann man das eingedeutschte „Vestibül“ zur Eskalationsstufenerhöhungsvermeidung eigentlich auch mit Ypsilon schreiben? Vestibyl … ? Oder wäre das zu opernhaft? Gibt es aber nicht auch Ufertüren in Wassermusiken? Uh, vertú recte! In virtute veritas! Virtuositas. Es geht also um Virtuosität? Um Händel und sein Handy, das er in Herrenhausen verloren hat?

Stop achtkantig! Die Türen des Hohen Ufers mögen schlundartig sperrangelweit offenstehen und hannöversch locken … Bisher war man in diesen hier vorgestellten und mittels Eckmotiv ins Bild gesetzten heiligen Hallen von solchen Aktionen herzlich unbeeindruckt. Brahms wäre aufblühend da im Hauptraum wirksam gewesen, wenn die Hiesigen die Gelegenheit nicht verschlafen hätten; stattdessen ging der Zuschlag für die Uraufführung seines Deutschen Requiems – nein, nicht an die Leine, sondern – an die Weser nach: Bremen …

Wir ahnen: Es gibt hier viel aufzuklären. Die Menschen haben ein Anrecht darauf. Obwohl ich überhaupt kein investigativer Journalist bin, weiß ich doch: Mit einer bloßen Entrée will heutzutage niemand abgespeist werden, so höflich die Veranstaltung auch vonstatten gehen mag. In Marmeladenbrötchen beißen und gleichzeitig Mobiltelefonempfang haben wollen – dies ist der unsägliche Widerspruch unseres derzeitigen Lebenswandels. Traditionelles Wohlleben und trendiges Whirlpoolhightec: Das wäre zusammengefasst also so etwas wie Frühstücksfernsprech – in Pirouetten und durch die Blume gesagt.