Baustelle

Derzeit ist das Smartphone mein einziger Zugang zur internetten Welt. Umbauarbeiten stehen an. Wie lange sie andauern werden, vermag ich heute nicht zu sagen. Da ich meine mindestmonatliche Lieferkette keinesfalls unterbrechen will, sei dieser kurze Text der Weblog-Beitrag für den laufenden März 2021.Sobald mein Klapprechner wieder weltweite Empfangsbereitschaft anzeigt, melde ich mich!

Katzenfoto

Ein bekanntes „soziales Netzwerk“ aus Kalifornien wird manchmal verspottet, weil seine Nutzerinnen und Nutzer hauptsächlich „Katzenfotos“ verbreiten würden. Dem widerspreche ich energisch, weil die in Rede stehenden Tiere solch eine herablassende Bemerkung nicht verdient haben. Dass der Internetgigant seine wahren Absichten hinter der Präsentation solcher Bildchen geschickt verbergen mag, sei allerdings deshalb nicht bezweifelt – im Gegenteil: Hier kann er unbemerkt einen Kuschelkurs fahren und dem freudigen Entzücken seiner Milliarden User unbeschwerte Likes mühelos entlocken.

Dass sich die wendigen, eleganten, nachtaktiven, eigensinnigen und schnurrigen Kreaturen davon überhaupt nicht beeindrucken lassen, gehört zur schnöden unverfälschten Wahrheit unbedingt hinzu. Unabhängigere, schlauere, ja freiere Wesen lassen sich kaum denken. Und auch im domestizierten Zustand bleiben sie mit ihren Augen und Krallen unerschrockene Raubtiere, auf leisen Pfoten zwar, aber konsequent und letztlich unbezähmbar. Damit haben sie es sowohl zu Hausgenossen (in Europa) als auch zu heiligen Tieren (im alten Ägypten) gebracht. Ein Kater kann gestiefelt (Ludwig Tieck) sein oder seine Lebensansichten (E.T.A. Hoffmann) verbreiten, er mag durch die Mondnacht streifen, sich mit seinesgleichen balgen und seine Amouren haben. Wenn die Katze mit der Brille (Ilona Bodden) sich indes vor Mäusen zu fürchten beginnt, muss sie ihr Gemahl wieder auf den rechten Weg bringen. Bildungsbeflissenheit darf nie auf Kosten des Selbstbewusstseins gehen. Printmedien, Funk und Fernsehen sowie World-Wide-Web sollten den Blick auf das Wesentliche nicht verstellen.

Da trifft es sich gut, dass heute, wie an jedem 8. August seit nunmehr achtzehn Jahren, der Internationale Tag der Katze begangen wird. Und ich kann dafür, in Form einer Reiseerinnerung, sozusagen ein echtes eigenes Katzenfoto beisteuern:

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In Ephesus war’s, vor einigen Jahren, dass sich dieses Geschöpf gelassen von mir ablichten ließ, ganz in sich ruhend, keinen persönlichen Plan preisgebend, dem eigenen Weg unbeirrt natürlich folgend und deswegen sich nicht weiter störend an den Leuten. Wer sich seiner Sache sicher ist, muss sich nicht einmischen und kann großzügig das Leben der anderen laufen sehen – wie sein eigenes. Freiheit blüht aus den Ruinen, wenn schon nicht aus denen der gegenwärtigen Zeit, dann doch herüber aus einstiger christlich gewordenen humanen Antike. Auch damals schon strichen sie samtig um die Häuser: Womöglich sind Katzen doch die besseren Menschen.

Kalenderreime

Wenn Johann Peter Hebel

und auch noch Bertold Brecht

gar sehr entfernt vom Übel,

so eigentlich unschlecht

Geschichten geistreich schrieben,

davon, was wirklich recht

die Leute immer trieben,

dann fiel Lektüre echt

fein aus: dass Lesers Meinung

war wunderlich gerecht,

zumal viel schöne Lesung

groß Menschengeist erwischt.

Kalender schufen Formen,

wo gern, wens übermocht,

freigeistig fielen Normen …

Hats wirklich was gebracht?

Die Alten hatten Sinne,

sie wussten, wies geschieht,

beließen freundlich Minne,

ja, wahrten manch Gesicht.

Kalenderreime

Jetzt aber will ergründen

zeitgeistiges Geschlecht

was heute bloß von Sünden

sich vorzutun erfrecht!

Einseitig, ohne Gnade:

Weh dem, den es erwischt.

In absolutem Grade

verzeiht Weltnetz nienicht.

Weils also weg politisch-

korrekt an Freiheit bricht,

sagt man wohl besser kritisch:

Es reicht! Das wolln wir nicht.

Cool, not correct

Sie glauben gar nicht, wie oft ich zu diesem Beitrag angesetzt habe. Die glattesten Texte schreiben sich am schwersten. Früher wurden als missglückt empfundene Passagen einfach durchgestrichen; oder man führte Skizzenbücher, in denen nach Herzenslust gesudelt werden durfte – ehe dann die Reinschrift auf besonderem Papier erfolgte. Beethoven hat sich so immer weiter vervollkommnet; Lichtenberg beließ es bei hingeschmierten Aphorismen. Ich höre noch meinen herrischen Englischlehrer befehlen: „No ink-killer“ – wegen des urkundlichen Charakters einer Klassenarbeit. Versehen durften also nicht restlos getilgt werden. Man sah jedem Werk die Mühen seiner Genese auf ewig an.

Korrekturtasten an elektrischen Schreibmaschinen und Löschfunktionen in den heutzutage gängigen Rechnern haben mittlerweile eine nahezu perfekte Sprachwelt erschaffen. Einzige Bedingung in diesem unserem Lande: Grundkenntnisse in der deutschen Rechtschreibung. Die nehmen allerdings in genau dem Maße ab, wie die Anzahl schriftlicher Äußerungen im Internet ansteigt. Das heillose Durcheinander von „das“ (Relativpronomen) und „dass“ (Konjunktion) tut ebenso weh wie die Vermengung von Groß- und Kleinschreibung im Falle von „sie“ (Personalpronomen dritte Person Singular weiblich oder dritte Person Plural) und „Sie“ (Anredeform). Ob es darüber hinaus eine gute Idee war, die bisher nur als Minuskel verwendete, aus den Frakturbuchstaben Lang-s und z entstandene Ligatur „ß“ nun auch als Majuskel zu benutzen, ist ebenfalls sehr fraglich, schon aus Gründen des Schriftbildes.

Aber auf solche ästhetisch ästimiert dahergeredeten Feinheiten legt derzeit kaum noch jemand Wert. Statt Bleiwüsten in Gestalt von Tageszeitungen oder gar richtigen Büchern haben die einfachen Bilder Hochkonjunktur. Ein buntes Nice-pic oder ein cooler Photo-shot sind wie Lieder ohne Worte, nur ohne störende Geräuschkulisse. Das will ich jetzt auch einmal ausprobieren, mit einer Momentaufnahme aus den Tagen des vergangenen Jahrtausends, als uns noch keine übertriebene political correctness terrorisierte und junge Männer ein bisschen langhaarig und unrasiert ihre coolness austesten konnten. Voilà:

ja

Wer allerdings jetzt fleckige Abnutzungsspuren bemäkeln möchte, ist hier falsch und möge bitte diese Seite verlassen. Da bin ich jetzt mal streng. Umso löblicher scheint mir das Produkt der Polaroidkamera zu sein: Es hat nunmehr zwanzig Jahre durchgehalten, und erkennbar ist immer noch so halbwegs diejenige Person, die damals cool oder lässig oder gar von allem völlig losgelöst eine fabelhafte innere Zufriedenheit ausstrahlte. Möge heitere Aesopische Weisheit in englischen (auch mit der Konnotation: engelhaften) Zungen, wenngleich wahrscheinlich ohne sprechende Tiere, unser geistlich armgewordenes europäisches Leben erfüllen. Der Grexit fand nicht statt, der Brexit steht vor der Tür. Den beiden Mutterländern von Drama und Demokratie hat man übel mitgespielt.

All das ist eigentlich unfasslich. Ein Quäntchen mehr kunstsinnige Eleganz und British understatement ohne moralinsaure Zutexterei wäre hier wie dort hilfreich gewesen. Aber das ist womöglich, wenn wir superkorrekt sein wollen, ein anderes Thema, altbriestig mit dem 200-Jahres-Jubilar Theodor Fontane gesprochen: ein weites Feld. Bleiben wir also einfach im Bild – und freuen uns, dass auch Unvollkommenes bisweilen irgendwie glatt läuft, ohne jede Ausradierung. Darob ist es mir denn in Tat und Wahrheit für einmal herzlich egal, ob Sie das nun glauben oder vorsichtshalber lieber nicht.

Technik, die begeistert

Seit einiger Zeit folge ich dem Autor Wolfgang G., der einen Weblog namens „Pfaffes World“ betreibt. In seiner neuesten Nummer „Das Smartphone“ schreibt er von all der Mühe, die das neue Mobiltelefon seiner Mutter ihm bereitet. Ganz selbstverständlich wendet sich die 76jährige Dame nämlich an ihren Sohn, wenn sie Schwierigkeiten mit der neumodischen Technik hat. Da sage ich nur: Chapeau!

In meiner Familie oder im eigenen Freundeskreis käme niemand auch nur von ferne auf die Idee, mich um Hilfe anzugehen, so es um richtig praktische Handgriffe geht. Dass ich eine Kneifzange bemühen könnte, um ein verbogenes Ende des Ladekabels wieder flottzumachen, stellt sich in bezug auf mich kein Mensch meiner engeren und weiteren Umgebung annäherungsweise geschweige denn hoffnungsfroh überhaupt erst vor.

Solange alles reibungslos funktioniert, bin ich selber allerdings ein begeisterter Nutzer all der Geräte und Maschinen, die unsere Welt heutztage prägen. Dabei halte ich das Durcharbeiten von schlecht aus dem Englischen (oder Chinesischen, gar Koreanischen?) übersetzten Bedienungsanleitungen für eine völlig überbewertete Tätigkeit. Ich lese die ellenlangen Texte nie (seit dem Bonmot von US-Präsident Trump, er sei ein bekennender Nichtleser, darf das ja offen gesagt werden), sondern verfahre nach dem Motto trial and error. Doch, wie schon angedeutet: Das läuft bei mir nur, solange der Strom aus der Steckdose fließt und ich behaglich davon ausgehen kann, dass auf Knopfdruck jeweils das geschieht, was draufsteht.

Ich muss in die Tasten greifen können; und wenn ich mich vertippe, etwa ein CAPS LOOK mir nur noch Großbuchstaben serviert, bin ich aufgeschmissen: Wo war nochmal die Funktion, um das rückgängig zu machen? – Mein Kompjuhter sagt es mir dann ja nicht, ich sehe mich dem Zwang ausgesetzt, durch wildes Drücken an beiden Seiten der Buchstabentastatur alles höchstselbst herauszufinden. Vielleicht macht aber gerade solch eine Störung unbewusst heideggerischen „Zuhandenseins“ am Ende innovativ, um nicht zu sagen mutig.

Wie gut, dass die mechanische Schreibmaschine weitestgehend ausgedient hat. Aufgrund meiner einzigen Ausbildung, die ich in technischer Hinsicht einigermaßen erfolgreich durchlaufen habe, bestand nämlich früher, also im tiefsten Damals, bei mir immer die Gefahr, Akkorde anzuschlagen. Das Durcheinander in sich verhakter Buchstabenhämmerchen anschließend rein händisch wieder zu entwirren gestaltete sich zeitaufwendig, ergo geduldstrapazierend und auf eine mir befremdliche Weise enervierend fingerspitzengefühlig. Am Klavier war doch vieles bedeutend einfacher, und was ich an Fingerfertigkeit und durchaus auch Sensibilität besaß, fand ich dort sinnvoller eingesetzt und entfaltet.

Andererseits war mein Verhältnis zu namentlich rundfunktechnischen Errungenschaften unserer bundesdeutschen Zivilisation über weite Strecken meiner Kindheit eigentümlich personalisiert. Den Sprecher, dessen ernste Nachrichtenstimme aus einem bei uns zu Hause scherzhaft „Dampfradio“ genannten Apparat aus den Fünfzigern erklang, stellte ich mir in demselben sitzend umgeben von völliger Dunkelheit vor: Amt und Person derart übereinstimmend, dass sich die Umrisse des Kopfes nicht von der ewigen Nacht im klar ersichtlich fensterlosen Radiogerät unterscheiden ließen. Darin spiegelt sich wohl meine damalige Auffassung von Seriosität und Feierlichkeit. Notabene halte ich diese Erwartung an die Machart tagespolitischer Meldungen bis heute hin aufrecht.

Später, als es einen eigenen Fernseher bei uns gab (aus dem Impuls heraus, die Olympischen Spiele von München in den eigenen vier Wänden ansehen zu können), meinte ich, dass Programmansagerinnen oder Tagesschausprecher mich in unserem Wohnzimmer sehen könnten. Das zog erhöht angepeiltes gutes Benehmen und Aussehen coram Hanni Vanhaiden oder Karl-Heinz Köpcke nach sich.  Wer wollte sich schon blamieren, wenn die allabendlichen TV-Leute höchstpersönlich einen ansprachen? Auch diese Menschen brachten es doch fertig, exklusiv pro me dazusein. Wie sie es schafften, gleichzeitig auch all die anderen Millionen Haushalte mit ihrer Anwesenheit zu beglücken, blieb mir indes schleierhaft. Aber die Technik würde das schon hinkriegen, beschwichtigte ich mich selbst. Schließlich waren ja in diesen modernen Zeiten auch Mondlandungen möglich …

Völlig anders gelagert war mein Verhältnis zum gemieteten Fernsprechapparat der Deutschen Bundespost. Ich teilte die allgemein verbreitete Ansicht, es sei gut, dass man sich beim Telephongespräch nicht sehe. So konnte beispielsweise die Hausfrau auch während ihrer Arbeit einen Anruf entgegennehmen, ohne der sie so vielfach bedrängenden inneren Stimme „Schürze ab!“ tatsächlich Folge leisten zu müssen. Insgesamt galt die Grundregel: „Fasse dich kurz“; denn wir befanden uns eben nicht in West-Berlin, wo man für 23 Pfennig unbegrenzt lange fernmündlich sich zwischen Frohnau und Zehlendorf auslassen konnte. Für uns, den jungen Nachwuchs, war übrigens das graue Ding mit der Wählscheibe in Eigeninitiative tabu. Zur Illustration gab es dazu von den Erwachsenen eine Geschichte über Kinder, die aufs Geratewohl eine Nummer gewählt hatten und punktgenau in Japan gelandet waren. Die anschließende Rechnung an die Eltern wies eine Verbindung im Wert von über tausend Mark aus …

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Das Problem eines utopischen Bildtelefons kehrte sich während eigener Lektüre von Orwells „1984“ um in das der dystopischen Totalüberwachung. Technisch ist diese letztere mittlerweile nicht nur möglich geworden, sondern auch allgegenwärtig – derzeit allerdings noch in freundlicher Form. Genaueres wissen wir im übrigen ja nicht: Guckt der User durch seine Webcam nach außen, oder durchleuchtet die in Laptop respektive Smartphone eingebaute Heimkamera die eigene Wohnungsmisere und meldet deren mit Kleist, Büchner, Hoffmann, Nietzsche oder Adorno bestückten Bücherregale an irgendeine Zentrale?

Jedenfalls ist die Unterscheidung zwischen Hör- und Sprechmuschel im digitalen Zeitalter obsolet geworden. Viele Krawattenmenschen im Zugabteil sprechen lauthals in die Gegend, total wichtig: zwischen Bremen und Hamburg möglichst ununterbrochen. Als unfreiwilliger Mithörer bekomme ich mit, wer seine Präsentation in der Firmenleitung „unterirdisch“ abgeliefert hat, oder wessen Macke schnurstracks einen Kündigungsgrund darstellen muss, nach dem Motto: „Das geht GAR nicht“ … Technik und Transparenz schließen bei solchen Eisenbahnfahrten eine bezeichnende Ehe. Und auf dem Display blinkt zuverlässig die unlöslich-unlöschliche Verbindung auf. Das Sechste Gebot, hier kann es noch einmal so richtig auftrumpfen.

„Dann heirat‘ doch dein Büro“, sang Katja Ebstein 1980, und ihre vorwurfsvoll-selbstbewusste Stimme klingt herüber in unsere dienstbeflissen-humorlose Jetztzeit. Ein Unterschied zu damals ist, dass sich die räumlichen Dimensionen völlig verflüchtigt haben. Die imperativgesättigten Zeilen: „Stell dir ein Bett dort hinein / und schlaf mit den Akten und Computern ein“, locken heutzutage nur mitleidiges Lächeln hervor; denn dank der Kommunikationstechnik ist überall Arbeit und Freizeit, wo immer man sich aufhält: unvermischt und unverwandelt, ungeteilt und ungetrennt. Was einst im Konzil von Chalcedon im Jahre 451 von den zwei Naturen Christi vierfach ausgesagt wurde, ist mittlerweile völlig beliebig individualisiert und droht auseinanderzufließen in belanglose E-Mails, dröhnende „Sprachnachrichten“ oder undurchschaubare Algorithmen, an deren Stelle sich ein personal denkender einfacher Zeitgenosse gern wirkliche Menschen dächte, die den Informationsaustausch wohlwollend oder doch augenzwinkernd begleiteten …

„Pfaffes World“: Die Reformatoren sahen den Buchdruck als Gottesgeschenk an. Durch ihn konnten sie ihre Gedanken in Schriften und Liedern rasch und raumfüllend verbreiten. Das Internet schließt sich direkt an. Die guten, zu Unrecht oft geschmähten evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer nehmen das Wort nach wie vor ernst. Sie sind nicht etwa „noch“ erfüllt von der ihnen aufgetragenen Botschaft – als ob diese ein Relikt der Vergangenheit wäre, womöglich „nicht mehr zeitgemäß“ – , sondern die kirchlichen Amtsträger ringen wie am ersten Schöpfungstag um die jeweilige Bedeutung der großen vermittelnden Verheißung: „Und Gott sprach“. Für mich sage ich: Technisch reparieren kann ich nichts, aber gesprächsweise dasein und darin zugleich mediale Nähe wie erholsames Seinlassen verkörpern – das geht durchaus. Macht die Pfaffen nicht schlechter, als sie sind!

Foto: Fernsprechapparat der Deutschen Bundespost aus den siebziger Jahren.

Schmucktelegramm

Vor einigen Tagen erreichte mich hier folgende Nachricht: „Glückwunsch zum Jahrestag mit WordPress.com! Du hast dich vor einem Jahr auf WordPress registriert. Danke für dein Vertrauen. Weiter viel Erfolg beim Bloggen!“

Das ist doch mal was Schönes!  Es macht mich aber andererseits auch wehmütig, weil ich an die vielen Konvolute denke, die unpubliziert in meinen Schubladen und Regalen schlummern, seit Jahrzehnten nun schon. Haufenweise eng beschriebene Papiere, teils lose Blätter in sogenannten „Stehsammlern“ oder Schnellheftern fixiert, teils brave Seiten in gebundenen Kladden – alles sehr haptisch, überbordend materiell.

Mein Entschluss, einen eigenen Weblog zu betreiben, löste im Freundeskreis seinerzeit ebenso Verwunderung aus wie einige Jahre zuvor mein Beitritt zu Facebook, Instagram und WhatsApp. Als ich mich von meinem Uralt-„Nokia“-Mobiltelefon trennte und mir ein „Smartphone“ zulegte, sahen viele meiner Bekannten – wiewohl selbst schon lange mit diesen Accessoires bestückt – in diesem Schritt so etwas wie den Untergang des Abendlandes.

Da war es an mir, dem hoffnungslos Konservativen, meinen Freunden zu sagen, man müsse schließlich mit der Zeit gehen … Richtig ist allerdings, dass ich immer erst dann modern werde, wenn die anderen sich schon über meine Rückständigkeit amüsieren und geradezu mit Sympathie herumerzählen, sie kennten da jemanden, der diesen ganzen neumodischen Kram nicht mitmache. In der guten alten Zeit wurde jemand wie ich „Spätentwickler“ genannt.

Insofern habe ich stets enttäuscht. Weil ich schließlich doch mich dem Fortschritt ergab und eine gewisse Schnurrigkeit hinter mir ließ. Die Gegenwart der Vergangenheit streifte ich ab, einen Zustand mithin, der manchen ungestüm vorwärtsstrebenden Freunden so etwas wie Sicherheit und Verankerung gegeben haben mag, nach dem Motto: Ich kenne einen, bei dem der Ursprung noch gewahrt und also lebendig ist.

Aber keine Sorge! Ich bin noch rückblickend genug, um zu phantasieren, dass obiger Glückwunsch „früher“ in Form eines Schmucktelegramms den Adressaten erreicht hätte. Oder als Dankesschreiben mit kunstvoll verschnörkelten Buchstaben in französisch stilisierter Kursivschrift. Oder gar als Urkunde, zum Ehrenplatz bestimmt in gerahmtem Aufputz überm Bett. Indessen: Welch ein Aufwand an Holz, Glas und Metall wäre das gewesen!

Heutzutage schwärmt man vom papierlosen Büro. In den Niederlanden soll es das schon geben, bis hin zum Abort. Die venezolanische Toilettenpapierkrise ist somit hochtechnisiert überwunden, frage mich bitte niemand, wie genau. Ich wundere mich ja bereits über die Urinale auf Autobahnraststätten, die angeblich ebenso wasserlos funktionieren wie die neuen Chefetagen holzfrei. Bleibt nur festzuhalten, dass mein Weblog ebenfalls einen kleinen Beitrag leistet zur großen Entmaterialisierung des Alltags im Rahmen des digitalen Zeitalters.

Ich hätte sowieso keine Schublade mehr frei für die hier unter dem Label „ausdruckweblog“ versammelten Beiträge. Insofern kommt mir der technische Fortschritt sehr entgegen. Aber andererseits ist er doch etwas sehr Vertrautes: Die Umwandlung des Leiblichen geht einher mit der Stärkung des Klanglichen. Insofern wohnt dem Internet etwas zutiefst Musikalisches inne. Raum transformiert in Zeit: Konzerte kann man nicht sehen. Allerdings gilt zugleich: Ein Telegramm wird ein Telemann nie werden. Keine Metamorphose vollzieht sich bruchlos. An der Nahtstelle zwischen Schöpfung und den Geschöpfen des Prometheus bricht sich Kreativität Bahn.

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Oberflächlich wahrgenommen ist das digitale Neuland stumm wie ein Fisch im Wasser. Sonar wäre da einiges zu heben – wenn die Frequenzen erkannt sind. Und vielleicht hat der alte Victor Hugo ja doch recht mit seinem Bonmot: „Musik ist ein Geräusch, das denkt.“

Dass Haydn und Beethoven einander verblüfft empfahlen, als die Musik des Feuerbringers verklungen war, muss uns im Gedenkjahr des Hamburger Director musices durchaus beschäftigen: Georg Philipp Telemann, gestorben vor 250 Jahren, war Pate des „großen Bach“ Carl Philipp Emanuel, den wiederum Haydn sehr verehrte, – und womöglich Ideengeber für jenes ominöse e-moll-Seitenthema, das im ersten Satz von Beethovens Dritter Symphonie die heroische Es-Dur-Stimmung so wunderbar eintrübt.

Ich schweife ab. Was ich eigentlich nur sagen wollte anlässlich dieses nun fünfundzwanzigsten Beitrags in meinem eigenen Weblog: Vergesst mir die Musik nicht! Beglückwünscht mich zum Silberjubiläum! Der abstraktesten, weil rein klingenden Kunst wegen habe ich den Begriff „Ausdruck“ gewählt. Dies sei betont in papierlosem Telegrammstil.

Foto: Schulkonzert. Telemann fehlte nie.