Jesus nahm zu …

… sich die Zwölfe: So lauten die ersten Worte jener Kantate, mit der sich Johann Sebastian Bach (1685-1750) am Sonntag Estomihi 1723 in Leipzig bewarb. Volle dreihundert Jahre ist dies nun her. Bach bekam den Posten des Thomaskantors und städtischen Musikdirektors – aber nur deshalb, weil zuvor der favorisierte Georg Philipp Telemann (1681-1767) abgesagt und der zweitplazierte Christoph Graupner (1683-1760) von seinem Dienstherrn keine Erlaubnis zum Stellenwechsel bekommen hatte.

Bach trat sein neues Amt zum Ersten Sonntag nach Trinitatis an, das war Ende Mai 1723 – und blieb bis zu seinem Tod auf dieser Stelle, 27 Jahre lang. Jesus nahm zu, und zwar in einer Weise, wie es die Leipziger nicht gedacht hätten – und eigentlich auch nicht wollten. Denn fortan bekamen sie in den Gottesdiensten der Thomas- und der Nicolaikirche regelrechte musikalische Predigten zu hören: kunstvoll gearbeitet und zugleich tief beseelt – in ihren Ohren jedoch unangemessen hochdramatisch, gar opernhaft. Das überforderte so einige, die in der stolzen Bürgerstadt den Ton angaben. Auch die Prediger auf den Kanzeln und die Gemeinden unter ihnen hatten für diese Bachsche gottesdienstliche Musik mit Soli, Chor und Orchester, die auf den Emporen von den Sängern und Instrumentalisten der Thomaner aufgeführt wurde, oftmals nur Stirnrunzeln übrig.

Bach bemerkte bald, dass unter diesen Umständen sein Feuereifer für das musikalisierte Evangelium an der Harthörigkeit der städtischen Bürgerschaft erlöschen musste. Mitten im dritten Jahrgang der Kantaten brach er mit der wöchentlichen Neuproduktion (nur jeweils durch Advents- und Passionszeit unterbrochen) ab. Eine vierte und vielleicht auch fünfte Serie stoppelte er noch zusammen. Aber danach führte er zunehmend eigene ältere Werke oder die von Familienmitgliedern auf, präsentierte Musiken von Kollegen wie zum Beispiel Telemann oder ließ so manches seit Jahrzehnten vergessene Stück aus dem reichhaltigen Archiv der Thomasschule erklingen. Der eigene Fundus diente zudem, wenn er nicht in späteren Kirchenjahren eins zu eins wiederaufgeführt wurde, als Material für Umarbeitungen und Ergänzungen. Nur noch selten komponierte er neue Kantaten, vielfach aber auch dann kompiliert und arrangiert aus bereits vorhandenem Material: zum Beispiel in den 1730er Jahren ein halbes Dutzend, das „Weihnachtsoratorium“.

So oder so aber nahm Jesus zu. Nach der Wiederaufführung der Matthäuspassion durch den gerade zwanzigjährigen Felix Mendelssohn (1809-1847) im Jahre 1829 wurden auch die Bachkantaten neu entdeckt. Es war die Zeit zwischen politischer Restauration, Biedermeier und Vormärz (1815-1848), die insgesamt eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit mit sich brachte. Dass Bach zu den großen historischen Figuren gehören würde, galt nun als ausgemachte Sache. 1850 gründete man die Bachgesellschaft, die eine Gesamtausgabe aller Werke Johann Sebastian Bachs zum Ziel sich setzte. Robert Schumann (1810-1856) und Johannes Brahms (1833-1897) trugen ihren Teil dazu bei. Nachdem im Jahr 1900 diese Großtat vollendet war, folgte die Gründung der Neuen Bachgesellschaft e.V., die bis heute besteht und sich der „Neuen Bach-Ausgabe“ sowie einer zeitgenössischen Bachpflege verschrieben hat.

Im Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) von 1950 stehen die Kirchenkantaten ganz am Anfang, BWV 1 bis 199. „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“ trägt die Nummer 22. Die erste Leidensankündigung Jesu zu Beginn der vorösterlichen Fastenzeit wird kombiniert mit Anklängen an den weihnachtlichen Letzten Sonntag nach Epiphanias drei Wochen zuvor. Der warmherzig-melancholische Beginn geht in dieser Kantate auf in einer Festmusik, die in der Erinnerung an die Verklärung Jesu bereits Ostern in den Blick nimmt. Eine schöne Aufnahme zum Anhören auf YouTube: J.S.Bach/Jesus nahm zu sich die Zwölfe, BWV 22 (Herreweghe).

Bachs Kantaten haben, seitdem sie in der Welt sind, diese eigentlich immer schon geistig-geistlich überwunden durch ihre musikalische Rhetorik. Texte der Lutherbibel, Choräle aus der Reformationszeit bis hin zu Paul-Gerhardt-Liedern, Arien auf Dichtungen der Bachzeit: In dieser Musik wird alles zur Klangrede der biblischen Botschaft. Die Jüngerschar der „Zwölfe“ setzt ihrem Meister in dem Probestück vom 7. Februar 1723 durchaus zu, aber das tut dessen Predigt und Geschick keinen Abbruch. Wo immer Bachs Evangelium erklingt, kann der Glaube im Wachsen begriffen sein, völlig unabhängig von ach so wichtigen heutigen öffentlichkirchlichen Verlautbarungen zu sämtlichen tagespolitischen Themen – wie einst, als der Solist anhub: „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“.

Jesus nahm zu, damals, mit Bachs Kantaten für die Sonn- und Festtage des lutherischen Kirchenjahres. Später, in kulturprotestantischen Zeiten, begegnete man Jesus wieder genau in dieser Musik bei konzertanten Aufführungen, bis man sie erneut auch für die evangelischen Gottesdienste im 20. Jahrhundert gemäß ihrem ursprünglichen Eigenverständnis hin und wieder einsetzte. Dieser Brauch hat sich bis heute erhalten. Freilich bedarf es dazu kirchenmusikalisch-hauptamtlicher Personen, entsprechender Chöre und Vokalsolisten, einer geeigneten instrumentalen Ausstattung sowie des nötigen Kleingelds.

Der schwedische Erzbischof Nathan Söderblom (1866-1931) nannte den von Max Reger (1873-1916) als „Anfang und Ende aller Musik“ bezeichneten Bach den „Fünften Evangelisten“. Und in jedem Fall wird Jesus nie geschmälert, sondern seine Botschaft nimmt zu durch die bis heute staunenerregende Klangwelt jenes Musikers, der sich vor 300 Jahren auf das nach wie vor bedeutendste Kantorenamt im evangelischen Deutschland bewarb. Das musikalische Christentum wirkt seither weit hinaus, international und überkonfessionell. Wohl auch in diesem Sinne hat der argentinisch-deutsche Komponist Mauricio Kagel (1931-2008) einmal gesagt: „An Gott zweifeln – an Bach glauben“.

Rheingold, Scheingold, Maingold

2023 hält wieder einige Fest- und Gedenkgelegenheiten bereit. Dass Grundlagen einbrechen können wie nicht mehr tragfähiges Eis, wäre uns vor fünfzig Jahren, in den ersten goldenen 1973er-Monaten, unvorstellbar erschienen.

Mit der erstmaligen Ausstrahlung der „Sesamstraße“ durch mehrere westdeutsche Fernsehanstalten zog ein unbeschwerter Optimismus auch bei den jüngsten Bundesbürgern ein. Obwohl es sich um eine TV-Serie „für Kinder im Vorschulalter“ handelte, waren auch ABC-Schützen und deren Eltern von Ernie, Bert & Co begeistert. Gern ließen wir, die wohlstandsverwöhnten Deutschen, uns generationsübergreifend auf humorvolle amerikanische Art unterhalten und ehrten das Krümelmonster insgeheim mit dem Orden vom Goldenen Keks.

1973 wurde dann nach trittsicherem Beginn aber auch zum Jahr des Ölpreisschocks. Auf den Jom-Kippur-Krieg im Oktober reagierten die arabischen Staaten mit massiven Preiserhöhungen für das Schwarze Gold, was hierzulande zu Sparappellen, Sonntagsfahrverboten und in der Folge zum Bau vieler neuer Atomkraftwerke führte. Man wollte sich befreien von einseitigen Abhängigkeiten. Die güldne Sonne und der Wind, der weht, wo er will, waren damals noch nicht im Gespräch.

Wer 2023 zurückblickt in die große weite und nur zu oft sehr ernste Weltgeschichte, kommt überhaupt an überraschend zahlreichen Daten nicht vorbei, die irgendwie mit Gold, Geld und also auch mit Macht zu tun haben. Vor 75 Jahren, im Juni 1948, wurde in den deutschen Westzonen die Währungsreform durchgeführt. Damit begann, noch bevor die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden war, die Erfolgsgeschichte der Deutschen Mark. Sie war übrigens nicht immer so „hart“, wie wir im nachhinein verklärend meinen. Gerade im Zuge der Ölkrise 1973/74 und nur kurze Zeit nach der Abkoppelung des US-Dollars vom Goldwert kam es zu einer Teuerung, die in einem Anstieg von Löhnen und Gehältern bis zu zehn Prozent gipfelte. Vor allem deswegen (die Affaire um einen DDR-Spitzel war nur Anlass, nicht Ursache) musste Bundeskanzler Willy Brandt dann im Mai 1974 abtreten und dem Finanz- und Wirtschaftsfachmann Helmut Schmidt das Amt überlassen.

Anders als heute gab es damals aber noch die „Vierte Gewalt“ in Gestalt einer Bundesbank, die wirklich gehört und geachtet wurde. Sie bewachte in Frankfurt am Main tatsächlich sozusagen das Staatsgold und wehrte alle Versuche ab, das Geld nachhaltig zu entwerten zugunsten haushalterisch flüchtigen Genusses im bloßen Hier und Jetzt. Sie verstand sich eben nicht als Staatsbank, die willfährig abgenickt hätte, was die Regierenden gerade meinten an Wohltaten ausschütten zu können. Vom Grundsatz einer von tagespolitischen Weisungen unabhängigen Notenbank ist nunmehr in Zeiten der EZB so gut wie gar nichts mehr übriggeblieben.

Die Bank Deutscher Länder, die spätere Deutsche Bundesbank, war ja mit der Zielsetzung gegründet worden, eine verdeckte Geldentwertung wie im Dritten Reich sowie eine Hyperinflation wie die von 1923 ein für allemal unmöglich zu machen. 1948 war 1923 gerade einmal 25 Jahre her – nun werden es, im Herbst 2023, genau einhundert sein. Wir beobachten diesen Teil unserer deutschen Geschichte und verfolgen aufmerksam, wohin sich die europäische Geldpolitik entwickelt und gestaltet – so sie nicht abdriftet und uns in den gesellschaftlichen Untergang reißt. Lassen wir uns nicht aufs Glatteis führen!

Vor 175 Jahren war die hohe Zeit der „48er“. Karl Marx und Friedrich Engels veröffentlichten ihr „Kommunistisches Manifest“ im Blick auf die revolutionären Bewegungen in halb Europa. Den Forderungen nach der „Diktatur des Proletariats“ stimmten viele laut wie leise bei, unter ihnen ein Anarchist namens Richard Wagner, seines Zeichens Kapellmeister in Dresden. Sein nicht musikalisiertes Libretto „Jesus von Nazareth“ schrieb er 1848, intellektuell-werbewirksam an der Seite der Armen und Entrechteten, in einem Tonfall aber auch von Eigenrechtsanspruch und Neid. Der Streit und Kampf um den aus dem Schatz des Rheingoldes geschmiedeten Ring des Nibelungen ist da schon vorgebildet.

Was Johann Sebastian Bach mit seinem Dienstantritt in Leipzig vor nun 300 Jahren (Mai 1723) in Kantaten und namentlich Passionen von den Untiefen menschlichen Begehrens und Sehnens aus klingend-lutherischem Geist hinauf in die goldenen Hallen des Himmelreiches führte, wurde durch Wagner „geerdet“ und zu einem Menschheitsepos verarbeitet, dessen Protagonisten ihren eigenen Gesetzen folgen und im Streben nach ichbezogener Freiheit sich nur immer mehr verhaken und verheddern. Mit der Götterdämmerung hören Goldrausch und Geldgier mitnichten auf. Wer diesen Punkt erreicht hat und angesichts solcher aussichtslosen Lage beginnt, an Gott zu zweifeln, möge an Bach glauben. So jedenfalls hat es der Komponist Mauricio Kagel gehalten, der dieses goldene Wort prägte und dessen Stück sowie Film „Zwei-Mann-Orchester. Für zwei Ein-Mann-Orchester“ vor nunmehr fünfzig Jahren Aufsehen erregte.

Im Herbst 2023 werden es 375 Jahre her sein, dass in den Rathäusern von Osnabrück und Münster Verträge unterzeichnet wurden, die den Dreißigjährigen Krieg beendeten. Dieser Westfälische Friede war nur deshalb nach jahrelangen Verhandlungen zustandegekommen, weil man eben, trotz allen Anfeindungen, miteinander geredet hatte. Die Gegner solcher Konferenzen, die vor jedweder Friedensordnung deswegen Angst hatten, weil sie dann ihre eigenen territorialen korrupten Willkürherrschaften drangeben müssten, hatten das Nachsehen. Insofern hat dieser Friedensschluss für 2023 womöglich einige Aktualität. Siegt Gewalt um ihrer selbst willen, ferner Gier nach Gold und Geld? Oder geht es nicht doch eher um deren Einhegung innerhalb einer Ordnung, die das verfasste Recht durchsetzt? Sollen wir auf diese eigentlich schon 375 Jahre alte bewährte Einsicht nun noch jahrzehntelang wie auf etwas ganz neu zu Erfindendes warten? Muss jede Generation erst wieder selber auf die heiße Herdplatte fassen, um zur Vernunft zu kommen?

Unter den vielen Anlässen, die in diesem Jahr gefeiert oder bedacht werden können, sei für heute nur noch die Grundsteinlegung des gotischen Kölner Doms zu nennen. Sie erfolgte 1248, also vor 775 Jahren. Geld hatte sich dort durch das Gold des Dreikönigsschreins unermesslich vermehrt. Die unablässig in die Rheinmetropole strömenden Pilgersleute brachten Reichtum und Wohlstand, so dass man aus dem Vollen schöpfen zu können meinte und sich frohgemut ans Werk machte. Nach etlichen geistigen und materiell-finanziellen Durststrecken kam das Projekt spätestens mit der Zeit der Reformation dann gänzlich zum Erliegen. Noch Heinrich Heine und Robert Schumann ließen sich von einer Bauruine inspirieren: „Deutschland. Ein Wintermärchen“ beziehungsweise der langsame Satz aus der „Rheinischen“ Symphonie sind gewissermaßen im Vorgriff auf das Endprodukt geschaffen. Erst im Oktober 1880 wurde die Kathedrale vollendet.

Vom mittelalterlichen quasi rheingoldfinanzierten Dom über inflationäres Scheingeld ohne Golddeckung bis zum 1948er Maingeld aus „Bankfurt“, das vielen bis heute ganz persönlich „mein Geld“ geblieben ist und erinnerungsweise wie tägliches Gold glänzt, kann also in diesem Jahr vieles bedacht und manches gar gefeiert werden – in eisfreien Zeiten wie diesen umso fester!

Felix Mendelssohn

Eine Skizze zu seinem Geburtstag

Felix Mendelssohn Bartholdy wurde am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren und wuchs in einer Bankiersfamilie auf. Sein Großvater war der jüdische Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester Fanny und weiteren Geschwistern wurde der junge Felix nach der durch die napoleonische Besetzung erzwungenen Übersiedlung zu Verwandten nach Berlin dort ab 1811 sorgfältig erzogen. Die mozarthaften Wunderkinder erregten bald Aufsehen. 1816 ließen die Eltern sie evangelisch taufen. Reformatorisches Bekenntnis hat Mendelssohns tiefe Frömmigkeit zeit seines Lebens geprägt, bis zu seinem frühen Tod mit achtunddreißig Jahren in Leipzig am 4. November 1847.

Abraham Mendelssohn hatte das nötige Kleingeld, seinen begabten Kindern viele Bildungs- und Konzertreisen durch halb Europa zu ermöglichen: in die Schweiz, nach Frankreich und Italien sowie nach England und Schottland. Felix Mendelssohn hat auch als Erwachsener auf den britischen Inseln seine größten künstlerischen Triumphe vor einer riesigen dankbaren Zuhörerschaft gefeiert. Die Reiseeindrücke flossen in Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ (darin unter vielen anderen Hits der weltberühmte „Hochzeitsmarsch“), die Hebriden-Ouvertüre oder die Schottische Sinfonie ein.

Die eigene musikaliensammelnde Verwandtschaft und der Leiter der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter, machten Mendelssohn mit Bachs Matthäuspassion bekannt. Auch sonst ist allenthalben schon beim ganz jungen Komponisten eine intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel zu erkennen. Seine Wiederaufführung der „großen Passion“ des alten Thomaskantors im Jahre 1829 ist ein Meilenstein der musikalischen Wirkungsgeschichte. Mendelssohn hat damit, als gerade Zwanzigjähriger, etwas mehr als hundert Jahre, nachdem dieses Hauptwerk abendländischer Passionsmusik 1727 erstmals erklungen war, die öffentliche umfassende Bach-Renaissance eingeleitet; sie dauert an bis in unsere Tage.

Mendelssohn hat sich zeit seines kurzen glanzvollen Lebens stets für Kollegen seiner Zunft eingesetzt, indem er ihre Werke aufführte, nachempfand oder anderweitig bekanntmachte: Dazu zählten Hector Berlioz, Franz Liszt, Robert Schumann und auch Richard Wagner. Vergleichen wir etwa dessen Holländer-Ouvertüre mit der Einleitung zum Oratorium „Elias“, so merken wir, wie nahe sich der Leipziger Gewandhauskonzertdirektor und sein neidischer musikdramatischer Nachbar in Dresden manchmal waren.

Ganz bewusst komponierte Mendelssohn ein ausgesprochen musikhistorisches Moment in seine Werke ein. So klingt im Oratorium „Paulus“ Bachs Johannespassion nach. Der erste Satz seiner „Italienischen“ atmet Mozarts lichten Geist. Im „Lobgesang“, gezählt als zweite Symphonie, treten Chor und Vokalsolisten hinzu, ganz nach dem Vorbild von Beethovens Neunter.

Eigene unverwechselbare Zeichen hat Mendelssohn in der Klavier- und Orgelmusik gesetzt: Die „Lieder ohne Worte“ sind quasi seine Erfindung. Und die sechs Orgelsonaten markieren den Beginn einer romantischen Tradition, die vor allem im französischen Sprachraum bei César Franck, Charles-Marie Widor oder Louis Vierne zu hoher Blüte gelangte.

Es gibt so gut wie keine musikalische Gattung, die von Mendelssohn unbeachtet blieb. Er ist einer der letzten Komponisten, die ganz universell dachten und schufen, in der Kirchenmusik wie im Opernfach, in Liedern wie in Solokonzerten, in Motetten, Kantaten, Oratorien, Chören (z.B. „O Täler weit, o Höhen“ oder „Denn er hat seinen Engeln befohlen“) Sinfonien, Schauspielmusiken, Streichquartetten und sonstigen kammermusikalischen Werken.

Die Fülle seines Schaffens erwuchs, ähnlich wie bei Mozart, aus einer gediegenen Allgemeinbildung, die vor allem einen entschiedenen Sinn für die jeweilige Form ausbildete. Was Kritiker meinten, als allzu „glatt“ bemängeln zu müssen, war tatsächlich immer neu hart erarbeitet. Mendelssohn strich, verwarf und korrigierte stets bis zur Drucklegung seiner Kompositionen – und oft noch darüber hinaus, sehr zum Leidwesen der Verleger.  Hierin ähnelte er seinem Kollegen Frédéric Chopin: Nie war er zufrieden.

Felix Mendelssohn, glücklich verheiratet mit der Tochter eines Hugenottenpredigers aus Frankfurt am Main und Vater vieler Kinder, galt zu Lebzeiten und noch viele Jahrzehnte danach als ein geniales Glückskind, das den öffentlichen Musikbetrieb im biedermeierlichen Deutschland schöpferisch und organisatorisch ungemein bereichert hatte. Kein Männerchor im wilhelminischen Zeitalter, der nicht seine Lieder sang; kein Bachverein, der nicht seine kirchenmusikalischen Werke aufführen wollte; kein Konzertpublikum, das nicht nach seinen Ouvertüren und Sinfonien verlangte.

Dass er kein Titan wie Beethoven, kein Grübler wie Brahms, kein Neutöner wie Liszt war – geschenkt. Verhängnisvoll sollte sich im Fortgang seiner Rezeptionsgeschichte allein der Umstand erweisen, dass er aus einer jüdischen Familie stammte. Die Nazis kannten ja selbst dann keine Gnade, wenn die von ihnen Geächteten längst zum Christentum konvertiert waren – weil bei ihnen überhaupt gar kein Glaube zählte, sondern bloß dumpf das Blut. Das Mendelssohn-Fenster in der Leipziger Thomaskirche verarbeitet diese böse Fama sehr eindrücklich.

So wurde das beliebte e-Moll-Violinkonzert aus dem öffentlichen Musikbetrieb verdrängt, indem man Robert Schumanns d-Moll-Violinkonzert zu etablieren suchte: 1937 wurde dieses Stück, das im 19. Jahrhundert niemand aufführen wollte, erstmals dem Publikum dargeboten. Die Perfidie, noch post mortem Keile zu treiben zwischen Kollegen, die sich im wirklichen Leben geschätzt und unterstützt hatten, ist vielleicht nur ein kleiner Aspekt in dem sich damals schon manifestierenden Grauen der 1940er Jahre – aber eben einer unter unzähligen Schritten, die den aufrichtigen Geist einer zwar unpolitisch-vormärzlichen, aber in sich selbst zutiefst humanen Kultur niedergetrampelt und zertreten haben.

Mendelssohn hat es auch im Nachkriegsdeutschland schwer gehabt. Man traute dem stilistischen Alleskönner nicht recht über den Weg. Wer jedoch die feinsinnige Klangwelt mit durchaus aufbegehrenden Momenten etwa in der „Walpurgisnacht“ oder im c-Moll-„Sinfoniesatz“ zusammenhört, wird nicht umhinkönnen, in ihm einen europäischen Weltbürger zu entdecken, der die heutzutage so gern vollmundig betonte „Vielfalt“ nicht als propagandistisch aufgemotztes Neusprech übergriffig missbraucht, sondern leise und unausdrücklich, schlicht und einfach, gebildet und kunstreich: wirklich GELEBT hat.

22G+

Musikalisches Doppeljubiläum MMXXII: In den hundert Jahren zwischen 1722 und 1822 wurden Altes und Neues Testament erschaffen.

Vor drei Jahrhunderten schrieb Johann Sebastian Bach (1685-1750) das Deckblatt zum ersten Teil seines Wohltemperierten Klaviers, in eindrucksvoller Schönschrift. Und genau zwei Jahrhunderte ist es nun her, dass Ludwig van Beethoven (1770-1827) die Komposition seiner letzten Klaviersonate abschloss, in kalligraphisch nicht ganz so einwandfreier Niederschrift.

Es muss aber auch gesagt werden, dass Bachs berühmtes Werk überhaupt erst im Jahre 1801 vollständig gedruckt erschien: bei Simrock in Bonn am Rhein, der Geburtsstadt Beethovens! Da waren knapp achtzig Jahre schon vergangen! Der Komponist von insgesamt zweiunddreißig offiziell gezählten Klaviersonaten hingegen sah die Veröffentlichung seines Opus 111 schon im gleichen Jahr seiner Fertigstellung. Doch war die Zeit in den 1820er Jahren auch verlegerisch längst reif und empfänglich geworden für das umfangreiche Schaffen dessen, der „nicht Bach, sondern Meer“ heißen sollte, wie der dritte Wiener Klassiker einmal bemerkte.

Ihm selbst, dessen 250. Geburtstag wir vor kurzem, so gut es eben ging, gefeiert haben, war Bachs Wohltemperiertes Klavier von Kindheit und Jugend an vertraut. Schon lange vor Drucklegung dieses epochalen Werks kursierten im Bachschen Haus, also zu Lebzeiten des Köthener Hofmusikers (1717-1723) und späteren Leipziger Thomaskantors (1723-1750), handschriftliche Kopien, angefertigt von Familienmitgliedern und Schülern. Die wurden wiederum abgeschrieben und so weiter und so fort … – so dass sich diese Musik buchstäblich „unter der Hand“ rasch verbreitete, um von Kennern und Liebhabern in ganz Europa studiert und gespielt zu werden.

Durch die Vermittlung des für seinerzeit schon ältere Musik empfänglichen Barons Gottfried van Swieten (1733-1803) kannten bereits Joseph Haydn (1732-1809) und Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) solche Abschriften und ließen sich durch sie zu eigenen Bearbeitungen anregen. Dem österreichischen vormaligen Botschafter in Berlin, der 1777 mit etlichen kopierten barocken Musikalien in die Habsburgermetropole zurückgekehrt war, entging auch nicht, dass der Jungstar Beethoven bei seinen ersten staunenerregenden Auftritten im Wien der 1790er Jahren gern aus Bachs Wohltemperiertem Klavier spielte.

Dem Bonner Hofmusiker und Wiener Starpianisten „Ludwig van“ waren Kenntnis und schöpferische Aneignung von Bachs Wohltemperiertem Klavier durch den Bonner Hoforganisten Christian Gottlob Neefe (1748-1798) zuteil geworden: Der stammte aus Chemnitz, war Thomaner in Leipzig gewesen, zudem studierter Jurist und lebenskluger Musiker in einer fahrenden Schaustellertruppe, ehe man in der gleichermaßen superkatholischen wie aufgeklärt-toleranten kurkölnisch-fürstbischöflichen Residenz zu Bonn die Gaben dieses evangelischen Freimaurers entdeckte und nichts dagegenhatte, dass er seine mitgebrachten Bach-Noten pädagogisch wertvoll einsetzte.

Neefes Unterricht prägte nachhaltig Beethovens künstlerische Laufbahn. Namentlich noch im ersten Satz von Opus 111, in den zweistimmigen laufwerkartigen Passagen, meint man den „alten“ Bach im energischen c-Moll präludierend und in der Durchführung sogar ein wenig fugierend herauszuhören.

Der ganze Kosmos Beethovenscher Klaviermusik ist, wie jede Komposition für besaitete Tasteninstrumente, überhaupt nur in solcher harmonischen Fülle möglich geworden dadurch, dass man in der Bachzeit die reine und die mitteltönige Stimmung zur „wohltemperierten“ weiterentwickelte – eine physikalische Glanzleistung! Man meliorisierte die Intervalle so, dass alle zwölf Töne der chromatischen Aufeinanderfolge innerhalb einer Oktave gleichberechtigt als Grundtöne fungieren konnten. Ohne kleine Schummeleien ging das nicht – aber hier führt einmal die Überlistung der Natur zu schönen Ergebnissen. Um solch neu gewonnene kreative Freiheit theoretisch und praktisch zu demonstrieren, stellte Bach seine Präludien und Fugen je paarweise zusammen, gleichnamiges Dur und Moll direkt hintereinandergeschaltet und dann in dieser Manier halbtonschrittweise aufsteigend jeweils die nächsten beiden Paare …

Den 24 wohltemperiertklavieristischen Pärchen aus Köthen ließ Bach in Leipzig zwei Jahrzehnte später (1742/44) noch einmal so viele folgen, gewissermaßen bei Durchsicht seiner Bücher: Den zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Also zweimal 24 Präludien & Fugen, 48 Stücke pro Teil, 96 insgesamt! Stundenlang lässt sich darin stöbern und daraus spielen – das machte Bach selber gern: Wenn er keine Lust hatte, einem Schüler ausführlich Klavierstunde zu erteilen, dann setzte er den auf einen Stuhl und sich selbst ans Instrument, vergaß die Zeit und füllte sie zugleich aus … Einer der derart zum Zuhören geheißenen Eleven hat später berichtet, es sei ihm wie wenige Minuten vorgekommen: also alles andere als langweilig!

Das erste Paar bei Bach steht in C-Dur. In flexibler, sozusagen mutierter Betrachtung ist Beethovens letzte Klaviersonate in ihrer Zweisätzigkeit ebenfalls paarweise angelegt, c-Moll/C-Dur. Die hochdramatisierte Frage, warum es denn in Opus 111 keinen dritten Satz gebe, ist, bei aller geistreichen musikphilosophischen Auseinandersetzung bis hin zum „Doktor Faustus“ (1947) eines Thomas Mann, wenig aussagekräftig für die traktierte Sonate selbst: Hier hat Beethoven eben den zweisätzigen Typus grundgelegt, ähnlich wie bei den beiden kleinen Klaviersonaten Opus 49 (Nummer 1: g-Moll/G-Dur// Nummer 2: G-Dur/G-Dur) oder bei den gewichtigen Opera 54 (F-Dur/F-Dur) und 90 (e-Moll/E-Dur). Auch Haydn und Mozart haben zweisätzige Sonaten hinterlassen, ganz zu schweigen von den vielhundert Einsätzigen des Bach-Zeitgenossen Domenico Scarlatti …

Von den gebrochenen Akkorden ohne Melodie im ersten Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier bis hin zur Arietta-Melodie nebst ihren harmonisch und rhythmisch immer ausziselierteren Variationen im letzten Sonatensatz Beethovens ereignet sich ein musikalischer Höhenflug, der seinesgleichen in der Weltgeschichte sucht. C-Dur in allen Facetten: daraus ergibt sich alles weitere. Zwischen Bach und Beethoven.

Das verlangt mehr, bis nahe an den Punkt, den Bogen zu überspannen. Klingt dann ein „neues C-Dur“ auf, etwa in Beethovens Diabelli-Variationen, in Franz Schuberts Wandererfantasie, gar in Robert Schumanns Toccata und Fantasie? Von 22 ab geht die Geschichte jedenfalls weiter: Und die Dominante von C ist immer noch G! Danach kommt noch was. Wie 1722 und 1822 geschehen, so lässt sich das für unser 2022 vielleicht ja doch auch hoffen. Zweiundzwanzig perfekte Partizipien schlage ich hier vor zur Beschreibung von Entstehung, Umgang und/oder Aneignung musikalischer Werke, ganz unverbindlich:

22G gesetzt – gespielt – gehört – gekonnt – geübt – genossen – gefühlt – gelesen – gemocht – gelobt – geschrieben – gedruckt – gesungen – gelungen – geschaffen – gelernt – geplant – gebaut – geklärt – gelehrt – gerühmt – geschafft plus gerngehabt … 🙂

Biblische Ausmaße – und damit sei geschlossen, wie oben begonnen! – kommen mit Hans von Bülow (1830-1894) ins Spiel: Der Pianist und Dirigent hat Bachs gesamtes Wohltemperiertes Klavier und sämtliche 32 Klaviersonaten Beethovens in diesen erstaunlichen Zusammenhang gebracht: „Das wohltemperirte Clavier ist das alte Testament, die Beethoven’schen Sonaten das neue, an beide müssen wir glauben.“

So ultimativ ausgerüstet wünsche ich allseits ein klangvolles Jahr 2022!

Musik der Freiheit

Beethoven – weitaus mehr als nur der Name eines der ganz großen Komponisten inmitten einer stattlichen Anzahl anderer Musiker, die der Tonkunst unseres christlichen Abendlandes ihre Prägung verliehen haben! Beethoven steht für ein Lebensgefühl, das sich an schöpferischer Freiheit von nichts und niemandem überbieten lässt. Darin hat er, vor bald zweihundertfünfzig Jahren, am 16. Dezember 1770 in Bonn am Rhein geboren, in seiner Person „Ludwig van“ sowie in seinem Werk vielen anderen aus seiner Zunft etliches voraus. Und darin ist er all jenen, die ein kreatives Freiheitsverständnis verfechten, zu einem eindrücklichen Vorbild geworden.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) gehört einer Generation an, die überall auf eigene Faust neue Welten ausmachen, entdecken, erobern muss. Einige Beispiele: Wilhelm von Humboldt (1767-1835), zusammen mit seinem Bruder Alexander Namensgeber eines bis heute wirksamen Bildungsideals, versucht, hinter den vielen Sprachen der Menschheit die eine Ursprache zu entdecken. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) betont die Bedeutung der Religion für das gesamte Menschsein als „Ahnung des Unendlichen“. Napoleon Bonaparte (1769-1821) zertrümmert die alte europäische Ordnung durch militärische Gewalt im Nachgang und Ausfluss der Französischen Revolution und bringt so deren Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zu Weltgeltung. Alexander von Humboldt (1769-1859) reist als Naturforscher in französischen Diensten durch Mittel- und Südamerika und wird als Vorbild einer quasi international gewordenen Wissenschaft geehrt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) kreiert mit seiner dialektischen Philosophie des Weltgeistes ein in sich geschlossenes universales Denksystem. Friedrich Hölderlin (1770-1843) entwickelt in seinen Gedichten einen in sich schlüssigen, hermetischen sprachlichen Kosmos. Friedrich von Hardenberg (1772-1801), bekannt unter seinem Künstlernamen „Novalis“, redet einer mystisch-religiösen Weltschau das Wort.

Im Überblick dieser exemplarisch angeführten Persönlichkeiten zeigt sich ein Zug ins Große und Ganze. Man verabschiedet sich zumindest innerlich sowohl vom traditionellen Kirchenglauben beiderlei Konfession als auch vom Vertrauen in die Institutionen des Ancien Régime. Alles Schöpferische und alles Zerstörerische muss aus sich selbst heraus erwachsen. Die Kunst wird, gleich der Wissenschaft und Politik, in dem Sinne autonom, als sie sich ihre Grundlagen in der jeweils befähigten Einzelperson selbst zu bilden hat. In ihren bedeutendsten Exponenten, zu denen der geborene kurkölnische Bürger und getaufte Katholik Beethoven zweifellos zählt, haben wir es mit subjektiv-voraussetzungslos urtümlicher Phantasie bei gleichzeitig objektiv-meisterhaft traditionsgeschulter Kunstfertigkeit zu tun. Alles zielt auf das Menschsein an sich, in weltbürgerlich-aufklärerischer Absicht oder in individuell-romantischem Anspruch.

Beethoven, der jugendliche Organist und Bratschist am in Bonn ansässigen Hof des kurkölnischen Fürstbischofs, wächst in der geistigen Welt des aufgeklärten Absolutismus auf. Er nutzt die dort gewährte Freiheit, sich einem revolutionär gesinnten Lesezirkel anzuschließen. Zugleich ermöglicht man dem Wunderkind, in allen Bereichen der Musik sich weiterzubilden. „Empfindsamkeit“ und „Mannheimer Schule“ sowie deren „Rakete“ prägen die entsprechende Ausbildung. Christian Gottlob Neefe (1748-1798) unterrichtet seinen begabten Schüler im „Wohltemperierten Klavier“ von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Als Joseph Haydn (1732-1809) von seiner ersten Englandreise zurückkehrt und in Bonn Station macht, stellt man ihm den Einundzwanzigjährigen vor. Aus dieser Begegnung ergibt sich die staatliche Bewilligung eines Stipendiums für die Musikmetropole Wien. So zieht Beethoven im Jahre 1792 auf Geheiß seines Landesherrn Maximilian Franz – eines Bruders der Kaiser Joseph II. und Leopold II. sowie der französischen Königin Marie Antoinette (allesamt Kinder des römisch-deutschen Kaisers Franz I. und seiner Gemahlin, der österreichischen Erzherzogin Maria Theresia) – in die kaiserlich-erzherzogliche Residenz an der Donau. Im „Reisesegen“ schreibt Graf Waldstein, Mitglied der Bonner Lesegesellschaft und später Widmungsträger der Klaviersonate C-Dur Opus 53 (1804), Beethoven werde, so er fleißig arbeite, „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ erhalten.

Bereits 1787 ist Beethoven kurz in Wien gewesen, um bei Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Stunden zu nehmen. Nun, fünf Jahre später, sind Haydn, der Kontrapunktdozent Johann Georg Albrechtsberger (1736-1809) sowie der Chef der italienischen Oper, Antonio Salieri (1750-1825) seine wichtigsten Lehrer. Beethovens erhaltene Übungen im „strengen Satz“ zeigen den Hintergrund für das, was der Student etwa ab seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr in erstaunlich phantasievoller Eigenproduktion mit genauer Kenntnis der Tradition in unbändigem Freiheitsdrang durchzuarbeiten und so zu überwinden trachtet. Dabei steht er seit 1794 mittellos da, weil die französischen Revolutionstruppen sich um den aufklärerischen Geist in der Bonner Residenz nicht geschert und das kurkölnische Territorium kurzerhand erobert haben. Die staatliche pekuniäre Unterstützung aus der Heimat bricht dem Dreiundzwanzigjährigen also weg.

Beethoven wird in Wien zunächst und vor allem als ausgezeichneter Pianist bekannt und entsprechend gefeiert. In Konzertveranstaltungen spielt er auf dem Klavier eigene Werke sowie seine weithin bewunderten ad-hoc-Fantasien, die ihm unter den Zuhörern den Titel eines „zweiten Mozart“ bescheren. Beethoven formuliert bereits in seinen ersten drei Wiener Klaviersonaten Opus 2 (komponiert im Jahre 1795) einen intellektuellen Anspruch, den er in den folgenden Werken immer weiter und entschiedener ausbaut, so in der „Pathétique“ Opus 13 (1799), in der „Mondscheinsonate“ Opus 27 Nr. 2 (1800) oder in der „Appassionata“ Opus 57 (1805). In all diesen Werken führt Beethoven die Gattung der Klaviersonate in vollkommener Kenntnis und Anwendung der Tradition endgültig aus dem Genre gehobener Unterhaltungsmusik hinaus in eine von ihren meisterhaften Vorgängern Johann Christian Bach (1735-1782), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart nie für möglich gehaltene freiheitsbetonte Bekenntnismusik einer völlig unabhängigen Künstlerseele.

Wie wenig Beethoven dabei auf äußere Etikette achtet, zeigt sein distanziertes Verhältnis zu seinem einstigen Lehrer: Überliefert ist ein – übrigens beide Seiten verstörender – kurzer Wortwechsel im Jahre 1801, als Beethovens „Geschöpfe des Prometheus“ Opus 43 uraufgeführt werden und Haydn gegenüber dem Schöpfer dieser Ballettmusik meint, sie mit seiner eigenen „Schöpfung“ vergleichen zu sollen. Und schon fünf Jahre zuvor ist es zu einer Verstimmung beim fast vier Jahrzehnte Älteren gekommen, weil, statt in tiefer Dankbarkeit und Demut dem erhabenen väterlichen Freund und umsichtigen Lehrer seine drei Sonaten Opus 2 zu dedizieren, Beethoven lapidar formuliert hat: „Joseph Haydn gewidmet“.

Ein bedeutendes Zeugnis für Beethovens stetige eigenständige Weiterentwicklung musikalischer Sprache ist auf dem Gebiet der Orchestermusik die Dritte Symphonie in Es-Dur Opus 55 (1804), die sogenannte „Eroica“. Sie markiert, biographisch gesehen, das Ende von Hoffnungen, in Paris eine Stellung im dortigen Musikleben anzutreten. Zusagen auf lebenslange Renten durch österreichische Mäzene aus dem Hochadel lassen den überzeugten Republikaner Beethoven die Widmung seines Werkes an Napoleon leichter auslöschen, nachdem der sich zum Kaiser hat ausrufen lassen. In der „Dritten“ beschreitet der Komponist völlig neue Bahnen, indem er die thematische und motivische Arbeit in einen stark vergrößerten Klangraum stellt und so die Gesamtdimensionen der sinfonischen Form beträchtlich erweitert. Fortan regieren das musikalische Geschehen markante Melodien oder prägnante Signale, während schmückendes Beiwerk entweder zurückweicht oder dem jeweiligen Grundgedanken eines Werkes untergeordnet wird. Besonders radikal hat Beethoven dies im ersten Satz seiner Fünften Symphonie c-Moll Opus 67 (1808), von der Nachwelt „Schicksalssinfonie“ betitelt, durchgeführt. In der zeitgleich entstandenen Sechsten Symphonie F-Dur Opus 68, der sogenannten „Pastorale“, lässt sich Beethoven, bei mitunter ähnlicher Motivik, von der von ihm so geliebten Natur leiten, weswegen die strenge musikalische Faktur auch dieses Werkes beim Hören weniger auffällt.

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts komponiert Beethoven neben Sinfonien und Sonaten auch reichlich für sämtliche Sparten des musikalischen Lebens, insbesondere Streichquartette und andere Kammermusik mit unterschiedlicher Besetzung, Lieder (unter anderem auf Psalmnachdichtungen des lutherischen Dichters Gellert, z.B. „Die Himmel rühmen“), Konzerte (besonders die für Klavier und Orchester) und Chorwerke. 1803 wird sein Oratorium „Christus am Ölberge“ Opus 85 uraufgeführt, eine Passionsmusik mit der Fokussierung auf die ins allgemein Menschliche gewendete Szene im Garten Gethsemane. Schwer tut Beethoven sich mit seiner Oper „Leonore“ (1805), die erst nach gründlichen Umarbeitungen und unter dem Namen „Fidelio“ Opus 72 (1806/14) das Thema der Befreiung aus dunklem Kerker zur existienziellen Grunderfahrung der Zeitepoche erhebt. Unter den Bühnenmusiken sind die Ouvertüren zu Goethes Schauspiel „Egmont“ und die zur Shakespeare-Adaption „Coriolan“ bis heute bekannt geblieben. Letztere führt die motivische Arbeit bis zur völligen Auflösung durch. Gleichfalls im Jahre 1807 erscheint die C-Dur-Messe Opus 86, eine Vorstufe zur großangelegten und jeden liturgischen Rahmen sprengenden Missa Solemnis (1819/23).

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Bemerkenswert sind Werke, die gattungsübergreifendes Potenzial in sich tragen: Die Chorfantasie c-Moll Opus 80 (1808) beginnt als Klavierkonzert und endet in einem Chorsatz, der motivisch-melodisch schon auf das Finale der Neunten Symphonie vorausweist. Das Violinkonzert D-Dur Opus 61 arbeitet Beethoven später zu einem Klavierkonzert um. Die frühe Klaviersonate E-Dur Opus 14 Nr. 1 (1799) ist vom Komponisten selbst transkribiert worden in ein Streichquartett F-Dur. Andersherum nehmen viele Sätze in den insgesamt 32 Klaviersonaten Klangstrukturen auf, die den Kirchenmusiker an vierstimmige Choräle erinnern mögen, bei Beethoven aber von der Beschäftigung mit Gattungsmerkmalen des Streichquartetts herrühren.

Ein durch mehrere Gattungen wanderndes Thema ist als Grundlage der sogenannten „Prometheus-Variationen“ Opus 35 berühmt: Es existiert als Klavierwerk, als besagte Ballettmusik und als Sinfoniesatz am Schluss der „Eroica“. Beethoven verändert die sich über einem Bass Stück um Stück heranbildende Musik von Mal zu Mal. So legt er in jedem Fall einen Schaffensprozess offen, gewissermaßen die Modellierungen des Schöpfers an seinen Geschöpfen, in gestalterischer Freiheit doch stets auf den Ursprung bezogen und zugleich die spielerische Freude betonend. Hier ist immer auch mit humorvollen Wendungen zu rechnen. Insgesamt nehmen Variationen übrigens einen Großteil in Beethovens Werk ein. Seine erste gedruckte Komposition ist eine Klaviervariationenfolge über einen populären Marsch (1783). Sein letztes großes Klavierwerk sind die „33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli“ (1823).

Je mehr sich ein schon seit 1796 bemerkbares Gehörleiden verschärft, desto stärker wird bei Beethoven die geistige Durchdringung sämtlichen musikalischen Ausdrucks. Kann er wegen seiner Schwerhörigkeit immer seltener öffentlich auftreten und fühlt er sich gesellschaftlich mehr und mehr ins Abseits gedrängt (Heiligenstädter Testament; Brief an die „unsterbliche Geliebte“), so arbeitet er konsequent an seinem Ruf als erstklassiger Komponist. Den Durchbruch erlangt er damit allerdings nicht; erst im Jahre 1813 vermag er mit dem Auftragswerk einer lärmigen Schlachtensymphonie namens „Wellingtons Sieg“ seine Bekanntheit über die adligen musikinteressierten Kreise hinaus in eine allgemeine Popularität auszuweiten. Auch die Gelegenheitskantate „Der glorreiche Augenblick“ zum Wiener Kongress 1814 gereicht Beethoven zu einem steigenden internationalen Ruhm – angesichts der auf Einladung des österreichischen Kanzlers Metternich in der Donaumetropole sich versammelnden gekrönten und ungekrönten Staats- und Regierungschefs, die eine neue nachnapoleonische europäische Ordnung auszuhandeln sich anschicken.

Ein Jahr zuvor, 1813, ist die Siebte Symphonie A-Dur Opus 92 uraufgeführt worden, später von Richard Wagner (1813-1883) als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet. In ihren Ecksätzen blitzt und brodelt es, man könnte eher von einem Tanz auf dem Vulkan sprechen. Der Wille zur grenzenlosen Freiheit ist angestimmt, doch diese selbst scheint zu taumeln und zu straucheln. So hat Beethoven das Scheitern der revolutionären Freiheitsideale seiner eigenen Jugend eindrücklich auskomponiert. Der Allegretto-Satz der „Siebten“ ist als Trauermarsch in Variationen ebenso berühmt geworden wie der langsame Satz aus der „Eroica“ und der dritte Satz aus der Klaviersonate As-Dur Opus 26. Letzteren hat Beethoven, ebenfalls in der Kongresszeit 1814/15, anlässlich einer Schauspielmusik zum Gedenken an eine in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gefallene preußische Soldatin (!) für Streicher und Bläser instrumentiert.

Beethoven sucht zu den herrschenden Gesellschaftsschichten immer ein angemessenes Verhältnis einzunehmen. Seine Klavierstunden öffnen ihm die Türen. Viele seiner Schülerinnen und Schüler entstammen dem österreichischen Hochadel. Mit den musikalisch und insbesondere pianistisch versierten Erzherzögen Johann und Rudolph pflegt er fachlich-freundschaftlichen Umgang und hat dadurch direkten Zugang zu den habsburgischen Regenten in der Wiener Hofburg. In den Klaviersonaten d-Moll Opus 31 Nr. 2 („Sturm“, 1802) und Es-Dur Opus 81a („Les Adieux“, 1810) klingt von diesen persönlichen Beziehungen etwas nach. Vor diesem Hintergrund ist das Ereignis beim Spaziergang Beethovens mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) im Jahre 1812 im böhmischen Kurbad Teplitz weniger dramatisch zu sehen als gemeinhin vermutet. Als die beiden auf Mitglieder der kaiserlichen Familie treffen, bleibt Goethe auf der Stelle stehen, lüftet seinen Hut und verneigt sich tief; Beethoven hingegen stapft weiter und mitten durch die Szenerie hindurch: Er kennt die hohen Herrschaften ja, und die wiederum kennen ihren Beethoven.

Im Metternichschen Zeitalter, als die Meinungs- und Pressefreiheit wieder massiv eingeschränkt ist, gilt Beethoven als ein Unikum, aber durchaus von ideellem Wert; mit einem solchen weiß sich die feine Gesellschaft gern zu schmücken. Hier liegt der Unterschied zu dem fast eine Generation jüngeren Franz Schubert (1797-1828), der in den nach ihm benannten Lese- und Musizierabenden im Freundeskreis („Schubertiaden“) stets mit Denunziation und Verhaftung rechnen muss. Beethoven hingegen gilt der Polizei als bedauernswerter harmloser Einzelfall mit mächtiger Protektion. Er selber ist von seiner politisch unkorrekten künstlerischen Einzigartigkeit überzeugt: „Beethoven gibt’s nur einen“ und sieht sich allenfalls auf einer Stufe mit Händel, Bach, Gluck, Haydn und Mozart. Von seinen komponierenden und nach wie vor lebenden Zeitgenossen achtet er allein Luigi Cherubini (1760-1842).

In diesem Sinne führt er sein kompositorisches Werk immer konsequenter weiter. 1819, im Jahr der Karlsbader Beschlüsse, beendet Beethoven seine „Große Sonate für das Hammerklavier“ B-Dur Opus 106. Im viersätzigen Ablauf bleibt sie der Tradition ganz treu, doch ihre Dimensionen sprengen jeden bisher gewohnten Rahmen, bis hinein in Abschnitte ohne Taktstriche und in eine ausgedehnte dreistimmige Schlussfuge „mit einigen Freiheiten“, wie die Bemerkung des Autors an deren Beginn tiefstapelnd lautet.

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In dieser Zeit ist es um Beethovens familiäre Verhältnisse schlimm bestellt. Sein 1815 verstorbener Bruder Carl Caspar hat einen Sohn hinterlassen, Karl, um den immer wieder ein alle beteiligten Parteien zermürbender Sorgerechtsstreit zwischen der als leichtlebig verschrieenen Mutter und dem Onkel entbrennt. In den Zeiten, da der Neffe mit Ludwig van Beethoven Umgang hat, versucht der wider Willen – nämlich aus unüberwindlichen Standesunterschieden zu den adeligen Geliebten – unverheiratet Gebliebene, seine an den pädagogischen Konzepten der Aufklärungsepoche geschulten Erziehungsgrundsätze strikt anzuwenden. Aber diese Art von Bildung des jungen Mannes gemäß dessen vermuteten Gaben und Fähigkeiten scheitert gründlich. Nach einem Selbstmordversuch des Zwanzigjährigen 1826 willigt ein als neuer Vormund eingesetzter Freund Beethovens schließlich in Karls Berufswunsch ein: Der Neffe schlägt die Offizierslaufbahn ein. Später erst wird er den Onkel ehren, indem er einem seiner Söhne den Namen „Ludwig“ gibt.

Mit den letzten drei Sonaten (1821/22), den Bagatellen Opus 119 und Opus 126 (1824) sowie den Diabelli-Variationen Opus 120 (1819/23) schließt Beethoven sein Schaffen für das Klavier ab, oft mit freien Assoziationen auf die Musikgeschichte. So erinnert der Tonfall im Variationssatz der E-Dur-Sonate Opus 109 an Georg Friedrich Händel (1685-1759), Beethovens Lieblingskomponist der Vergangenheit. Die As-Dur-Sonate Opus 110 gemahnt im ersten Satz an Mozart, im weiteren Verlauf mit Choral, Rezitativ, Arien und Fugen namentlich an die Johannespassion von J.S. Bach („Es ist vollbracht“). Hat der junge Beethoven bei einer Reise 1796, unter anderem nach Berlin und Leipzig, in der Thomasschule Bachsche Handschriften einsehen können? Die c-Moll-Sonate Opus 111 beginnt wie aus dem Nichts mit einem gezackten Thema und fährt zunächst fort im Nachklang einer barocken Ouvertüre, ehe ein leidenschaftliches, teils fugiertes Laufwerk einsetzt. Die anschließende „Arietta“ in C-Dur ist in der durch sie hervorgerufenen Literatur zu einem Abschiedsgesang verklärt worden. Thomas Mann (1875-1955) und Theodor Wiesengrund Adorno (1903-1969) sehen in ihm das gesamte bürgerliche Zeitalter prophetisch-dialektisch durchschaut und überwunden.

Beethoven vollendet 1823/24 seine beiden Großprojekte, die Missa Solemnis D-Dur Opus 123 und die Neunte Symphonie d-moll Opus 125. 1824 werden sie in St. Petersburg bzw. in Wien uraufgeführt. Außerdem entsteht in den letzten Lebensjahren eine Reihe von rätselhaften Streichquartetten, deren zerklüftete Sätze und polyphone Passagen an Adornos Wort von einer „Philosophie der Musik“ schlechthin denken lassen. Der Partitur der riesenhaft geratenen Messe stellt Beethoven indes ein völlig undogmatisches Motto voran: „Von Herzen – Möge es wieder zu – Herzen gehen“. – Im Finale der letzten vollendeten Sinfonie klingt eine Mischung aus Hoffnung und Wehmut auf: Indem Beethoven Teile aus Friedrich Schillers „Ode an die Freude“ vertont und so ein Gedicht aus der vorrevolutionären Welt (1785) ins Bewusstsein rückt, gibt er seiner eigenen restaurativen Zeit eine persönlich entfaltete Freiheitsliebe mit auf den Weg. Ein zeitgenössischer Kritiker, der die Vermengung von absoluter Instrumentalmusik und Chorgesang für missglückt hält, aber doch den Mut zu dieser Grenzüberschreitung bewundert, schreibt nach einer Aufführung der „Neunten“ über Beethoven und sein Werk: „Auch in der Verirrung – groß!“

Insgesamt lässt sich versuchsweise sagen: Beethovens Gesamtwerk ist Ausdruck eines einzigartigen Personalstils. Der hat sich im Laufe eines ungewöhnlichen Lebens herangebildet aufgrund von früher Förderung durch Freunde und Bekannte, aber verfestigt in den allgemeinen unsicheren kriegerischen Zeitumständen und durch einen starken Charakter im Kampf gegen biographische Schicksalsschläge. Die Musik in ihrer geschichtlichen Entwicklung ist bei Beethoven einem schöpferischen Einzelwillen unterworfen. Das objektiv gegebene musikalische Material bearbeitet er höchst traditionell und zugleich entschieden subjektiv. Eigentümlich für diesen Vorgang sind dynamische, rhythmische, harmonische, metrische und formale Neuerungen, die es in solchem methodischen Ausmaß vor Beethoven nicht gegeben hat und die man getrost als „revolutionär“ bezeichnen kann.

Nicht durch seine von vielen gesellschaftlichen Abhängigkeiten geprägte soziale Stellung im Wien des beginnenden 19. Jahrhunderts, sondern durch die absolute Beherrschung und alles Abgelebte geistesgegenwärtig überwindende, dabei phantasiegeleitete Fortentwicklung seiner Kunst wird Beethoven zum ersten freien Künstler der europäischen Musikgeschichte. Daran haben sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte viele weitere Vorstellungen und auch Wunschbilder geheftet. Die vermutete pausenlose energische Selbstbestimmtheit im Dienste allein „der Sache“ hat noch in der rebellischen westdeutschen Jugend der sechziger, siebziger und achtziger Jahre bleibenden Eindruck hinterlassen. Bücher, Filme und Plakate zeugen von der Beliebtheit des Protagonisten. Diese hängt wohl damit zusammen, dass Beethoven auf seinem ureigenen Boden von klassisch-romantischer Klangrede in seinem Schaffen durch innere Autorität eine allumfassende Welthaltigkeit ausdrückt, die alle Menschen, die sich darauf einlassen, vor verstiegenem Einzelgängertum oder gar exzessivem Ego-Trip schützt, zugleich aber ihnen in dem, was ihr Humanum wesentlich ausmacht, ein starkes Bewusstsein persönlicher Freiheit sichert.

Abbildungen: a) Beethoven gemeinfrei b) Wie man mit dem Hammer philosophiert – Taktlosigkeiten im Finale von Opus 106.