Primus insta grammes: Eine Wiederaufnahme

Vor zweieinhalb Jahren ließ ich meine geneigte Leserschaft teilhaben an den atemberaubenden Photographien des Instagrammers Rick Derneburg. Mittlerweile ist sein Account aus dem weitverzweigten Reich derer von und zu Zuckerberg verschwunden. Wenn ich recht informiert bin, dann hat der Künstler selbst aus freien Stücken sein Konto dort gelöscht. Die schönsten der Bilder allerdings sind – mit seiner Zustimmung – dank meiner seinerzeit erfolgten Veröffentlichung in diesem Weblog der Nachwelt erhalten geblieben.

Lange habe ich überlegt, ob ich mich aufraffen soll, meinen Beitrag von Ende Dezember 2018 hier ein zweites Mal einzustellen. Den Ausschlag FÜR diese Vorgehensweise gab schließlich ein gewisses Unbehagen an der eigenen letzten Nummer von vor einem Monat: Die durchaus ansehnlichen Schnappschüsse aus privatem Gartenreich werden ja textlich so gut wie unbegleitet präsentiert. Solch eine Sprachlosigkeit mag ich mir selber auf Dauer nicht durchgehen lassen. So will ich den Ursprungsfaden wieder aufnehmen und dafür eben einen älteren Text in Erinnerung rufen. Keinesfalls möchte ich den Eindruck erwecken, es gebe hier nichts mehr zu sagen.

Freilich beschleicht mich genau diese dunkle Ahnung im Blick auf coronatische Eingriffe, von denen niemand vor zweieinhalb Jahren eine auch nur klitzekleine Vorstellung haben konnte. In dem weiter unten nochmals präsentierten Bilderbogen nebst nettem Fließtext wird nämlich unter anderem freier Reiseverkehr ohne Flugscham vorausgesetzt. Auch die unmaskierte zwischenmenschliche Begegnung ist unausdrücklich stets eingepreist.

Das sollte sich klarmachen, wer nun die originalen Zeilen zwischen den bunten Bildchen und diese selbst sich zu Gemüte führt. Ein Zeitdokument ersteht vor unseren betrachtenden, lesenden und verstehenden Augen. Ob es sich hierbei tatsächlich um die letzten Zuckungen weitgebrachter überlebter Kultur handelt, oder ob ein unterschwelliger Humor das abendmorgenländische Weltganze doch noch umzuwenden vermag, sollte zwischen China und Troja sowie allem, was ideell wie reell dazwischen ist, gütlich entschieden werden.

Hier ist nun der Beitrag. Wir wünschen gute Unterhaltung!

Jeder will heutzutage ein Star sein. Wer sich nicht zum Tonfilmmagazin Youtube traut, wagt vielleicht eine stille Karriere beim Weltbebilderer Instagram. Dort kann sich auch der Provinziellste unter die Leute mischen, sich den Reichen und den Schönen zugehörig fühlen.

Schon beim bloßen Betrachten der bunten Fotografien sehe ich mich auf einer Stufe mit Jet-Set-Menschen, die, wenn sie nicht gerade im Gym ihre Luxuskörper durchtrainieren, mal eben nach Dubai fliegen (mit Nächtigung in diesem irre berühmten Segelhotel, das eigentlich in Bremerhaven steht) oder in Sydney vor dem Opernhaus posieren (Betonung liegt auf „vor“).

Seitdem ich selber einen Instagramaccount besitze (unter meinem richtigen Namen! Besuchen und liken Sie doch mal die Bilder bei feo_eccard!), habe auch ich Abonnenten und bin Abonnements eingegangen. Fleißig verteile ich rote Herzchen (bei Facebook wären das die hochgereckten Daumen) an alles, was mir bei meinen Followern gefällt.

Besonders gern habe ich einen gewissen Rick Derneburg, der als rick_derneburg unterwegs ist. Kein Land, das er nicht schon bereist hätte. Ob China

china

oder Thailand,

thailand

er kennt alle noch so entlegenen Winkel dieser Erde. Als kundigen Bonvivant zieht es ihn in dieser dunklen Jahreszeit natürlich auf die uns gegenüberliegende Erdhalbkugel. Dort herrscht nach einem lieblichen Frühling jetzt strahlender Sommer. Den Lenz hat er in diesem atmosphärisch dichten Shot festgehalten:

südhalbkugel

Aber nicht nur in Fernost oder südlich des Äquators ist Rick Derneburg ein kulturschlürfender Stammgast; auch in den rauhen Gefilden im romanisch-gotischen Frankreich

frankreich

oder im schroffen gruseligen England (nur der Rasen ist gepflegt),

england

ja auch im andalusischen Cordoba

cordoba

kennt er sich bestens aus. Die blicksichere Raffinesse seiner Schnappschüsse zeugt von innerer Souveränität des fotografierenden Subjekts und zugleich von intimer Vertrautheit mit den fotografierten Objekten. Was auch immer dem Globetrotter vor die Linse kommt – es wächst nachgerade unmerklich und doch so bezwingend wirkmächtig über sich beziehungsweise ihn hinaus zu edler Einfalt und stiller Größe. Unter diesem Winckelmannschen Kriterium lässt sich jede stadtrömische Kirche noch einmal ganz neu in Augenschein nehmen, so wie diese hier:

rom

Und was das Beste an diesem begnadeten Instagrammer ist: Er zeigt uns auch hin und wieder die öden Seiten der ansonsten zu Weltattraktionen hochgejazzten Sehnsuchtsorte. Sein jüngstes Posting ist derart sprechend, dass dahinter alles, was Sie bisher über Venedig zu wissen glaubten, schleunigst verblassen muss:

venedig

Ach, werden nun einige Schlauberger sagen, das soll etwa die Seufzerbrücke in der Serenissima sein? Und der Klotz mit dem gewellten Dach hinten links gar der Dogenpalast? – Nun sehe ich doch nochmal genauer hin und – ähm – bemerke: Ich hatte wohl einen leichten Knick in der Optik. Aber Rick Derneburg ist daran mitnichten schuld. Brav und bodenständig, wie er ist, hat er seine Bilder wahrheitsgemäß beschriftet. Nur wollte ich das nicht lesen. Die Illusion mochte ich mir nicht rauben.

In Wirklichkeit sehen wir also folgendes: Die Nachbildung der Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers, wie sie in der Bremer Überseestadt dieses Jahr in einer weltumspannenden Wanderausstellung zu sehen war; den thailändischen Tempel in Hagenbecks Tierpark zu Hamburg; Frühlingspartie in einem Garten irgendwo in Norddeutschland; romanisch-gotische Säulenkapitelle im Kreuzgang der Michaeliskirche zu Hildesheim; Kreuzgang von Stift Börstel im Osnabrücker Land; Detail aus dem ottonischen Innenraum wiederum der Hildesheimer Michaeliskirche; Rotunde der St.-Lamberti-Kirche zu Oldenburg (Oldb); und dann das allerklassischste Fotomotiv aus der Hamburger Speicherstadt.

Nach diesen ernüchternden Erkenntnissen bin ich mir selbst gegenüber misstrauisch geworden. Sogar dieses eine Foto, das so aussieht wie ein Blick von der Ausgrabungsstätte Troja hinüber zu den Dardanellen, ist wohl ein inneres Fake meiner trügerischen Wahrnehmung:

zu hause auf dem schemel

Ich interpretiere es als Schemel vor der Haustür des Instagramstars Rick Derneburg, auf den er sich zur Erholung gern setzt, um die herrliche Aussicht über die Norddeutsche Tiefebene in vollen Zügen zu genießen.

Soweit dieser Beitrag. Die Diskussion ist eröffnet.

Heilige Weisheit?

Jetzt ist es amtlich: In der Hagia Sophia zu Konstantinopel sollen wieder, wie in den Jahren von 1453 bis 1934, islamische Gebete abgehalten werden können. Orthodoxe und römisch-katholische Sprecher äußern Unmut, bis hin zum Zorn. Sie werden bestärkt von den jeweiligen Regierungsvertretern in Athen und Moskau beziehungsweise vom Heiligen Stuhl. Evangelische Repräsentanten machen sich im wesentlichen eine Stellungnahme des Weltkirchenrates zueigen und sprechen in je persönlichen Variationen ihr Bedauern aus. Sie haben allerdings kaum Rückhalt durch entsprechende Verlautbarungen aus der Politik. Interessanterweise kommt aber auch, zumindest in Deutschland, von muslimischer Seite Kritik. In der Türkei selbst sind es naturgemäß die Kemalisten, denen die Gründung der laizistischen Republik 1923 als undiskutable historische Errungenschaft erscheint.

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Die Argumente gegen die Entscheidung des türkischen Obersten Verwaltungsgerichts sind vielfältig: Das Gotteshaus, anno 537 eingeweiht, sei als Kirche erbaut und müsse, wenn es denn schon kein Museum mehr sein solle, umstandslos wieder zu einer solchen werden. Es mangele in Istanbul mitnichten an Moscheen, da brauche man über die jetzt bestehenden hinaus keine weiteren. Auch sollte alles vermieden werden, was den Streit unter den Religionen neu anfachen könne; denn man lebe schließlich im 21. Jahrhundert: Aus überwundenen schlimmen Zeiten von Glaubenskriegen habe man doch hoffentlich gelernt. Toleranz sei das Gebot der Stunde und die Hagia Sophia ihr Wahrzeichen, habe doch Atatürk bei ihrer Neueröffnung als Museum im Februar 1935 von ihr als dem Ort gesprochen, wo sich einst zwei Konfessionen voneinander trennten – im Jahre 1054 die West- und die Ostkirche –  und nunmehr zwei Religionen – Christentum und Islam – zusammenfänden. Das Bauwerk trage gewissermaßen durch ihr langes 1500jähriges bloßes wenngleich wechselvolles Dasein die Botschaft des Friedens in sich.

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Von unbedingten Forderungen über praktische Hinweise bis hin zu idealistischen Träumereien spannt sich also der hüben wie drüben religiöse und mehr oder weniger geistreiche Bogen. Griechenland und Russland erkennen dahinter glasklar die machtpolitischen Dimensionen. Und die Menschenmenge, die vergangenen Freitag, einen Tag nach dem Urteil, sich vor dem bisherigen Museum unter freiem Himmel zum Gebet zusammenfand, war entsprechend lauthals freudig erregt von dieser „zweiten Eroberung“ und der damit verbundenen islamischen „Raumgewinnung“. Damit stand quasi die Wiederholung des 29. Mai 1453 an: Mehmet der Eroberer hatte ja durch seine Heere an diesem Tag die Hauptstadt der morgenländischen christlichen Welt zu Fall gebracht. Er, der Sultan, erklärte sich durch diese militärische Tat zum legitimen Nachfolger der römischen Kaiser und wandelte das östliche römische Reich um in jenes muslimisch-türkisch dominierte Herrschaftsgebiet, das erst rund 470 Jahre später, in der Folge des Ersten Weltkriegs, unterging. Da war also von vornherein ein Machtanspruch wirksam, der die grausamen Türkenkriege hervorrief und Europa in den nächsten drei Jahrhunderten immer wieder in Angst und Schrecken versetzte.

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Die Hagia Sophia aber war während all dieser historischen Ereignisse und weltgeschichtlichen Dramen nie nur ein Gotteshaus. Sie war vielmehr für rund 900 Jahre die Eigenkirche der römischen Kaiser, die von Konstantinopel aus seit dem Jahr 330 ihr christliches Reich regierten. Am „Nabel der Welt“ wurden sie, die irdisch-himmlischen Mittler, im Sinne eines Caesaropapismus gekrönt und später gern als Inhaber sowohl der weltlichen wie der geistlichen Gewalt in kunstvollen Mosaiken verewigt. Übrigens sprach seinerzeit vom „Byzantinischen Reich“ dort niemand, erst recht nicht vom „Oströmischen Reich“; denn man sah sich selbst ja als organische Fortführung des einen römischen Weltkreises, mit dem „Neuen Rom“ als Zentrum, von Konstantin dem Großen eben vom Tiber an den Bosporus verlegt und mit seinem griechischen Namen versehen: Konstantinoupolis, Konstantinopel, Stadt des Konstantin. Erst ein deutscher Bücherwurm des 16. Jahrhunderts hat den heutzutage geläufigen kulturgeschichtlichen Begriff „Byzanz“, „byzantinische Kunst“ etc. erfunden: https://feoeccard.com/2017/06/08/hieronymus-wolf/. Ab 1453 gehörte das Bauwerk dem Sultan persönlich, ganz analog zur vormals kaiserkirchlichen Bestimmung,  und wurde im Rahmen einer Stiftung folgerichtig zur Moschee. Dies legte Mehmet II. „der Eroberer“ in seinem Testament fest.

Es war nun dieses Schriftstück, das den jetzigen Richterspruch sowie die nachfolgende Entscheidung des türkischen Ministerrates begründet. Damit ist faktisch die Staatsgründung vom Oktober 1923 durch Mustafa Kemal Pascha Atatürk übergangen und für im Grunde ungültig erklärt worden. Die Republik hat in ihrem wesentlichen Gehalt aufgehört zu existieren, wenn ein Beschluss des damaligen Ministerrats vom November 1934 als nichtig bezeichnet wird, weil er angeblich gegen die Bestimmungen des Begründers eines untergegangenen Vorgängerstaates, nämlich des Osmanischen Reiches, verstößt. Dass das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia nach dem jüngsten Gerichtsspruch nun ausgerechnet am 24. Juli verrichtet werden wird, ist ebenfalls historisch brisant: Es ist nämlich der Jahrestag des Vertrags von Lausanne 1923. Darin wurden die neuen Grenzen der bis dahin in Besatzungszonen aufgeteilten Rest-Türkei festgelegt, unter anderem aber auch der leidvolle „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Türken und Griechen besiegelt und im übrigen etliche christliche Minderheiten, die seit 1915 Opfer des Völkermordes geworden waren, nicht weiter berücksichtigt. Das grausame Martyrium von Armeniern und Assyrern wird seitdem von offizieller Seite krampfhaft verschwiegen und seine Benennung strafrechtlich geahndet. Da sind sich Kemalisten und Erdoganisten bis heute erschreckend einig.

Das Vermächtnis des Sultans Mehmet II. legte allerdings auch für alle Zeiten fest, dass die vormaligen Kirchengebäude des römischen Staates weder zerstört noch bilderstürmerisch versehrt werden dürften. Der Eroberer von Konstantinopel hatte eine christliche Mutter, und deren Andenken verbot es dem wüsten Heerführer ganz offensichtlich, die geistlichen Kunstwerke der griechischen Orthodoxie hemmungslos zu vernichten. Die Fresken und Mosaiken etlicher byzantinischer Kirchenräume sind demzufolge erhalten geblieben, oft unter Putz oder Stoffbahnen. Mit der Umwandlung der Hagia Sophia von einer Moschee in ein Museum Mitte der 1930er Jahre war also auch die Freilegung von seit rund 480 Jahren verborgenen Bildwerken verbunden. Zugleich konnten Ausgrabungen stattfinden; die Archäologie kam zu ihrem Recht, Kunstgeschichte wurde legitimiert in einem Umfeld, das bis dahin von solchen Dingen kaum etwas wissen wollte. Und weil Atatürk vieles war, nur nicht religiös, konnte unter seiner Ägide das Bauwerk der Heiligen Weisheit zu einem säkularen Museum werden, das die neun Jahrhunderte als christliche Kaiserkirche und die knapp fünf Jahrhunderte als muslimische Sultansmoschee sozusagen gleichberechtigt miteinander zu präsentieren vermochte. Die Republik hielt sich aus Glaubensdingen nach außen hin heraus, während sie allerdings zugleich einseitig das Türkentum förderte, auf Kosten aller anderen Bewohner des neuen Staates. Der „europäische Staat mit islamischer Bevölkerung“, dessen Verfassung sich am französischen Laizismus und am schweizerischen Rechtssystem orientierte, war von Anfang an in einem nationalistischen Widerspruch gefangen; denn der Republikanhänger Parole „Die Türkei den Türken“ legte jegliche Religionsfreiheit in Fesseln, sofern die im Volk verwurzelte sunnitische Religion nicht, wie von Atatürk durch seine rigiden Maßnahmen erwartet, einfach binnen kurzem verschwand.

Ende von Sultanat und Kalifat, Verbot von Kopftuch und Fez, Einführung europäischen Kalenders und lateinischer Schrift sowie Installierung vor allem französisch-republikanischer Staatstugenden sollten die vormaligen „Jungtürken“ voranbringen in eine neue Zeit. Das Ganze entlarvte sich indes irgendwann als eine aufgepfropfte Ideologie, die den Menschen vor Ort mehr nahm als gab. Wer geschichtlich gewachsene Gewohnheiten mit einem Federstrich abschafft, ohne dass das Neue einen nachhaltigen Rückhalt im Volk besitzt, wird irgendwann scheitern. Und dann kommt die Stunde der Spießbürger: „Ach, sieh an, ich dacht‘ es gleich“. Dies ist jetzt der glorreiche Augenblick aller noch verbliebenen Erdoganisten. Die Hagia Sophia wird neuerlich und zum wiederholten Male ein Objekt machtpolitischer Setzung. Unser vormals christlich-politisches Europa, also das, was man mehr oder weniger romantisch mal als das Abendland bezeichnet hat, steht deshalb so fassungslos vor dieser historischen Zäsur, weil es ernstlich nicht mit der Wiederkehr des machtbewehrten Religiösen gerechnet hat. Glaube ist für die westeuropäischen Granden eigentlich nur noch etwas fürs Museum. Daher fand man den bisherigen Status der Hagia Sophia bequem, ausgewogen und in seiner nie beim Namen genannten Zahnlosigkeit touristisch wunderschön. Die Machtkämpfe dahinter wurden geflissentlich ignoriert. 

Im Jahre 2011 gab es schon einen Testlauf: Damals wurde die Hagia Sophia zu Nizäa in eine Moschee umgewandelt. Isnik, wie der Ort heute heißt, südöstlich von Istanbul gelegen, war Schauplatz des ersten sowie des siebten und letzten der Ökumenischen Konzile, also der von allen christlichen Kirchen in ihren Lehrentscheidungen anerkannten Bischofsversammlungen. Im Jahre 325 bejahte man die Frage, ob Jesus als der Christus „wahr Mensch und wahrer Gott“ sei; anno 787 entschied man abschließend, dass Bildnisse mit dem Glauben vereinbar sind. Die Kunst nahm neuen Aufschwung, unsterbliche Ikonen, Fresken und Mosaiken entstanden. Aus dieser Zeit stammen auch die Werke in der Kaiserkrönungskirche zu Konstantinopel. Aber in der vormaligen Kirche, da das Konzil gegen die Ikonoklasten, die Bilderstürmer des achten Jahrhunderts tagte, erinnert an die dort erlaubten Bilder nichts mehr.

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Mehrfach wechselten Konfession und Religion, im Jahr 2000 war es dem Patriarchen von Konstantinopel für einmal durch die türkische Religionsbehörde gestattet, eine Weihnachtsmesse abzuhalten. Das war’s dann. 1920 schon war diese kleine Hagia Sophia zum Museum gemacht worden, mit der Option, dass in der ehemaligen Kirche auch hin und wieder christliche Gottesdienste stattfinden könnten. Der Wind drehte sich recht bald. In Westeuropa, bei uns also, hielt sich über viele Jahrzehnte das Interesse an solchen Vorgängen oder eben Nicht-Ereignissen in überschaubaren Grenzen. So wird es auch jetzt wieder sein, bei der großen Hagia Sophia, der Heiligen Weisheit zu Konstantinopel.

Fotos (alle Aufnahmen aus dem Jahr 2016): (1) Hagia Sophia, Innenraum mit christlichen und islamischen Elementen. (2) In der Hagia Sophia wird immer irgendwo gebaut, erneuert, ausgebessert. (3) Der Nabel der Welt. (4) Kirche des Konzils 787 in Nizäa, erbaut im 4. Jahrhundert, im Laufe der Jahrhunderte mal Kirche, mal Moschee, seit 1920 Museum, seit 2011 Moschee. Die Abschnitte, wo man als Muslim beten kann, sind mit Teppichen ausgelegt. Die für das Gebet gen Mekka nicht benötigten Ecken des Gotteshauses sind weiterhin touristisch zugänglich. Wird so eine Aufteilung auch in der großen Hagia Sophia in Konstantinopel erfolgen? Und was spräche eigentlich gegen die Möglichkeit, dort neben den muslimischen Freitagsgebeten auch christliche Sonntagsgottesdienste abzuhalten?   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ungesungene Hymnen

Noch über das sehr vorzeitige Aus für „Die Mannschaft“ hinweg sehen wir, die Deutschen, uns in einen angeblich veritablen Sängerkrieg verwickelt, der den schnöden und enttäuschenden Ergebnissen bei der trotzdem ja – nur eben ohne „uns“ – weiterlaufenden Fußballweltmeisterschaft in Russland doch noch einen letzten Sinn abzugewinnen vorgibt.

Gegen die Özil-Feinde brachte man zuletzt das Argument in Stellung, von den deutschen Spielern der WM ’74 habe seinerzeit so gut wie niemand die Nationalhymne mitgesungen – dennoch sei das Team um Bundestrainer Helmut Schön damals Pokalgewinner geworden. Es könne also keinerlei ursächlicher Zusammenhang zwischen vaterländisch motivierter Sangeslust und patriotisch befeuertem Siegeswillen mit entsprechend stolzem Endergebnis bestehen.

Das mag stimmen oder auch nicht. Ich sage hier und heute, vierundvierzig Jahre nach dem großen Finale, das uns an der deutsch-niederländischen Grenze tumultuarische Zustände bescherte, nur dieses: Die beiden unzertrennlichen Maskottchen der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land anno MCMLXXIV hießen Tip und Tap und waren erkennbar den damals gerade aufsteigenden Stars am Himmel des aus Amerika importierten und genial synchronisierten Kinderfernsehens nachempfunden, nämlich Ernie und Bert aus der Sesamstraße.

Ungesungene Hymnen

Neben dem Kichern des breitschädeligen Ernie und dem Brummen des eierköpfigen Bert sind uns aus dieser bewegten Zeit der Nach-68er-Jahre die besten Songs aus der Welt Jim Hensons und seiner Muppets, auch und gerade in der Sesame Street, bis zum heutigen Tag in bester musikalischer Erinnerung: „Quietscheentchen, du bist mein“, „Hätt‘ ich dich heut‘ erwartet, hätt‘ ich Kuchen da“ oder das unverwüstliche „Manamana – didibidibi“ … Da verzichtete man gern und gnädig auf die Sangeskünste von Paul Breitner, Sepp Maier & Co.

Seitdem haben sich die Zeiten mental sehr verändert. Einer wie Mesut Özil gilt nunmehr als bockig, wenn er seinen Mund nicht öffnet. Und niemand ist zur Stelle, der ihm mal so richtig mit Mozart oder Beethoven den türkischen Marsch bläst. Sei’s drum. Die Mitglieder der spanischen Nationalmannschaft wurden gar in toto von uns biodeutschen Fernsehzuschauern beargwöhnt, weil von denen wirklich niemand sang: Dass deren Hymne – bereits seit über 260 Jahren erklingend, also eine der ältesten ihrer Art überhaupt – bis heute keinen allgemein anerkannten Text hat, wäre da, bevor man sich ereifert, vielleicht wissenswert gewesen.

Was uns heutzutage fehlt, ist die Selbstverständlichkeit eigener musikalischer Aktivität. Auch in den Siebzigern sang nicht jeder in einem Chor oder spielte ein Instrument – aber man ging durchaus in oder auf Konzerte, man hörte im Radio die entsprechenden sonntäglichen Sendungen, man kannte und sang und pfiff die gerade beliebten Melodien aus Fernsehserien, Schlagern, Operetten oder gar Opern. Wer dann so ein paar prominente junge Fußballer vor einem Länderspiel während der Hymne stumm sah, konnte als liberal erzogener Bildungsbürger das irgendwie letztlich augenzwinkernd einordnen: Die können oder wollen eben nicht singen. Ach, das sind so Revoluzzer – lass sie zehn Jahre älter werden, dann hat sich das gegeben …

Heutzutage sind wir verunsichert, weil unsere eigene Kultur – und sei es die der seichten Wunschkonzerte – im Abklingen ist. Hier aufgewachsene Muslime, selbst solche türkischer Abstammung, sind keinesfalls mehr automatisch dem „westlichen“ Lebensstil zuzuordnen. Das, was wir über ein halbes Jahrhundert hinweg uns als kemalistisch garantiert einredeten, traf damals und trifft auch heute einfach nicht zu. Da können wir indes itzo auf die Schnelle nichts ausrichten. Besinnen wir uns also notgedrungen erst einmal auf eine längere Zeit eigener kultureller Bestandsaufnahme.

Und: Nehmen wir die aktuell fehlende Gesangskultur bei der seit dem Jahr 2015 nicht mehr deutsch sich nennen dürfenden „Mannschaft“ am besten: sportlich. Auch sie hat ja ihre Tradition, nur eben mit dem kleinen Unterschied, dass sie damals zur Weltmeisterschaft führte – und diesmal zum Versagen. Womöglich liegt die Differenz, wie meistens ja, im Charakter der handelnden Personen: Die 74er haben sich durch nichts und niemanden in ihren jeweiligen Einzelpersönlichkeiten übertreffen lassen. Da waren elf Individualisten auf dem Spielfeld. Das war auch nicht immer nur unproblematisch.

Und die 18er? Wo waren da die eckigen kantigen echten Typen? Die durften erst gar nicht mit nach Russland fahren und waren schon vorher aussortiert. Fazit: Außer medial gehyptem Sängerkrieg fußballdeutsch nichts gewesen. Schade.