Weihnachtswert

Die Volkszählung des Kaisers Augustus, von Luther mit „Schätzung“ übersetzt, führt zur wohl bekanntesten Reise der Weltliteratur. Maria und Josef machen sich auf den Weg von Nazareth nach Bethlehem. Vierzehn Tage, so eine Berechnung, braucht man zu Fuß aus Galiläa ins gebirgige Judäa. Dort, abseits der Political Correctness von imperialer Macht und Pracht, bringt die Verlobte eines fernen Nachfahren von König David ein Kind zur Welt, unter den beengten Verhältnissen vor Ort gewickelt und gelegt in eine Futterrinne für Tiere. Was soll nur dieser Census?, mögen sich unsere notdürftig Beherbergten vielleicht fragen. Warum müssen wir uns in Steuerlisten eintragen im Zuge einer von oben verordneten umständlichen Maßnahme? Was wird aus den damit erfassten Männern im Falle eines Krieges? Das Imperium schlägt ja bekanntlich nur zu oft fiskalisch und militärisch zurück. So ist der Weltenherrscher in Rom schließlich zu dem geworden, was er jetzt vorstellt: Ein neuer Caesar, ein gewaltiger Kaisar, sich als „der Erhabene“ dünkend. Von solch einem entrückten Herrn müssen wir uns wertschätzen lassen?

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Der Imperator und Pontifex maximus sieht seine Untertanen als  namenlose Nummern, deren Wert abzuschätzen nötig ist im Hinblick auf Geldvermögen und Wehrfähigkeit. Das derzeitige kirchliche Gerede von „Wertschätzung“, welchselbige man sich gegenseitig gewähren sollte, weil Jesus das heute ganz bestimmt auch sagen und dementsprechend handeln würde … Ich breche den Gedankengang lieber ab. Das Kind von Bethlehem, den Prediger und Wundertäter aus Nazareth, den Gekreuzigten und Auferstandenen vereinnahmt man für so viele politisch korrekte Sprechblasen und ach so wohltuende „Zeichen“, die „gesetzt“ werden, dass darüber der entscheidende Punkt vergessen wird: „Dies habt zum Zeichen“. Der Engel klärt auf, niemand sonst. Der Gottesbote verweist auf den Christus in der Krippe. Und die so angesprochenen Hirten – Pastores – hören gut zu, gehen sofort hin, sehen, staunen, erzählen aller Welt von ihrem Erlebnis. Mit diesem Sprachgeschehen beginnt die Verkündigung des himmlischen Heils hinein in unser irdisches Gewusel.

Das göttliche Kind indes gibt keinen Laut von sich. Auch Maria und Josef sagen kein einziges Wort. Nach der Weihnachtsgeschichte des Lukas erheben nur der Engel, die himmlischen Heerscharen und die Hirten ihre Stimme. Deren Wirkung aber bewegt das Herz. Von der Mutter des Heilands geht eine innere stille beharrliche Kraft in die Welt der berechneten Geldströme und geplanten Kriege mitten hinein. Irdischen Mächten und Gewalten ist diese Botschaft deshalb von jeher unheimlich. Denn die himmlische „Klarheit des Herrn“ durchschaut das Nur-Humane, das sogenannte „Humanistische“ als das Eindimensional-Unmenschliche. Erst „auf dem Berge, da wehet der Wind“; weitab der bloß erdverwachsenen Ebene öffnet sich der ganze Horizont einer Gotteswelt, die gegen kleinliches Geschwätz den großen Bogen entrollt. Da ist der ersehnte Friede, da leuchtet Gottes Menschlichkeit. Ob der zählende und rüstende und beides abschätzende Kaiser Augustus das dann mitbekommt oder nicht, ist für das Leben vor Ort innerlich unerheblich, obzwar äußerlich drückend. Himmel und Erde, Geist und Macht, Freiheit und Notwendigkeit sind im abendländischen Diskurs daher niemals deckungsgleich: Das lässt sich an der guten alten Weihnachtsgeschichte versuchsweise durchaus zeigen, quod erat demonstrandum. Alle Jahre wieder.