Fingerübung zu Beethoven

Bald, in zwei Jahren, wird die Feier seines 250. Geburtstages begangen werden – sofern dann noch ein kulturelles Umfeld vorhanden sein sollte, das sich der überragenden Bedeutung des 16. Dezember 1770 bewusst ist. Um schon jetzt langsam darauf vorzubereiten, wage ich die Veröffentlichung eines eigenen Textfragments, das sonst in der Schublade vergessen würde. Ein erstes Aufleuchten am Titanenhimmel sozusagen. Ohne die vielen fachlichen Hinweise kundiger Freunde wäre das übrigens nicht möglich. Daher vorab herzlichen Dank an alle, mit denen ich beethovengesprächsweise unterwegs bin! Folgender Entwurf gibt zugleich Einblick in mein Skizzenbuch – in ihm wimmelt es von Einleitungen, und die Hauptsache steht meistens aus. Das unterscheidet mich, wie so viele andere Dilettanten auch, vom unerreichten Meister. Dennoch. Den Anlauf einer präludierenden Etüde, einer Exposition, eines Bruchstücks für ein „Tema con variazioni“ will ich nicht unversucht lassen. Zumal in bezug auf den Künder und Künstler unerschütterlichen energischen Bewusstseins von urwüchsiger Freiheit. Bittesehr:

Kein anderer Tonsetzer steht meiner Meinung nach so sehr für die Freiheit wie Beethoven. Der Kerl hat einfach so komponiert, wie ihm die Intuition es eingab – jedoch nicht willkürlich, sondern auf dem Fundament gediegenen handwerklichen Könnens. Selbst das, was andere beurteilten als „auch in der Verirrung – groß“, ist eben bewusst so und nicht anders gestaltet.

Wobei „Freiheit“ nicht allein individuell, sondern objektiv zu verstehen wäre. Gewiss, da ist der ungebundene Künstler, der keine Ruhezeiten einhält und wegen nächtlichen Klavierspiels die Mietwohnung verliert. Da ist der durchstapfende Zeitgenosse, der die Welt „detestabel“ findet und das die kaiserliche Familie sowie Goethe in Teplitz auch spüren lässt. Da ist der unerschrocken für sein „van“ und für seinen Neffen vor Gericht streitende stolze Mann. Aber solche biographischen Einzelheiten sagen noch kaum etwas über das unvergleichliche Werk aus, das wir Nachgeborenen ja in erster Linie im Blick bzw. im Ohr haben, wenn sein Name fällt.

Seine Leidenschaftlichkeit in Werken wie z.B. der ersten gezählten Klaviersonate f-Moll, der Coriolan-Ouvertüre oder der Fünften Symphonie sollen nicht über die Verwegenheiten anderswo hinwegtäuschen. Da gibt es die nonchalanten G-Dur-Werke: Klaviersonaten, das Vierte Klavierkonzert oder das frühe Rondo von der Wut über den verlornen Groschen; da fällt einem der eigenartige Akkord der Es-Dur-Sonate aus op. 31 ein; überall finden sich harmonische Wendungen auf Grundlage der sixte ajoutée, und manchmal geht es nachgerade frivol zu, siehe nur die Fugenveralberung im letzten Satz der frühen F-Dur-Klaviersonate oder den „dionysischen“ letzten Satz der gewichtigen Siebten Symphonie.

Beethoven wuchs in Bonn am Rhein auf, der Residenz der Fürstbischöfe von Köln. Der Landesherr war nicht nur kunstsinnig, sondern er förderte nach Kräften ein freies aufklärerisches Kulturleben. So versuchte er auch, seine Herrschaft zu behaupten, was ihm im Endeffekt aber nicht gelang: 1794 besetzten die französischen Revolutionstruppen auch dieses Gebiet und lösten seine Institutionen auf. Beethoven, der zu dem Zeitpunkt als kurkölnischer Stipendiat bei Joseph Haydn in Wien studierte, büßte somit seinen finanziellen Unterhalt ein und war fortan auf sich selbst gestellt. Ein freier Künstler aus der Not heraus. Zeit seines Lebens blieb er materiell abhängig von adligen Gönnern: Diese jedoch, angefangen mit dem Fürsten Lichnowsky und dem Grafen Waldstein, schätzten gerade das Originelle an diesem Typen und ließen ihn in seiner Musik frei gewähren.

„Mozarts Geist aus Haydns Händen“ hatte ihm Waldstein schon als österreichischer Gesandter in Bonn ins Stammbuch geschrieben. Mozarts Melodik und Haydns Konstruktivität sind aber nur die direktesten Einflüsse für Beethovens erstaunliches Werk. Bereits der Bonner Organist, Cembalist und Bratschist in der Hofkapelle hatte gute Lehrer und verständige Freunde, allen voran den Klavierlehrer Neefe, der gebürtig aus Chemnitz kam. Unter seiner Anleitung lernte Beethoven Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ kennen, jenes „Alte Testament“ der Klavierliteratur, welchem der kommende Pianistenstar ein „Neues Testament“ in Form seiner 32 Klaviersonaten hinzufügen sollte.

Von besonderer Bedeutung sind für das tiefere historische Verständnis Beethovens die damals zeitgemäßesten Musikstile, nämlich das immer noch anwachsende Werk von Carl Philipp Emanuel Bach (zweitältester Bachsohn, 1714-1788) und die „Mannheimer Schule“ in einem der modernsten Staaten des Ancien Régime. Norddeutsch-protestantische „Empfindsamkeit“ und südwestdeutsch-gesamteuropäisch dominierte Neuigkeiten in Fragen von Schwung und Dynamik, gekoppelt mit Fortschritten im Instrumentenbau, wurden von dem jungen Mann aus Bonn geisteswach und eigenschöpferisch antizipiert und amalgamiert.

Der von sämtlichen Zeitgenossen verehrte „große Bach“, also Carl Philipp Emanuel, der erst fast dreißig Jahre als Cembalist am Hof Friedrichs des Großen in Berlin und Potsdam tätig war und seit 1767/68 als Nachfolger seines Patenonkels Telemann in Hamburg als Kirchenmusikdirektor wirkte, kann, noch vor Haydn, als Begründer der klassischen Klaviermusik gelten. Sowohl die Sonaten als auch die Charakterstücke zeichnen sich durch Melodik, Motivik, Harmonik und Dynamik als das Modernste aus, was damals möglich war. Bach spielt dabei gern mit Überraschungseffekten, z.B. Pausen an unvermuteten Stellen, Synkopen, „falschen“ Reprisen, lauten Einsätzen auf unbetonten Taktteilen, Sforzati versus Diminuendi und so weiter: Empfindsam gegen den Strich! Seine klavieristischen Charakterisierungen von hochgestellten hanseatisch-hamburgischen Damen und Herren entbehren nicht eines feinen bis dröhnenden Humors, sie sind Musik für Insider und bedienen so das gesellschaftliche Bedürfnis nach „persönlichen“ Bezügen.

Ins beschauliche Bonn klangen auch Neutöner aus Mannheim herüber: Johann Stamitz, Begründer des dortigen Hoforchesters, beeinflusste mit seinen sinfonischen Neuerungen das gesamte musikalisch wache Europa, unter anderem auch einen weiteren Bachsohn, den jüngsten: Johann Christian (1735-1782), den weltläufigsten aus der Familie: Man nennt ihn den „Mailänder“ und später den „Londoner“ Bach. Aus Italien hatte er das „singende Allegro“ mitgebracht, in England war er dann Konzertunternehmer mit zuerst sehr gutem und zuletzt gänzlich schwindendem Erfolg. Der junge Mozart hat in Mannheim prägende Eindrücke empfangen für sein sinfonisches und pianistisches Schaffen, und Beethoven zeigt gleich in der ersten Figur seiner ersten gezählten Klaviersonate, Opus 2 Nummer 1, wie energisch er denkt: Das Werk beginnt mit einer aufsteigenden, mit jedem der sechs Töne stärker gedachten Linie durch f-moll hindurch, vom eingestrichenen c bis zum zweigestrichenen as, in treppenartiger „Terrassendynamik“, einem ununterbrochenen Crescendo im Sinne der sogenannten „Mannheimer Rakete“. Darin liegt Sprengkraft für alle folgende Musik.

mannheimer rakete

Carl Philipp Emanuel Bach und Mannheim mussten dem jungen Mann aus Bonn als anregende Gegenwelt zur musikalischen Pedanterie erscheinen, wie er sie in Wien beim Kontrapunktlehrer Albrechtsberger, aber eben auch bei Haydn empfand. Beethoven brauchte jedoch ein Reich der Phantasie, das ihm Zuflucht bot vor allem, was er selber als „häusliche Misere“ bezeichnet hat. Als Kind vom gleichfalls in der fürstlichen Kapelle spielenden, aber hoffnungslos trunksüchtigen Vater oft geschlagen, als Jugendlicher daher schon mit Versorgungsaufgaben belegt für Mutter und Geschwister, wollte er immer ausbrechen. Die freiheitsliebenden Freunde wurden zu seiner eigentlichen Familie, die geistigen Aufbrüche unter Absehung aller irdischen Hindernisse zum Lebenselixier. Die erschütternden Worte aus seinem „Heiligenstädter Testament“ von 1801 mit dem Eingeständnis, dass vor dem Selbstmord ihn nur die Kunst zurückgehalten habe, sind Zeugnis der rettenden Kraft unabhängigen Denkens, Fühlens und somit: Seins. Im eigenen Bewusstsein, unverwechselbar und anderen haushoch überlegen zu sein, hat er sein Ohrenleiden, das 1819 zu völliger Taubheit führte, und andere Widrigkeiten durchgestanden. Es passt ins Bild, dass er sich am liebsten in freier Natur aufhielt und lange Waldspaziergänge unternahm: Unabhängig, die Gedanken reifen lassend, frei.

Beethoven, Jahrgang 1770, ist ein Generationsgenosse von Hölderlin, Hegel, Schleiermacher, Novalis und Napoleon. Allen diesen Persönlichkeiten ist gemeinsam, dass sie in je ihrem Gebiet nicht nur eine bestimmte Anschauung der Welt entwickelten, sondern nichts geringeres vermochten als einen ganzen Kosmos von Grund auf und vorbildlos einzig kraft eigener Vollmacht zu erschaffen! Dichtkunst, Geisteskraft, Gottesahnung, Sehnsuchtswirken und Ordnungsmacht – alles musste umfassend neu gewissermaßen unter Einsatz titanischer Anstrengungen aus dem aufgewühlten Boden gestampft werden. Die Größe dieser Leute war möglich unter dem Eindruck, dass das Ancien Régime hinweggefegt war in den Stürmen der Großen Französischen Revolution. 1789 waren sämtliche genannten Herrschaften um die zwanzig Jahre alt: richtig junge idealistische Männer in Saft und Kraft. Und Beethoven mittendrin! Was die anderen in Poesie, Philosophie, Pantheologie, Phantasie und Politik leisten wollten, das vollbrachte er musikalisch im Zusammentreffen von Pythagoras und Prometheus, im unerschöpflichen Reich der Töne und Klänge.

Hier, wo es nun interessant wird, bricht das Manuskript ab. Ich werde mich bemühen, es ex aermelo „quasi una fantasia“ weiterzuführen. Daher und/also dennoch: Fortsetzung folgt.

Abbildung: Mannheimer Rakete als Beginn, mithin erstes Thema der Klaviersonate f-Moll Opus 2 Nummer 1 aus dem Jahr 1795, Joseph Haydn gewidmet.

Betroffene Flaschen

Würden alle momentan als „zeitgemäß“ eingeforderten Normen befolgt, müssten etliche schöne Baudenkmäler gnadenlos verschwinden. Denn die meisten Kirchen, Burgen, Schlösser oder Rathäuser aus antiken, mittelalterlichen oder neuzeitlichen Epochen erfüllen nie und nimmer auch nur von ferne heutige Regelungen in bezug auf Frauen- , Behinderten- oder Meinungsfreiheitsrechte. Allenfalls die Aufgänge zu den Emporen der Hagia Sophia in Konstantinopel (erbaut im 6. Jahrhundert) bilden eine politischkorrekte, weil rollatorkompatible rühmliche Ausnahme, hat man doch dort in steingewordener heiligweiser Voraussicht auf Treppenstufen zugunsten von sanft ansteigenden schwellenlosen Rampen verzichtet.

Dieser Tage nun werden wir heimgesucht von Skandalen völlig anderer Art. Sie stehen aber insofern mit architektonischer Hochkultur auf dem Boden der heutigen Türkei sowie mit einer leider daraus abzuleitenden islamistischen Verirrung in Verbindung, als der Autor dieses Weblogs bereits vor längerer Zeit in einem Text mit dem Titel Suite gothique einleitend unter anderem – weil ja (es war im Reger-Gedenkjahr) alles mit allem immer irgendwie zusammenhängt – auch über grüne Flaggen meinte sinnieren zu müssen. Allerdings vergaß ich damals (1. Juli 2016) zu erwähnen, dass sich zu spitzbögigen Baumeisterplänen gern auch spitzbübische Bierbrauerkünste gesellten. Gotischer Gerstensaft passt nun allerdings so ganz und gar nicht zu glaubensstarkem Grün, sofern öffentlichkeitsheischende Ökoparteipolitik sich dann doch zuletzt von ölscheichgesteuerter Ökonomie unterscheidet.

Jedenfalls war wohl niemandem bisher klar, was Kronkorken so alles anrichten können. Erst jetzt erfahren wir, dass sie weniger knorke denn krawallig wirken: König Fußball macht’s möglich, wenngleich wider Willen. Eine Bierbrauerei aus Mannheim beabsichtigte, auch in diesem Weltmeisterschaftsjahr allen Sammlern und Tauschlustigen eine Freude zu machen, und bedruckte fröhlich ihre Flaschenverschlüsse mit den Abbildungen von Flaggen der bald in Russland antretenden Nationen. Weil diesmal Saudiarabien mit von der Partie ist, prangte folglich auch dessen Hoheitszeichen als alkoholabdichtendes Objekt in regelmäßigen Abständen und völlig gleichberechtigt mit den Symbolen der übrigen einunddreißig Staaten auf diesem oder jenem gläsernen Behältnis.

Der Sturm im Bierglas ließ nicht lange auf sich warten. Nichts blieb im grünen Bereich; denn bekanntlich ziert das Tuch auf der Grundfarbe des Islam in Gestalt eines weißen arabischkalligraphischen Schriftzugs über schlankem Schwert das fundamentale Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter.“ Deshalb beschwerten sich wohl derartig viele Wahhabitismusversteher, dass dagegen auch nicht eine einzige Mannheimer Rakete geholfen hätte. Ein Königreich für eine Alkoholfahne! – diese Kombination rief immense Wut unter „Betroffenen“ hervor, so dass die Brauerei nach Konsultationen mit der Polizei (!) und gar dem Staatsschutz (!) den Rückzug antrat, das Weite suchte … oder wie immer man das ausdrücken soll. Jedenfalls blies sie schließlich aus Sicherheitsgründen die gesamte Aktion ab. Kleine und große Fußballfans haben seither das Nachsehen.

Irritierend wirkt, dass die Zornigen und Eifrigen einen Sieg davontragen, indem sie Form und Inhalt dreist miteinander vermengen und dafür punktgenau jenes Verständnis bekommen, das sie drohend eingefordert haben. Als ob es tatsächlich um Verletzung religiöser Gefühle ginge. Wäre es den Aufgeregten wirklich darum zu tun, könnten sie sich doch juristisch zur Wehr setzen, schön innerhalb unserer bundesdeutschen rechtsstaatlichen Ordnung. Vielleicht bekäme man dann Klarheit darüber, ob die bloße Abbildung eines staatlichen Symbols im Kontext von mehr als zweieinhalb Dutzend weiterer Flaggen eine gedankliche Auseinandersetzung mit den jeweils auf ihnen abgebildeten Realien implizieren muss. Sind denn – anderes Beispiel – die auf den Dannebrog zurückgehenden Kreuzdarstellungen sämtlicher oldenburgisch-skandinavischen Länderfahnen noch heutzutage primär und zwingend als Zeichen einer (hier: christlichen) Gottergebenheit zu deuten?

Im normalen, faktisch multikulturell geprägten Alltag dient das alles doch dem spielerischen und sportlichen Wettbewerb. In dessen Vollzug kann man sich Weltläufigkeit durchaus im Sammeln und Tauschen auch von Kronkorken aneignen. So wird die gute alte Übung modifiziert, sich gegenseitig freundschaftlich bei der Füllung von Panini-Alben zu unterstützen. Nicht mehr, nicht weniger. Statt nun aber in diesem Sinne den Kritikern zu antworten, schrieb die Brauerei an nicht näher spezifizierte „Liebe Muslime“ unter anderem folgendes: „Wir haben kein Interesse an religiösen und politischen Äusserungen – schon gar nicht über unsere Produkte. Sollten wir Sie unabsichtlich beleidigt haben, bitten wir förmlichst um Entschuldigung. Wir wussten tatsächlich nicht, dass die Schriftzeichen ein Glaubensbekenntnis darstellen. Wir haben lediglich überprüft, ob Flaggen und Teilnehmer korrekt sind.“

In einem begleitenden posting der Brauerei an die Kundschaft finden sich überdies die hübschen Sätze über die gesamte Aktion: „Nur jede 171ste Flasche davon trägt den Kronkorken von Saudi-Arabien. Wir sind aktuell dabei, die Paletten im Handel zu sichten und die betroffenen Flaschen auszusortieren.“ Gleichzeitig aber wird eben damit die ganze heitere Angelegenheit beendet. Kein Biertrinken mehr aus den armen bemitleidenswerten gläsernen Behältnissen, weil Sympathisanten einer der schlimmsten Diktaturen der Welt sich aufregen. Was hat die Brauerei eigentlich befürchtet? Dazu Schweigen im deutschen Walde. Wurde die Firma bedroht? Ist die Saudilobby hierzulande bereits genauso stark wie im schon unterworfenen Houellebecqfrankreich?

In unserem Fußballdeutschland nerven ja derzeit eher zwei türkischstämmige Spieler: Die posieren stolz auf einem Foto mit dem Neosultan aus Osmanien, welcher gerade in seinem Staat erst die Gewaltenteilung, dann die Demokratie insgesamt abschafft und, um von selbstgemachten finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken, Kriege anzettelt. Alles unter den geneigten Augen eines paneuropäischen appeasement. Als nun die beiden erwachsenen Männer, die sich einst bewusst für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, erwischt werden, erhebt sich ein allgemein bundesdeutsches pädagogisches „Du, du, du“ – für die ach so naiven Jungs wird eigens ein Termin beim Bundespräsidenten arrangiert, bei dem die beiden in Turnschuhen und Hochwasserhosen auflaufen. Danach soll, trotz dieser neuerlichen Respektlosigkeit, alles vergessen sein, man belässt sie im Kader für die Weltmeisterschaft, und nur wenige protestieren udojürgensmitfühlend, jedoch erfolglos: Aber bitte mit Sané …

Özil beleidigt rund um sich herum – einmal unser Staatsoberhaupt, mehrfach zudem die Nationalhymne, die er nicht nur bisher nie mitsang, sondern auch nach dem Besuch auf Schloss Bellevue weiterhin ganz absichtlich meidet: Dieser nach wie vor und völlig unverändert seit eh und je extra zugekniffene Mund hätte doch eigentlich für den Bundesjogi Grund genug gewesen sein müssen, auf solch einen hartleibigen störrischen Mesut endgültig zu verzichten. Die Pfiffe aus deutschen Fankurven im Stadion zu Klagenfurt waren aber wohl noch nicht gellend genug. Und das Endergebnis, die Translation von Córdoba (nein, eben nicht von anno 711, sondern 1978), hat mitnichten Alarmglocken läuten lassen. Wie auch, er schoss ja das eine Tor für „die Mannschaft“ und war sozusagen der Sieger trotz schlussendlicher Niederlage; denn die Ösis gewannen ja mit zwei Treffern gegen Özil … Aber wiederum tönt es: Schwamm drüber. Freundschaft!

Fassen wir zusammen: Russland ist ein großes Land. Zwar wirkt deutsches Bier völkerverständigend, kann jedoch die Sicherheit vor Wahhabiten und solchen, die es unbedingt werden wollen, dadurch nicht unbedingt garantieren. Deutscheingebürgerte Erdoganversteher dürfen sich alles erlauben, auch wenn sie unser Grundgesetz, dazu Haydn und Hoffmann von Fallersleben buchstäblich mit Füßen treten. So bleibt nur ein Blick auf den Beginn dieses Textes: Lest mal meine Suite gothique, freut euch an der abendländischen Kultur welcher Spielart auch immer, trinkt zur Not Gerstensaft nach Rezepten völlig vergessener Weltgegenden, aber doch nach dem deutschen Reinheitsgebot:

betroffene flasche

… und haltet es ansonsten mit den betroffenen Flaschen so, wie einst Bayern-München-Trainer Giovanni Trapattoni in seiner syntaktisch-semantisch wunderbaren Wutrede von vor gut zwanzig Jahren: „Spieler, die waren schwach wie eine Flasche leer.“ Wer sich übrigens ganz besonders flaschig anstellt, hat in der christlich-muslimisch-musealen Hagia Sophia keine Chance: Man kann dort beim Abgang von den Emporen in Tat und Wahrheit sehr ins Rutschen, Rollen oder auch Runterkullern kommen … – Treppen haben eben auch ihr Gutes. Ich habe fertig.

https://ausdrucksiteblog.wordpress.com/2016/07/01/suite-gothique/

Foto: Zu Kronkorken mögen Majestäten gehören, wie es „König Silberzunge“ war: Schon anno 1969 mahnte Kanzler Kiesinger: „Ich sage nur: China, China, China.“ – Da war die deutsche Kolonie Tsingtao im Reich der Mitte zwar bereits fünfzig Jahre verflossen, nicht aber deren Exportschlager, den man bis heute in Chinarestaurants im deutschen Tor zur Welt genießen kann. Wer dort aus irgendwelchen politischreligiöskorrekten Gründen solches verschmäht, muss nicht gleich beleidigt sein. Man reicht dort in ausgesuchter Höflichkeit auch anderes Erfreuliche: unter Umständen sogar in Kännchen, nicht ausschließlich in Flaschen. Nach Sammelbildchen habe ich bisher übrigens noch nicht gefragt. Dass das zuständige Politbüro Proteste gegen Bierbouteillen wegen missliebiger Panini organisieren würde, ist allerdings eine echte Pekingente.