Frieden!

Mit geliehenen Worten

Am Abend, da es kühle war,

Ward Adams Fallen offenbar;

Am Abend drücket ihn der Heiland nieder.

Am Abend kam die Taube wieder

Und trug ein Ölblatt in dem Munde.

O schöne Zeit! O Abendstunde!

Der Friedensschluss ist nun mit Gott gemacht,

Denn Jesus hat sein Kreuz vollbracht.

Sein Leichnam kömmt zur Ruh,

Ach! liebe Seele, bitte du,

Geh, lasse dir den toten Jesum schenken,

O heilsames, o köstlichs Angedenken!

(Text: Christian Friedrich Henrici alias Picander. Musik: Johann Sebastian Bach. Matthäuspassion, Leipzig 1727)

Frühlingsvorboten im Februar

Auf die Schneeglöckchen ist wenigstens Verlass. Aber was blüht uns sonst noch? Mehr Flowerpower wäre ganz allgemein zutiefst wünschenswert. Oder ist solch sanftes Bürgerbegehren schon zu „rechts“ in diesen „kriegstüchtig“ zu stählenden Zeiten? Wie sind wir bloß hierhergekommen? Was hilft uns hinaus und wieder zurück zu friedlicheren Zuständen? Jedenfalls wohl kaum stiernackige Blicke auf gleichnamige Waffen. „Taurus“ ist der Stier. Wenn das so bullig weitergeht, besorge ich mir doch noch ein meinerseits damals verschmähtes lila Tuch vom Kirchentag in Hannover 1983. Ganz frisch und jetzt fernab von jeglichem Gruppenzwang in unschuldiger Weiß-Heit und unpolitisch-grüner Hoffnung. Was sind sie doch in diesen liturgiefarblich violett geprägten vorösterlichen Fastenwochen erkennbar als weise Vorboten mitten im selbstbewusst frühlingsgestimmten schalttagsverlängerten Februar 2024 – meine Schneeglöckchen!

Bauer rechts ab?

Das fängt ja gut an! Kaum hat das Jahr 2024 begonnen, legen Landwirte republikweit den Verkehr lahm. Die jeweils im vorhinein angekündigten Aktionen stoßen auf große Resonanz und erfreuen sich breiter Unterstützung in der Bevölkerung.

Weniger angetan sind Vertreter der Bundesregierung. Erst versuchten sie, die bloße Tatsache, dass die Unionsparteien gegen das Finanzgebaren der Ampelkoalition klagten und auch Recht bekamen, in einen Vorwurf der Verantwortungslosigkeit umzumünzen. Als das nicht verfing, unterstellten sie den Bauern „Umsturzfantasien“ und Unterwanderung „von rechts“.

Driftet tatsächlich der deutsche „Bauer rechts ab“? Wird nun wahr, was wir scherzhaft immer sagten, wenn es darum ging, Ortskürzel von Kraftfahrzeugschildern auszubuchstabieren? „BRA“ steht für die Kreisstadt Brake (Unterweser) und den von dort verwalteten Landkreis Wesermarsch. Milchkühe auf saftiggrünem Weideland prägen dort bis zum Horizont das flache himmelumwölbte Landschaftsbild.

Auch in den benachbarten Landkreisen Friesland und Oldenburg ist man zur Bewirtschaftung der Höfe auf steuerfreien Agrardiesel angewiesen. Grünen Projekten wie der Wiedervernässung von Moorflächen stehen die Menschen zudem völlig ablehnend gegenüber, zumal nach dem Hochwasser der letzten Tage. Die über Jahrhunderte durch eigener Hände Werk entstandene Kulturlandschaft ist stets gegen das Wasser von Nordsee und diversen Flussläufen errungen worden!

Aus dem Sumpf herauskommen – das war und ist Über-Lebens-Erfahrung hierzulande seit Jahrhunderten. Entwässerung des Binnenlandes und Deichbau nach außen („buten“) gegen die Fluten, kombiniert mit Sielanlagen sowie Schöpf- und Sperrwerken („binnen“): Es waren und sind die hiesigen freien Bauern, die das mit aus ihren Familien hervorgegangener Landschaftsbautechnik und Ingenieurskunst bewerkstelligt haben.

„Wird der Bauer unbequem, / gilt er gleich als rechtsextrem“ – und muss sich des Vorwurfs erwehren, er wolle ein anderes gesellschaftliches System, sei gegen die Demokratie, würde „Nazis“ willig folgen und also beim „Mistgabelmob“ mittun. Unterdessen stellt sich die mediale Berichterstattung über die angeblich in letzter Sekunde abgewendete bäuerliche Erstürmung einer Fähre mit dem Vizekanzler an Bord als völlig haltlos heraus. Es war eher so, dass der Wirtschafts- und Klimaminister keine Lust hatte, mit den Leuten zu reden.

Bauern sind selbstbewusst, notfalls auch stur. Das Leben auf dem Lande will gelernt und verstanden sein. Es vollzieht sich quasi aus eigenem Recht und lässt sich nicht verbiegen. Das hallt auch in der Musik nach. Die größten Komponisten waren dem Landleben durchaus zugetan, auch wenn deren diesjährige Jubiläen sich zunächst auf andere Daten beziehen. Anno Domini MMXXIV erinnern wir uns besonders an Bach, Beethoven und Bruckner.

Am Karfreitag, 7. April 1724, vor 300 Jahren, wurde in Leipzig Bachs Johannespassion erstmals aufgeführt. Sie ist die kürzere, leidenschaftlichere und textlich unausgereiftere der beiden großen Passionsmusiken des Thomaskantors, der ein gutes Jahr zuvor sich – letztlich erfolgreich – um dieses bedeutendste kirchenmusikalische Amt im lutherischen Deutschland beworben hatte. Johann Sebastian Bach (1685-1750) hat aber auch eine Fülle an weltlicher Musik komponiert. Unter seinen dramme per musica ist die sogenannte „Bauernkantate“ aus dem Jahr 1742 eine der bekanntesten.

Am 7. Mai 2024 jährt sich zum 200. Mal die Uraufführung der Neunten Symphonie von Ludwig van Beethoven (1770-1827), seiner letzten, die vollendet wurde. An der Tatsache, dass am Schluss ein Vokalchor in ziemlich unsanglicher Komposition auftritt, scheiden sich seit jenem Tag im Wonnemonat des Jahres 1824 die kritischen Geister. Weitaus konsensfähiger geht es in der Sechsten Symphonie zu, genannt „Pastorale“. Erstmals aufgeführt im ersten und letzten Akademiekonzert Beethovens, in Wien im Dezember 1808, trägt sie auf bäuerliches Leben hinweisende Satzbezeichnungen wie „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“ oder „Lustiges Zusammensein der Landleute“.

Am 4. September 1824, also ebenfalls vor bald 200 Jahren, irgendwo in Oberösterreich, erblickte ein Lehrerssohn das Licht dieser Welt. Die längste Zeit seines Lebens sollte er nicht ahnen, dass seine kirchenmusikalischen und sinfonischen Großwerke einmal die Türen zum 20. Jahrhundert öffnen würden: Anton Bruckner (1824-1896). Seine urtümlich bäuerliche Herkunft war ihm immer bewusst, auch dann, als er längst Dozent am Wiener Konservatorium war und dem Schmäh, er sei eben halb Genie und halb Trottel, geduldig standhielt.

Bach, Beethoven, Bruckner: Ein dreifach musikalisches B für das eine große B der Bauern, die sich nicht beirren lassen, weder von politisiertem BRA-Gerede noch von sonstigem Tratsch. Wie Kulturbanausen beim Erlebnis eines richtigen Konzerts in Echtzeit mit leibhaftigen Ausführenden verstummen müssen, so können die Regierenden sicherlich von den Treckern der Ernährer unseres Landes gestoppt werden. Das wäre zumindest ein Hoffnungsschimmer im noch einigermaßen neuen Jahr 2024.

August-Nachlese

Jahrein jahraus schrieb ich im achten Monat zu dessen sechstem Tag jeweils einen Beitrag über das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Anno Domini 1806. Ein Bild von der Michaeliskirche zu Hildesheim durfte dabei nicht fehlen, lenkte doch der Blick auf die Auflösung eines 844 Jahre währenden Staatswesens in dessen Anfangsgründe tief hinein. So landete ich gern beim 2. Februar 962, dem Datum der Salbung und Krönung von Kaiser Otto I. in der Peterskirche zu Rom.

Mir will solch ein Text zur Zeit nicht gelingen. Es ist, als ob jegliches Geschichtsbewusstsein sich verflüchtigt. Wen interessieren im Zeitalter von aufgeregter Diesseitigkeit noch tote alte weiße Männer wie die Regenten aus der Familie der Ottonen oder deren kirchliche Mitstreiter wie etwa Bischof Bernward, dessen tausendsten Todestag=Geburtstag für die Ewigkeit wir im November vergangenen Jahres feierlich begehen konnten?

„Kaiser“ und „Kirche“ sind zu Reizwörtern verkommen. Bei dem einen denken nur noch die wenigsten Leute über Wilhelm Zwo hinaus, beim anderen verengt sich die Sicht auf Missbrauch verschiedenster Art. Große und wirkmächtige Ideen, das antike Römische Reich der Caesaren und Augusti mit der Hoffnung auf das Himmlische Jerusalem schöpferisch in der nach besagtem Juristen und Theologen (sowohl in kaiserlichen und kirchlichen Diensten tätig) benannten „Bernwardinischen Kunst“ zu vereinen, werden derzeit kaum noch verstanden geschweige denn gewürdigt oder gar für unsere kleingeistigen Zeiten irgendwie fruchtbar zu machen versucht. Das würde nämlich womöglich den einseitig funktionalen Ablauf des von technischen Medien sämtlicher Couleur beherrschten Alltags von heute nur unzeitgemäß stören.

Vielleicht ist aber doch noch nicht aller Tage Abend. Als Fünfzehnjähriger fertigte ich eine kleine kolorierte Bleistiftzeichnung von der Hildesheimer Gottesburg des Bischofs Bernward an. Ich habe sie immer noch (siehe Abbildung weiter oben) und schaue sie sogar gelegentlich an. Ein bedenklicher Fall von kultureller Aneignung zwecks aggressiver Missionierung? Überhöhung des falschen Begriffs vom „christlichen Abendland“? Verherrlichung autoritärer Gesinnung? Ausgrenzung anderer Religionen? Rassismus, frauenfeindlich konnotiert? Oder ist dieser Vorgang als noch weit schlimmer einzustufen? Fragen über Fragen, die Anfang der 1980er Jahre gottlob noch keinen gebildeten Menschen in Wallung brachten …