Van

Vor 250 Jahren kam er zur Welt – wenn es nach seiner eigenen Ansicht gegangen wäre. Beethoven kannte nämlich sein Geburtsjahr nicht genau. Am wahrscheinlichsten schien ihm und seiner Familie das Jahr 1772 zu sein.

Die Kurfürstensonaten von 1783, Klavierwerke eines Elfjährigen: Diese Altersangabe wäre dann keine Wunderkind-Allüre des vermeintlich notorisch schwindelnden und nur auf eigenen Vorteil bedachten Vaters, sondern unwillkürliche Folge einer falschen Grundannahme, die aber seinerzeit niemandem weiter auffiel. Von einer geschäftstüchtigen Vermarktung des Jungen kann übrigens generell keine Rede sein. Man hieß nicht Mozart.

Der erwachsene Ludwig van Beethoven ist der Frage nach seinem genauen Geburtsdatum tunlichst aus dem Wege gegangen. Heute wird es überwiegend mit dem 16. Dezember 1770 angesetzt, einen Tag vor der durch Kirchenbucheintrag verbürgten Taufe. Deshalb feierten wir vor zwei Jahren ganz groß den Zweihundertfünfzigsten …

Nun, ganz so groß fiel der runde Geburtstag dann doch nicht aus. Pünktlich zum 16. Dezember 2020 musste die Öffentlichkeit einmal mehr „wegen Corona“ zum Erliegen gebracht werden. Wir wissen heute, dass diese Art von Seuchenbekämpfung kaum geholfen hat. Auf der Strecke blieb vieles – unter anderem die Selbstverständlichkeit des bürgerlichen Konzertlebens.

Mittlerweile interessieren sich ganz andere Kreise für „Ludwig van“: Er soll sehr schwarze Haare und einen dunklen Teint gehabt haben. Überdies sei er von einigen Mitmenschen „Spanier“ genannt worden. Und seine Kreutzer-Sonate habe er schließlich ursprünglich einem afrikanischstämmigen Geiger, Sohn eines „abessinischen Prinzen“, widmen wollen.

Sollte sich diese „woke“ Lesart verbreiten, dann wäre Beethoven wieder einmal aus dem Schneider. Schon vor über hundert Jahren sollte es ja seiner Musik an den Kragen gehen, in Westeuropa nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als man von den Konzertbühnen alles Deutsche entfernen wollte. Dann aber entschied man, Beethoven dürfe weiterhin aufgeführt werden, weil das „van“ im Namen die flämische Herkunft seiner Vorfahren erweise. So blieb der rheinisch-habsburgische katholische Weltbürger mit Wurzeln in den Spanischen Niederlanden also damals verschont: Louis der Belgier.

Hoffen wir, dass heutzutage, in neuen Kriegszeiten, die Kultur nicht wiederum zwischen die Fronten gerät. Abstammungsnachweise jedenfalls können im allgemeinen nicht über die Qualität von Musik urteilen. Beethovens übernationale und übrigens auch überkonfessionelle Kunst lässt dumpfes Raunen in Nur-Gut und Nur-Böse weit hinter sich zurück. Das haben viele durchaus verstanden. Warum sonst wurde ausgerechnet seinem Werk unsere „Europa-Hymne“ entnommen? In der Neunten Symphonie gibt es bekanntlich diesen schillernden „Kuss der ganzen Welt“ …

Übrigens: Wenn nicht neue Mutanten, Kriegstreiber oder andere Störungen der öffentlichen Ordnung auftauchen, dann gibt es in absehbarer Zeit bereits das nächste runde Beethoven-Datum, kein Jubiläum zwar, aber immerhin ein Gedenktag: Am 26. März 2027 jährt sich des gebürtigen Bonners Ableben in Wien zum zweihundertsten Mal. Das muss begangen werden. Wir beginnen gleich mit den Proben.