Freies Feo-Forum

Trotz mehrerer Versuche ist es mir bisher nicht gelungen, einer Mitmachkultur vom Schlage der 1970er Jahre hier Begeisterung zu verschaffen. Exklusiv erdachte Rätselfragen blieben weitgehend unbeantwortet, Kommentatoren hielten sich eher zurück. Ich nehme das nicht persönlich, stelle es nur fest. Und im Zweifelsfall sind ja sowieso die Zeitläufte schuld … 🙂

Was mich indes trotzdem bewegt, ist das Unfertige, Projekthafte, Fragmentarische. Im Werden und Vergehen, ohne jemals perfekt zu sein, entwickeln sich Schöpfergeist, Zuversicht und nicht zuletzt ein freundlicher Blick auf das, was momentan die Sinne anregt. Zwischen stürmischem Aufbruch und untergangsverliebter Lust findet da vieles seinen augenblicksbestimmten Ausdruck.

Interessant könnte werden, dass es heutzutage ein unterschwelliges neues Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Bildungsvermittlung gibt. Es wird womöglich allerdings noch Jahrzehnte dauern, bis diese quasi konfessionell-professorale, also bekennerhafte Tradierung von der Schule über die Berufsausbildung oder das Studium bis in jegliche Weiterbildung hinein nicht mit dem Verdikt „Frontalunterricht“ belegt und abgetan, sondern als persönlich engagierte lebendige Art und Weise freudig wiederentdeckt und angenommen wird.

ephesus

Nichts anderes versuche ich in meinen Texten. „Künstlicher Intelligenz“ oder auch Propaganda jeglicher alter und neuer Spielart trachte ich, ein Schnippchen zu schlagen. Das gelingt in unterschiedlichem Maße. Menschlichkeit regiert auch in dieser Beziehung. Vieles in diesem Weblog ist noch ungeschrieben. So unzeitgemäß klassisch-romantische Sinnsprüche oder gar Formate wie der französische Nouveau Roman mittlerweile (wieder) geworden sind, so strukturerhellend können „auch heute noch“ einfache Stichwortlisten sein. In eigener Sache schreibe ich einige davon hier hinein:

Feo Belcari. Johann Eccard. Francesco Feo. Feo Eccard persönlich – die Homestory. Der getreue Eckart. Feodor kommt von Theodor. Theodosius und Theoderich. Rom und Ravenna. Feo-Feuilleton. Weitere Anregungen nimmt die hauseigene elektronische Rohrpost unter der Adresse feo.eccard@web.de gern entgegen; bei eventuell auftretenden Störungen rufen Sie die Auskunft an!

Eine treue Leserin schreibt: „Ich glaube ja, dass die Texte von Feo Eccard gegen Demenz wirken, weil das Gehirn immerzu gezwungen wird, die entferntesten Dinge zusammenzudenken. Da müssten eigentlich völlig neue Schaltkreise entstehen …“. Ein andernmal sagt sie, diese Artikel seien ihrer Ansicht nach „immer von Interesse. Brauch dafür nur ein bisschen Muße, die sind ja kein Fastfood.“ Und ein wohlwollender Rezensent bemerkt: „Hier ist ein feinsinniger Ästhet am Werk, der wirklich schreiben kann.“

Im Hinblick auf die „neuen Schaltkreise“ ergänzt eine hauptberuflich mit historischen Seefahrtsangelegenheiten befasste Bloggerin grundsätzlich: „Ich gebe der Kommentatorin recht: Diese Blogs sind bestimmt gut gegen Demenz! Doch nicht nur das: Sie vermitteln kultur- , musik- und literaturgeschichtliche Themen auf lesenswerte Weise und ermöglichen der geneigten Leserschaft eine vergnügliche Sehreise, beflügelt durch sprachliche Eloquenz und ein gutes Quantum Humor. Danke!“

Ein Mitstreiter im Bestreben, Fortbildungsveranstaltungen für Leute zu organisieren, die einst ein geisteswissenschaftliches Studium absolvierten, um sich danach berufsbedingt in aller freundlichen Geduld ausschließlich mit dem täglichen Kleinklein von allzu „praxisorientiertem“ Kirchturmdenken herumzuschlagen, stellt die inspirierende Kraft dieser stetig wachsenden Textansammlung heraus: „Eine wunderbare Seite“. Er charakterisiert sie als „pfiffig und geistreich“ und siedelt ihren Ton an „so zwischen“ Kurt Marti, Eckart von Hirschhausen und Wilhelm Busch.

Einen anderen positiven Aspekt macht geltend, wer schreibt: „Die Feo-Beiträge haben eine wirklich bemerkenswerte Fehlerfreiheit, sowohl in der Rechtschreibung als auch grammatikalisch. Syntax und Interpunktion sind immer korrekt, – und das ist bemerkenswert, weil so gut wie alle anderen mit 10 bis 100 teilweise idiotischen Fehlern pro Beitrag ‚glänzen‘. Das nervt mittlerweile gewaltig.“

Nun habe ich mir in meinem schlichten Gemüt folgendes gedacht: Dieser Einzelbeitrag („Freies Feo-Forum“) möge sich stetig verändern und somit lebendig bleiben. Eine immerwährende Baustelle sozusagen, die es den geneigten Leserinnen und Lesern zugleich ein bisschen mundgerechter machen soll, den Überblick zu behalten. Ich gebe deshalb hier die Links zu den bisherigen Texten in chronologischer Reihe wieder. Jederzeit sind kritische Anmerkungen, aber auch „Gefällt mir“-Angaben oder sogar lobende Weiterempfehlungen willkommen.

Diese Ermunterung ergänze ich im übrigen durch ein herzliches Dankeschön an alle, die sich schon bisher frisch, fromm, fröhlich, frei zu diesen meinen Beiträgen geäußert haben. Sapere aude. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Mit Eccen und Kanten!

Ausdruck

Merkel, Malu, Mali

Hoffmann

Kapitolinische Kapitulation

Otto und sein ausgefranztes Reich

Luthers Panzerknackerbande

In dieser lieben Sommerzeit

Religio ex negativo

Meine Deutschstunde

Verplapperte Wahrheiten

Suite gothique

Heiteres Beruferaten

Nieder ohne Worte

Normaljahr 1981

Stücke zu Samuel

International im Dörfli

Geht jetzt die Welt unter?

Von Kugeln und Keksen

Zum Bleistift

Sternstunde der Menschheit

Durch unscharfe Zeiten

„Bleibt gesund und lebhaft“

MMXVII

Alpha und Elphi

Schmucktelegramm

Guter Mond

Du machst es lang

Rückgestaltete Rose

Osterspatz, hier lang!

„Gefällt“ gefällt

Technik, die begeistert

Hieronymus Wolf

Kohls Übergriffe auf mein Leben

Geschichtsentsorgung

Wir haben keine Angst – und dann?

Pusteblume

Haydns Gebet

Hommage à Melante

Kurzweil zum 31. Oktober

Überblick

Restposten

Rank und Schrank mit Schank

Rudimentär dömlich

Nikolaus

Ein Jahrtausend wird erwachsen

Testbild

Nur so nebenbei

Geflügelte Worte

Zart&Mo

Ordnung

Kleiner Linkwink

Viele Noten

Es brahmset die Linke am rauschenden Bach

Tafeln wie bei den Essenern

Melanchthons Wohnung

Ein freudenvolleres Die-In

Kluges Wort

Jüngst zu Pfingsten

Betroffene Flaschen

Fingerübung zu Beethoven

Als es in Bonn weder Postministerium noch Telekomzentrale gab …

Adorno ma non troppo

Ungesungene Hymnen

Osman voll daneben

Vergessener Tag

Köthen, Chemnitz & cetera

Quasi una fantasia tedesca

Rotweinverschüttungen auf Lieblingsgegner

Freies Feo-Forum

Lamoleonische Vestib*letten

HerbstBuntFall

HerbstZeitLos

HerbstSchlussPunkt

Suite gothique contre „Gilets jaunes“

Dezember ’18

Primus insta grammes

Nun ist das Jahrtausend richtig erwachsen

Herders Weihnachtslied

Beethoven en marche

Cool, not correct

Xixterxienxer?

Schwedische Gardinenpredigt

Weit weg

Bach

Skizze zu Bismarcks Geburtstag

Midi, eingenordet

Wort Gottes und Heilige Schrift

Gartenschau in Britenrabatten

Kalenderreime

Souvenir & Avertissement

Wo Beethoven bei mir bisher vorkam

Geprägte Freiheit

Yes, we can’t

Joseph Haydn unvergessen

Platte(n-)Tektonik

Gespenstische Geistkraft

Bilder-Building

HRR

Musik der Freiheit

Wer früher schläft, kann länger träumen

Freiheitsbaum

Dickichtbeseitigung

Die Ehre Nietzsches aus der Natur

Chopin libre

Die 9,5 Thesen

Es-Dur con variazioni

Mauerdurchbruch

Zwölf berückende Buchumschläge

Weihnachtswert

MMXX

Intermezzo

Auf den Orgelpunkt

Corona n’est pas imaginaire

Märzgefallen

Fontane im Frühjahr 2020

Back To The Seventies

Sich regen bringt Regen – oder auch nicht

Ob solche Folgen erwünscht sind?

Unerträglich!

Heilige Weisheit?

RR hdN ko

Katzenfoto

Sommer-Ende

Farben im Spätsommer

Beethoven light

Nikolaus-Neuauflage

Oktav für Beethoven

Zwanzig/Einundzwanzig

Errungenschaft

Felix Mendelssohn zum Geburtstag

Baustelle

Krummes Holz – aufrechter Glanz

„… alles grünt und blüht“

Primus insta grammes: Eine Wiederaufnahme

Vier Frauen

Acht Männer

Buchlos glücklich

Heiliges Reich, verloren

Siebziger, notdürftig gereimt

Was bleibt

Nietzsches Geburtstag wurde mal wieder vergessen

Hallomation

Weltherbstschmerz

Unerhörte musikalische Wünsche

Das gab es tatsächlich einmal: Unbetreutes Denken!

Hymnische Coronaweihnacht

22G+

Felix Mendelssohn

Lebenszeichen

War’s das?

Ostern in Britenrabatten

Meinungsfreiheit

Verdrängter Kaiser

Domdämmerung

August 1806 in memoriam

Energiewende

Haare auf den Szenen

November

Van

Rheingold, Scheingold, Maingold

Jesus nahm zu …

März 2023

Bismarcks Geburtstag

Der fliegende Robert 2.0

Johanniswende

Sommerpause

August-Nachlese

Neue Verbindung

Wortfindungsstörungen

Herbst

Dass wir das noch erleben dürfen

Bauer rechts ab?

Frühlingsvorboten im Februar

Frieden!

Foto: Lesung in Ephesus.
Erste Ergänzung: „Ein andernmal“ bis: „kein Fastfood“, 2. Januar 2019.
Zweite Ergänzung: „Im Hinblick“ bis: „Danke!“, 17. Januar 2019.
Dritte Ergänzung: „Weitere Anregungen“ bis „entgegen“, 22. Mai 2019.
Vierte Ergänzung: „Ein Mitstreiter“ bis „Wilhelm Busch“: 22. April 2020.
Fünfte Ergänzung: „Die Feo-Beiträge“ bis „gewaltig“: 24. Mai 2022.

Quasi una fantasia tedesca

Wie eine deutsche Phantasie (mit dickem ph) – oder eher als feinsinnige Fantasie (mit schlankem f)? Gravitas oder Grazie? Hirngespinst oder Klangereignis? Schwere oder Schwebe? Irden-himmlischer Elfenbeinturm oder himmlisch-irdene Ausdrucksmacht? Ziellose Schwelgerei oder willensstarke Musik?

Irgendwie sind die Attribute austauschbar: Der griechischen Schreibweise ließen sich ebenso zarte wie ungezügelte Eigenschaften gleichermaßen zuordnen wie der lateinisch-italienischen. Das Reich der Ph/F/antasie ist unerschöpflich, widersprüchlich, reichhaltig – aber bisweilen auch sehr blutleer. Dünnes Denken wechselt mit fiebernder Fülle geistlos/geistreich ab.

Eine berühmt-berüchtigte Druckgrafik aus dem Zyklus „Los Caprichos“ des spanischen Künstlers Francisco de Goya nennt sich im Deutschen meist: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Statt „Schlaf“ lässt sich auch „Traum“ sagen. Ob das Ganze satirisch oder todernst aufgefasst werden soll, ist seit Entstehung dieser Radierung, Ende des achtzehnten Jahrhunderts, häufig und gern diskutiert worden. Kann sich in diesem Bild auch der sprichwörtliche deutsche Michel mit seiner Schlafmütze wiederfinden? Sind Träume bloß Schäume – oder alp-hafte (!) Bewältigungen böser Realität?

Die deutsche Romantik, die zeitgleich mit den gesellschaftskritischen Darstellungen des seit Anfang der 1790er Jahre ertaubten Goya entstand, sah das Reich der Gedanken als einzig verbliebene Sphäre, aus der ein Mensch nicht vertrieben werden kann. Während um anno 1800 alle in deutschen Landen seit rund neun Jahrhunderten vertrauten Verhältnisse sich unter dem Druck der vom revolutionären Frankreich ausgehenden Umwälzungen und handfesten Kriege auflösten, begaben sich die Nachdenklichen ins innere Exil.

Wer in bildender Kunst, Literatur und Musik etwas zu sagen hatte, erschuf allein aus eigener Geisteskraft je neue Welten – ohne nach deren Praktikabilität oder gar Zweckmäßigkeit groß zu fragen. Philipp Otto Runge oder Caspar David Friedrich, Novalis oder Friedrich Hölderlin, Ludwig van Beethoven in seinen Opera ab der Jahrhundertwende oder Franz Schubert – und es ließen sich viele andere nennen – haben gewissermaßen Gegenwelten projektiert, um dem offensichtlichen grausamen Wahnsinn zu begegnen. Wer damals in Farben, Worten oder Tönen schwelgte, war ein kritischer Traumtänzer, aber keineswegs unsystematisch oder gar am wirklichen Leben vorbei.

Dass sich die Romantiker und solche, die es werden wollten, vielfach darauf besannen, „wie uns die Alten sungen“, dürfte eigentlich keine Empörung hervorrufen. Noch zu meiner Schulzeit wurde uns eingeprägt, dass man aus der Geschichte lernen möge. Das war in den Siebzigern und Achtzigern im letzten Jahrhundert des seit nunmehr bald vor dem Zeitraum einer Erwachsenenwerdung verflossenen Jahrtausends. Ist es nicht erschreckend-erstaunlich, wie rasch sich in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten die historisch denkende Alltagsmentalität verflüchtigt hat?

Dass arabische Immigranten nicht wissen, wie sehr es hier in Deutschland vor siebzig Jahren flächendeckend sogar trümmerhafter aussah als heutzutage in Syrien – geschenkt. Aber dass eine angehende Religionslehrerin ganz beglückt aus dem Häuschen gerät, als sie zu hören meint, das Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ habe ein amerikanischer Bürgerrechtler gedichtet – und es, auf den feinen Unterschied einer Null hingewiesen, nicht weiter schlimm findet, dass der eine vor 500 und der andere vor 50 Jahren gewirkt hat, ihr quasi die Differenz von Martin Luther und Martin Luther King völlig egal ist … sind ja beide längst tot – also hier müsste vielleicht doch eine Abiturnachprüfung angesetzt werden, oder?

Andererseits hat die junge Dame etwas Richtiges gespürt: In Lutherliedern ist Musik drin! Die sagen einem „auch heute noch“ was. Jedem Lapsus liegt ein Zauber inne. Romantik pur. Eine PH hat doch auch ihr Gutes. In strikter PH-Neutralität von Geschichts- und Geschlechtslosigkeit wandeln also die Lehrpläne von Pädagogischen Hochschulen, heutzutage meist im Range von veritablen Universitäten, auf quasi politisch korrekten Wegen, zwar unhistorisch spintisierend und gendergerecht alles von gutem altem Herkommen terrorisierend: aber eben irgendwie doch die Absolvent*inn*en solcher Anstalten in Betroffenheit berührend. Das sollten wir bei allem zum Sarkasmus reizenden Nonsens denn doch nicht vergessen.

Bundesdeutsche Phantasie – gibt es die eigentlich? Zu mehr als zum „Verfassungspatriotismus“ hat es letztlich nie gereicht. Und unser gutes Grundgesetz hatte nur solange Ausstrahlungskraft, als es den Gegenentwurf zur wie auch immer gearteten Verfasstheit der „Deutschen Demokratischen Republik“ darstellte. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 hat sich vieles leider erledigt. Nicht, dass die neu hinzugekommenen Bürger daran irgendeine Schuld träfe, im Gegenteil! Die friedliche Revolution von 1989/90 hatte ja gerade das Ziel, den Inhalt der die Bonner Republik begründenden Ordnung auch für die eigene Lebenswelt fruchtbar zu machen. Und es war großartig, wie sie sich in diesem Bestreben von nichts und niemandem unterkriegen ließ!

Der Schwere des Abschüttelns von Stasi-Diktatur und fehlgeleitetem Wirtschaftssystem folgte leider jedoch nur eine kurze Phase idealistischer Schwebe – übrigens auf beiden Seiten von Mauer und Stacheldraht! Im strahlend schönen Sommer 1990 saßen wir vor Eckkneipen und in Biergärten unter dem hohen sternbeglänzten Himmel über Berlin, Wessis und Ossis treulich beieinander – was bisher „die Mode streng geteilt“ – , in studentischer Verzückung, hier und jetzt im historischen Bewusstsein, einen Zipfel des Mantels der Geschichte tatsächlich erhascht zu haben. Viel war von „Konföderation“ die Rede, auch davon, dass „alle“ „etwas einzubringen haben“, mit „ihren Biographien“ und Erfahrungen und so weiter und so fort.

Berliner Romantik, nunmehr nicht in den Salons einer Henriette Herz oder Rahel Varnhagen, sondern als Schlabberlook-Neuauflage in verwunschenen Abrisshinterhöfen im Prenzlauer Berg oder in den einschlägigen Lokalen in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln. Die vornehmere Fortsetzung der Debatten aus milden Sommernächten fand tagsüber auf dem Campus statt: je nachdem, wo man studierte, erörterten junge Leute die neue deutsche Frage in Dahlem, Zehlendorf oder in Mitte. Dass anderswo auch andere – entscheidungsstärkere – Personen über uns sprachen, nahmen wir kaum zur Kenntnis. Dass diese Herrschaften Bush, Gorbatschow, Mitterrand und Frau Thatcher hießen, die sich zu viert mit den zwei Deutschen Kohl und de Maizière trafen, störte niemanden unter uns daran, hochfliegende Gedanken etwa über die Vereinbarkeit von Kapitalismus und Sozialismus begeistert zu ventilieren.

Quasi una fantasia tedesca

Viel Gerede zum Mondscheintarif – am 1. Juli 1990 war das alles schlagartig vorbei: Die Deutsche Mark (West) wurde in der Noch-DDR als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt, und von Stund an lief alles seinen marktwirtschaftlichen Gang. Der fruchtbare wie weltfremde Gegensatz von PhantaSie und FantaDu war überwunden. Insbesondere für die Studenten der evangelischen Theologie, die immer besonders lautstark „sich einbringen“ wollten, war das eine harte Nuss. Der reizvolle weltbürgerlich anmutende Traum: ein Bundeskanzler Lafontaine hüben und vis-à-vis ein Ministerpräsident de Maizière drüben, zwei „Ar“s, nämlich Oskar und Lothar samt französischen Nachnamen: – war da bereits ausgeträumt.

Als „Chabis“ entlarvt, schweizerisch im übertragenen Sinne für „Unfug“, wortwörtlich aber: „Kohl“. Der blieb nach der Bundestagswahl im Dezember 1990 denn auch Kanzler, ganz allein: Die DDR gab es da bereits seit zwei Monaten nicht mehr. Was uns „an der Basis“ seinerzeit noch nicht so klar war: Der Preis für die deutsche Einheit war die D-Mark. Da konnte Franz Beckenbauer im schönen Sommer zuvor noch den Pokal der Fußballweltmeisterschaft so freudig in den sternenklaren römischen Nachthimmel gereckt haben: Das eigentliche Symbol bundesdeutschen Erfolgs der Nachkriegszeit war schon längst dem Neid der kleineren Westalliierten geopfert. Eine Weichwährung namens Ecu/Euro brach sich Bahn und frisst sich ganz praktisch, also völlig theoriefrei, sprich: ungebremst bundesbanklos(!) spätestens seit 2002 unersättlich in unsere Ersparnisse hinein.

Damit sind wir beim schnöden Mammon angelangt. Geld regiert die Welt, je einheitlicher die Währung, desto gefahrvoller für den einzelnen Haushalt, wenn makroökonomisch etwas aus dem Ruder läuft. In der Napoleonischen Ära hatte man damit auch schon seine liebe Not. Deutsche Romantik hat seinerzeit mit ihren ganz eigenen Mitteln und Wegen ihr zugetane Menschen bei der Stange gehalten. Wer hingegen keinerlei Phantasie entwickelte, ging zugrunde. Aus genau dieser Situation heraus entstand in den 1810er Jahren ein frisches deutsches Nationalgefühl. Es war zunächst weder völkisch noch monetaristisch noch reaktionär ausgerichtet, sondern vorrangig auf die eigenen bisher unterdrückten kulturellen Traditionen bedacht. Nach der Abschüttelung französischer Kaiserdiktatur bemächtigten sich insbesondere die Studenten der klassischen freiheitlichen Ideale – bis wiederum die nunmehr einheimische, sprich Metternichsche Reaktion (spätestens 1819) unbarmherzig zuschlug.

So wurde die Vernunft gezwungenermaßen in einen Tiefschlaf versetzt, der so manches Ungeheuer hervortreten ließ. Als Schuldigen aber machte man seitdem gern samt und sonders die Romantik in toto aus, obwohl diese phantasievolle und also auch politisch in ihrem Selbstverständnis völlig ungebundene Geistesströmung alles andere als repressiv war. Eher ist – von heute aus – zu fragen, ob es nicht schließlich kaltherzige „Dialektik der Aufklärung“ war, die im gesamten zwanzigsten Jahrhundert zu den in Nachahmung der französischen „Terreur“ bösartig-raffiniert geplanten Massenmorden geführt hat.

Die innerdeutsche gegenwärtige Diskussion ums Selbstverständnis krankt daran, dass alle gegen alle reden und am Ende nur „Stalinisten“ auf der einen und „Nazis“ auf der anderen Seite übrigbleiben. Wer eigentlich die Mitte ausfüllt, bleibt nebulös. Das war mal anders. Noch bis in die Neunziger hinein repräsentierten schöne Tiefdruckbeilagen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ unter dem Titel „Bilder und Zeiten“ oder die Feuilletons etlicher anderer überregionaler Blätter ein abwägendes und zugleich meinungsstarkes bürgerliches Kulturbewusstsein. Wenn ein Marcel Reich-Ranicki sich mit jemandem befehdete, dann schlugen die Streithähne wohl sprachlich bisweilen über die Stränge, aber das gehörte zum Spiel hinzu. Auch in anderen medialen Formaten wussten sich die an der Auseinandersetzung Beteiligten mit dem deutschen Bildungskanon grundsätzlich einig. Messer wurden nicht gezückt, man enthielt sich auch der Morde durch solche Bestecke. Gezielte Rotweinverschüttungen auf Lieblingsgegner waren die Ausnahme und fanden nur in ausgewählten Fernsehdiskussionen statt.

Unter solchen Vorzeichen war jahrzehntelang zumindest unterschwellig von der deutschen Wiedervereinigung die Rede. Es gab auch Institutionen, die während der gesamten Nachkriegszeit 1945 bis 1990 ohne jeglichen Verdruss Mauer und Stacheldraht ignorierten und gesamtdeutsch weiterarbeiteten: Es sei hier nur die Neue Bachgesellschaft von 1900 e.V. erwähnt. Musik, aber auch Sport und natürlich die gemeinsame Sprache verband vielfältig, wenn auch oftmals organisatorisch zwangsweise getrennt. Dass die Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft sich mit steigendem Wohlstand indes proportional dazu weniger für diese Dinge interessierte, ist allerdings nicht zu verschweigen. Unsere Lokalzeitung brachte nur alle vier Wochen eine Seite mit dem Titel „Blick ins andere Deutschland“. Im übrigen schien die deutsche Teilung fest zementiert. Mein Foto weiter oben von der Berliner Mauer am Brandenburger Tor datiert von 1983 – dass sich dort etwas ändern könnte, hätten wir uns damals in den kühnsten Träumen nicht ausgemalt.

Phantastische Fantasien müssen nicht zügellos sein. Was romantisch daherkommt, ist oftmals von der Faktur her nichts anderes als die Ausweitung dessen, was an Techniken kleinteilig bereits lange vorhanden war. Die Betitelung Quasi una fantasia bedeutet also keine sanktionierte Regellosigkeit; vielmehr wird ein motivischer Kern zur allgemeinen Maxime erhoben. Goldene Regel und Kategorischer Imperativ werden dem romantischen Impuls einverleibt – und so vor dem Einerlei der Tagesmeinung gerettet. Besonders Beethovens cis-Moll-Klaviersonate, komponiert anno 1800, ist so gar nicht willkürlich, geschweige denn wirr oder nach Laune konzipiert. Im Gegenteil, sehr verlässlich bringen alle drei Sätze dieser seit dem neunzehnten Jahrhundert so genannten „Mondscheinsonate“ Motive und Melodien in schönster Regelmäßigkeit wieder und wieder. Dass dennoch gerade dieses Werk die Geister nicht ruhen, sondern höchst anregen lässt, liegt in der nachgerade genialen Verbindung von Schlichtheit und Aufruhr. Aus einem Lehrbuch oder Modul ließe sich für solch subversive Musik kein einziger Götterfunken herausschlagen. Man gut, dass die Romantik niemals schulbuchmäßig kroch, sondern grenzenlos frei dachte!

Beethoven hat sich als Fünfundzwanzigjähriger anno 1796 während einer von einem adligen Gönner ermöglichten Reise in Leipzig und in Berlin aufgehalten. Musikalische Studien in der Thomasschule der sächsischen Messestadt sowie Empfänge am Hof in der preußischen Hauptstadt ermöglichten ihm gründliche Studien, von Bach ausgehend. Zeit seines weiteren Lebens hat der später ertaubte Meister in seinen Kompositionen diese persönlich angeeigneten Überlieferungen einfließen lassen. Dabei ging er nicht als Kopist vor (wie man es, bei allem Respekt, Mozart in einigen seiner Stücke unterstellen könnte; er hatte 1789 ebenfalls eine Reise zu diesen Stätten mit dem gleichen Gönner unternommen), sondern als phantasievoller Schöpfer von schon beim ersten Hören erkennbaren Stücken des einzigen „Beethoven“.

Das vorhandene Material sich zueigen machen: Eine Frage von individueller Kunstfertigkeit! Das romantische Menschenbild setzt auf die eigene freie zu allem fähige starke Persönlichkeit. Jegliche Propaganda ist ihr fremd. Eine Ich-Welt trotzt jeder Art von Diktatur. Das Individuum ist die Keimzelle jeglicher Gesellschaftsordnung. Der international sich gerierende und im Ernstfall stalinistische Sozialismus hat das ebensowenig begriffen wie der in Deutschland zuvor wütende National-Sozialismus. Sofern sich diese Regime auf die Romantik beriefen, lagen sie schlicht und einfach falsch. Das muss betont werden zur Rehabilitation der zu Unrecht Angeklagten.

Deutsche Einheit – ein weites Feld. Handfeste Phantasien und klingende Fantasien bilden ja vielleicht die Grundlage dafür, dass bei uns das Denken in bildender Kunst, in gesprochenem und geschriebenem Wort, in auskomponiertem Klang nicht ausstirbt. Mit Ph oder nur mit F. Also diesen unbescheidenen Wunsch hätte ich dann doch, auch am achtundzwanzigsten Jahrestag der 1990er Deutschen Einheit.