Cool, not correct

Sie glauben gar nicht, wie oft ich zu diesem Beitrag angesetzt habe. Die glattesten Texte schreiben sich am schwersten. Früher wurden als missglückt empfundene Passagen einfach durchgestrichen; oder man führte Skizzenbücher, in denen nach Herzenslust gesudelt werden durfte – ehe dann die Reinschrift auf besonderem Papier erfolgte. Beethoven hat sich so immer weiter vervollkommnet; Lichtenberg beließ es bei hingeschmierten Aphorismen. Ich höre noch meinen herrischen Englischlehrer befehlen: „No ink-killer“ – wegen des urkundlichen Charakters einer Klassenarbeit. Versehen durften also nicht restlos getilgt werden. Man sah jedem Werk die Mühen seiner Genese auf ewig an.

Korrekturtasten an elektrischen Schreibmaschinen und Löschfunktionen in den heutzutage gängigen Rechnern haben mittlerweile eine nahezu perfekte Sprachwelt erschaffen. Einzige Bedingung in diesem unserem Lande: Grundkenntnisse in der deutschen Rechtschreibung. Die nehmen allerdings in genau dem Maße ab, wie die Anzahl schriftlicher Äußerungen im Internet ansteigt. Das heillose Durcheinander von „das“ (Relativpronomen) und „dass“ (Konjunktion) tut ebenso weh wie die Vermengung von Groß- und Kleinschreibung im Falle von „sie“ (Personalpronomen dritte Person Singular weiblich oder dritte Person Plural) und „Sie“ (Anredeform). Ob es darüber hinaus eine gute Idee war, die bisher nur als Minuskel verwendete, aus den Frakturbuchstaben Lang-s und z entstandene Ligatur „ß“ nun auch als Majuskel zu benutzen, ist ebenfalls sehr fraglich, schon aus Gründen des Schriftbildes.

Aber auf solche ästhetisch ästimiert dahergeredeten Feinheiten legt derzeit kaum noch jemand Wert. Statt Bleiwüsten in Gestalt von Tageszeitungen oder gar richtigen Büchern haben die einfachen Bilder Hochkonjunktur. Ein buntes Nice-pic oder ein cooler Photo-shot sind wie Lieder ohne Worte, nur ohne störende Geräuschkulisse. Das will ich jetzt auch einmal ausprobieren, mit einer Momentaufnahme aus den Tagen des vergangenen Jahrtausends, als uns noch keine übertriebene political correctness terrorisierte und junge Männer ein bisschen langhaarig und unrasiert ihre coolness austesten konnten. Voilà:

ja

Wer allerdings jetzt fleckige Abnutzungsspuren bemäkeln möchte, ist hier falsch und möge bitte diese Seite verlassen. Da bin ich jetzt mal streng. Umso löblicher scheint mir das Produkt der Polaroidkamera zu sein: Es hat nunmehr zwanzig Jahre durchgehalten, und erkennbar ist immer noch so halbwegs diejenige Person, die damals cool oder lässig oder gar von allem völlig losgelöst eine fabelhafte innere Zufriedenheit ausstrahlte. Möge heitere Aesopische Weisheit in englischen (auch mit der Konnotation: engelhaften) Zungen, wenngleich wahrscheinlich ohne sprechende Tiere, unser geistlich armgewordenes europäisches Leben erfüllen. Der Grexit fand nicht statt, der Brexit steht vor der Tür. Den beiden Mutterländern von Drama und Demokratie hat man übel mitgespielt.

All das ist eigentlich unfasslich. Ein Quäntchen mehr kunstsinnige Eleganz und British understatement ohne moralinsaure Zutexterei wäre hier wie dort hilfreich gewesen. Aber das ist womöglich, wenn wir superkorrekt sein wollen, ein anderes Thema, altbriestig mit dem 200-Jahres-Jubilar Theodor Fontane gesprochen: ein weites Feld. Bleiben wir also einfach im Bild – und freuen uns, dass auch Unvollkommenes bisweilen irgendwie glatt läuft, ohne jede Ausradierung. Darob ist es mir denn in Tat und Wahrheit für einmal herzlich egal, ob Sie das nun glauben oder vorsichtshalber lieber nicht.

Herders Weihnachtslied

Dass Weihnachten erst angefangen hat, ist den meisten eiligen Menschen nicht bewusst. Was sich aus der Heiligen Nacht heraus entfaltet und am Epiphaniasfest vulgo Dreikönigstag zu höchster Blüte gelangt, macht eines der unzähligen Lieder deutlich, welches hier und heute kurz betrachtet werden soll, zur im Sommer dieses Jahres anstehenden Feier des zweihundertfünfundsiebzigsten Wiegenfestes seines ersten Textdichters. Ich orientiere mich im folgenden am Evangelischen Gesangbuch (EG) von 1993 und an Herders Urfassung.

Nebenbei kommen nach- und durcheinander Baltikum und Bückeburg, Genf und Geistverwirrung, Königsberg und Kant, Ostpreußen und Oldenburg, Weimar und Weisheit, Zürich und Zarenreich sowie andere ähnlich anlautende, aber dann doch so grundverschiedene Phänomene in den gelehrten wie durchaus frommen Blick. Und vielleicht regt dieser kleine Beitrag ja auch dazu an, sich näher mit Herder zu befassen, dem Schöpfer so wirkmächtiger Begriffe wie „Volkslied“ oder „Zeitgeist“ …

EG 74 (Melodie: EG 442)

1 Du Morgenstern, du Licht vom Licht, / das durch die Finsternisse bricht, / du gingst vor aller Zeiten Lauf / in unerschaffner Klarheit auf.

2 Du Lebensquell, wir danken dir, / auf dich, Lebend´ger, hoffen wir; / denn du durchdrangst des Todes Nacht, / hast Sieg und Leben uns gebracht.

3 Du ewge Wahrheit, Gottes Bild, / der du den Vater uns enthüllt, / du kamst herab ins Erdental / mit deiner Gotterkenntnis Strahl.

4 Bleib bei uns, Herr, verlass uns nicht, / führ uns durch Finsternis zum Licht, / bleib auch am Abend dieser Welt / als Hilf und Hort uns zugesellt.

Neugier und Forscherdrang bringen Menschen, die bisher von Gott nichts Genaues wussten, zum Heiland der Welt, weitab vom Zentrum politisch-wirtschaftlicher Macht. Der Himmel auf Erden will erst entdeckt werden, aufgespürt, erwandert: Das Licht des Lebens erstrahlt im Verborgenen – weder im kaiserlichen Rom noch im Palast des Herodes, sondern schriftgemäß im judäischen Gebirge, an der Futterrinne, da Ochs und Esel sich Gute Nacht sagen. Man lese hierzu wieder einmal in Luthers unübertroffener Übersetzung Lukas 2 und Matthäus 2. Dann ist man christfestlich neuerlich althergebracht im Bilde.

Dem Weihnachtswunder eignet Ruhe, übernatürlicher Glanz, Licht durch die Finsternisse. Hintergründig klar scheint der Morgenstern, unbemerkt vom Getümmel des lauten Alltags: und doch beständig seit jeher, vor aller Zeiten Lauf. Neugier und Forscherdrang: eines bedingt das andere, und wenn beides auf gutem Wege ist, dann steckt viel Glauben darin. Die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland ist ein schönes Beispiel auch dafür, wie akademische Wissenschaft mit menschlich-unbedingtem Wissen-Wollen eine fruchtbare Verbindung eingeht und der Gotterkenntnis Strahl sich ungehindert Bahn brechen kann.

Herders Weihnachtslied

Wer glaubt, wer auf Gott vertraut, geht wach durch die Welt und wird erleuchtet vom Zeichen des Himmels selbst. Der Stern von Bethlehem verkündet: Gottes Bild ist erschienen; das Krippenkind enthüllt uns den Vater, herab ins Erdental. An Weihnachten wird uns das Geheimnis Gottes offenbar: Epiphanias bringt es auf den Erkenntnispunkt: Gott ist Mensch geworden.

Der Text unseres Liedes fußt auf einer Vorlage des Theologen Johann Gottfried Herder. Der erblickte das Licht dieser Welt vor nunmehr bald 275 Jahren, im August 1744, und schaut die ganze Klarheit des Herrn seit Dezember 1803. Er lebte hier auf Erden zu einer Zeit, da man sehr zuversichtlich war, menschliche Wissenschaft und göttliche Erkenntnis zusammenbringen zu können. Im Lichte der europäischen Aufklärung versuchte man im protestantischen Deutschland auch die Botschaft der Bibel neu zu verstehen – für einen umfassend gebildeten Pfarrer wie Herder bedeutete dies vor allem, die überlieferten Texte aus ihren eigenen Entstehungsbedingungen heraus zu deuten.

Wie so vielen Gelehrten der damaligen Zeit, so dämmert auch dem gebürtigen Ostpreußen und zwischenzeitlichen Hauslehrer und Prediger in Riga, dass wir es bei antiken, biblischen und anderen „alten“ Texten zunächst mit ganz fremden, fernen Welten zu tun haben. Sprache, Ausdruck, Denken und Brauchtum der alten Völker gilt es zu erforschen und mit gegenwärtigen Erfahrungen zu verbinden. Die Aufklärung wird in solch historischer Neugier romantisch: Auf einer stürmischen Schiffsreise durch den Ärmelkanal erinnert sich Herder unter anderem an seine Lektüre von Shakespeare-Dramen. Die rauhe aufgewühlte See wird ihm zum Sinnbild für die menschlich-allzumenschlichen Abgründe, in die hinein sich Helden wie die des englischen Dichters verstricken: zeitlos gültig, wiewohl in zeitbedingten literarischen Formen dargestellt.

Ganz am Rande hat Herder, ohne es zu ahnen, die entscheidenden Weichen für den Fortgang oldenburgischer Geschichte gestellt. Kurze Zeit nämlich war er als Lehrer im gefürsteten Bistum Lübeck angestellt. Er sollte des Herrschers schwer erziehbaren Sohn wieder in die Spur bringen. Aber der Prinz steigerte sich nur immer mehr in ausschweifenden religiösen Wahn hinein und bestand rumpelstilzchenhaft darauf, römisch-katholisch zu werden – am Hofe des reichsweit einzigen lutherischen Fürstbischofs ein Ding der Unmöglichkeit. Da wusste auch Herder irgendwann, mitten auf der Kavalierstour, die man dem Querkopf organisiert hatte, nicht weiter: Er verließ entnervt die Eutiner Reisegesellschaft und sah sich nach einer neuen Arbeitsstelle um.

Der Prinz indes wurde daraufhin entmündigt; die Erbfolge ging über auf seinen Cousin, Prinz Peter Friedrich Ludwig. Nachdem das Haus Gottorp durch einen Vertrag mit Dänemark und Russland die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst erhalten hatte, verlegte Peter Friedrich Ludwig – als sein Onkel gestorben war – die Residenz schrittweise von Eutin nach Oldenburg und regierte (bis zum Ableben des Vetters offiziell „nur“ administrativ) als Herzog über Stadt und Land. Er ist ein herausragendes Beispiel für das seit der Antike gepflegte Bild vom guten Fürsten – im Gegensatz zum Tyrannen, wie ihn im Evangelium der König Herodes verkörpert. Kein oldenburgischer Herrscher der letzten zweihundertfünfzig Jahre ist denn auch der Nachwelt so dankbar in Erinnerung geblieben wie „PFL“.

Aber zurück zum Wegbereiter dieser für den oldenburgischen Staat so glücklichen Entwicklung, zu Johann Gottfried Herder: Beginnend mit seiner Tätigkeit als Oberpfarrer in Bückeburg, seit 1771, beschäftigt er sich ausführlich mit den biblischen Ursprachen, veröffentlicht gut zehn Jahre später eine Abhandlung über die „Ebräische Poesie“. Allein aus der dichterisch klingenden „Urweissagung“ des Volkes Israel, meint er, ist die Botschaft von Gott angemessen in die Welt gekommen. – Nach 1776, als Generalsuperintendent und Konsistorialrat in Weimar, zugleich Nachbar von Goethe und Schiller, hat Herder seine Gedanken weiter ausgebaut. Seine Sammlung von Sagen, Legenden und Volksliedern wird immer größer. In dieser Zeit erhält in seinem Umfeld die Melodie von „O du fröhliche“ ihre endgültige Form; und damals, wohl um das Jahr 1795, dichtet Herder ein Lied, das in Klammern die schlichte große Überschrift trägt: „Christus“.

Du aller Sterne Schöpfer, Licht, / das aus des Himmels Tiefen bricht, / und gehst der Ewigkeiten Lauf / in ewig neuer Klarheit auf – so wird unser Herr und Heiland in Herders Urfassung unseres Liedes angeredet. Aus des Himmels Tiefen kommt des Glanzes stille Macht, sozusagen das Friedenslicht von Bethlehem, als fortwährendes Zeichen der Liebe Gottes. Das Krippenkind besucht uns in unserm Tal mit seiner Gott-Erkenntnis Strahl: Aus den weiten Tiefen des bestirnten Himmels sucht es die je und je persönlichen Finsternisse, Traurigkeiten, Ängste auf und verwandelt sie in neue Hoffnung. Der Gekreuzigte und Auferstandene bleibt bei uns, als Mitwanderer im Tal eigenen Wandelns durch die Zeitläufte.

Das Bild vom finsteren Tal, wie es besonders prominent im 23. Psalm aufscheint, mündet in Herders Urfassung des Liedes ein in die Schau des ruhenden Berges in Wolken: Auf seine Höhe sollen wir gelangen, auf ihm harret ewig Gut. Der biblische „Olymp“, der Gottesberg, von wo aus Weisung an das auserwählte Volk ergeht: der Berg Sinai, wo Mose die Zehn Gebote empfängt, kommt ebenso in den Sinn wie der prophetische Berg Zion, auf dem sich alle Völker in der Endzeit versammeln werden; wir erinnern die Weisheitssprüche Jesu, die nicht ohne Hintergedanken in der sogenannten „Bergpredigt“ zusammengestellt sind; ebenso den Berg, auf dem Jesus den vertrautesten Jüngern in überirdischem Glanz verklärt erscheint.

Der Gesetzesberg erweist sich als der Höhenzug des Evangeliums. Das Wort von Herders philosophischem Landsmann Immanuel Kant vom „bestirnten Himmel über mir und dem moralischen Gesetz in mir“ mag anklingen. Der des Todes Nacht durchdrungen hat, der als der Auferstandene Erkannte ist Hilf und Hort; zu ihm darf gerufen werden in begründeter Hoffnung und mit Anklang an die Emmausjünger: Bleib bei uns, Herr, verlass uns nicht.

Im Gesangbuch ist das Lied der Melodie „Steht auf, ihr lieben Kinderlein“ des Lutherschülers Nikolaus Herman zugeordnet. Herder und die thüringischen Gemeinden aber haben eher die Melodie zum 134. Psalm aus Genf im Sinn gehabt. So kommt helvetische Weltläufigkeit in das Lied. Der Genfer Psalter, dichterisch-musikalisches Wunderwerk aus der reformierten französischsprachigen Schweiz, hat durch die Nachdichtungen des Ambrosius Lobwasser, eines lutherischen Juristen aus Königsberg, seit Ende des 16. Jahrhunderts auch den deutschsprachigen Raum für sich gewonnen, über die damals sehr strengen Konfessionsgrenzen zwischen Reformierten und Lutheranern hinweg. Sogar die zunächst so musikabweisende reformierte Zürcher Kirche führte im Jahre 1598 die Genfer Psalmlieder in der Lobwasserfassung ein, nachdem man dort mehr als siebzig Jahre lang überhaupt nicht mehr im Gottesdienst gesungen hatte.

Beim Singen aller sechs vollendeten Strophen der Herderschen Urfassung mit der Melodie auf eine Nachdichtung aus dem Geiste der „Ebräischen Poesie“ sind Osten und Westen, Norden und Süden sehr eigentümlich beisammen. Die Weisen aus dem Morgenland haben in ihrer Neugier und ihrem Forscherdrang jenes Licht im Blick gehabt, dessen Zeiten Lauf die Geschichte unseres christlichen Abendlandes gewirkt hat. Und was an Nord- und Ostsee an Gedankenweite sich mit genauem Takt und Klang der französischen und schweizerischen Denkungsart verbindet, hat – wenigstens im Raum evangelischer Kirche und Kultur – dem Leben vor Ort immer zum Besten gedient.

Denn jene Spielart der Aufklärung, die ganz bewusst bei ihren christlichen Wurzeln geblieben ist, entwickelt immer wieder neuen Sinn für den Nächsten: nimmt ihn an in seinen Besonderheiten und in seinem Anderssein – interessiert sich für seine Herkunft, Prägung und Lebensgeschichte – übt wache, nicht etwa gleichgültige Toleranz – und weiß dabei über die eigene kulturelle und konfessionelle Bindung Bescheid.

Aus dem Licht vom Licht starken Bekenntnisses, im Angesicht des Krippenkindes, kann die Fähigkeit erwachsen, Gemeinschaft über alle Fremdheit zu pflegen, miteinander zu lachen und zu weinen, gemeinsam zu feiern und zu trauern. Der Glanz von Weihnachten kommt vom Friedenslicht aus Bethlehem, vom Stern aus dem Stall. Der bestirnte Himmel außen und innen gibt uns seine Weisung ins Herz.

Da wächst die Bereitschaft, sich leiten zu lassen von dem einen Ziel, dem Berg oder Stern Jesus Christus. Dabei wird niemandem der Griff nach den Sternen abverlangt – vielmehr das Vertrauen in den, der die Menschen, ja die Menschheit in Geschichte und Gegenwart kennt und annimmt. Der wahre helle Morgenstern begrüßt, umfängt und begleitet uns, ehe wir’s gedacht! Dieser Glaube lässt hellwach bleiben und bestirnt wandern in die Zeit.

Herders Urfassung (Melodie: EG 300)

(Christus)

1 Du aller Sterne Schöpfer, Licht, / das aus des Himmels Tiefe bricht, / und gehst der Ewigkeiten Lauf / in ewig neuer Klarheit auf.

2 Dir danken wir, dir beten wir, / und opfern hohe Hoffnung dir; / denn du durchbrachst der Erde Nacht / mit deines Glanzes stiller Macht.

3 Besuchtest uns in unserm Tal / mit deiner Gott-Erkenntnis Strahl, / aus welchem ewig Leben fleußt, / und sich in stille Seelen geußt.

4 Und wird in ihnen Gottes Bild / mit Weisheit, Lieb und Kraft erfüllt / und leitet sie durchs Todestal / zu jeder Sonne neuem Strahl.

5 Bleib bei uns Herr, verlaß uns nicht, / führ´ aus der Dämmrung uns zum Licht, / der du am Abende der Welt / dich treulich bei uns eingestellt.

6 Sei uns Mitwanderer im Tal / der Hoffnung zu des Berges Strahl, / der dort in Wolken vor uns ruht, / und auf ihm harret ewig Gut.

[7 Was keine Augen je gesehn, / harrt unser …]

 

Foto: Licht aus der Krippe.

Literaturhinweis: Liedkommentar von Eberhard Schmidt, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch Heft 3, Göttingen 2001, Seiten 36 bis 39; darin Herders ursprünglicher Text in modernisierter Rechtschreibung Seite 37 (Reihe: Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch Band 3, Ausgabe in Einzelheften, Göttingen 2000 ff).

 

 

Nun ist das Jahrtausend richtig erwachsen

Zwischen Werden und Sein liegt ein gradueller Unterschied der Zeit. Bisher wuchs dieses laufende Jahrtausend immer noch ein bisschen heran: Es war nicht schon, sondern wurde erst erwachsen. Darauf wies ich mit einer Überschrift hier und heute vor einem Jahr freundlich hin.

Jetzt aber ist es geschafft: Ausgereift lassen wir das jugendliche Gewächs – mit besten Ratschlägen aus Geschichte und Gegenwart versorgt, umhegt, ermahnt – nunmehr selbstbestimmt jene Historie nach Christi Geburt fortführen, die gemäß der entsprechenden abendländischen Zeitrechnung nicht abstrakt mit einem Jahr Null, sondern konkret mit dem Jahr Eins ins Leben trat. Aus dieser Einsicht ergibt sich alles weitere.

Nun ist das Jahrtausend richtig erwachsen

Hoffen wir also ausschließlich Großartiges für dieses nun flügge gewordene Wesen, das als eine Art Langzeitprojekt vor achtzehn Jahren ungefragt einfach weltweit lückenlos flächendeckend zu uns kam, ab dann eben nun mal da war und sich allerdings nur überaus schwer bändigen ließ. Immerhin hat es aber mittlerweile durchaus von solch hehren Begriffen wie Glaube und Vernunft wenigstens von ferne gehört. Es ist somit aus dem Gröbsten raus. Umfragen, die ich leider nicht persönlich gefälscht habe, scheinen diesen Befund alternativlos zu bestätigen.

Und nun steht die Berufswahl an. Ausbildung oder Studium? Wir gehen davon aus, dass diese Frage in höchstem Maße verantwortungsbewusst angegangen wird. Sogar für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass wider Erwarten und gegen jedes ehrliche ausdrückliche Ansinnen schön geschwungener Festreden, wie sie ältere Generationen unter den Teenagern so famos zu elaborieren verstehen – … dass also auch Anno Domini MMXIX einige wenige Menschen nicht immer nur friedlich, gütig oder barmherzig agieren sollten, gibt es ja noch die Vertröstung auf den Zeitpunkt vom heutigen Tag aus gesehen in genau drei Jahren: Dann nämlich kann, so Gott will und wir leben, unser Millennium noch eine Schippe drauflegen und auch seine Volljährigkeit kräftig feiern!

Ergeben sich nicht aus einer solchen prophylaktisch angedachten Fristverlängerung die vielversprechendsten Aussichten? Bleiben wir als Idealisten mithin ruhig und vor allem: realistisch. Wie sagt der bodenständige Optimist so treffend: „Wird schon werden“. Na also. In diesem Sinne: Denn man tau!