Krummes Holz – aufrechter Glanz

Dunklen Schlünden zum Trotz glänzt der Frühling auf. Im vertrauten Kreislauf der Jahreszeiten wäre dieser Umstand keineswegs sonderlich erwähnenswert, gäbe es da nicht diese wahnwitzigen Anzeichen von Ermattung, noch bevor sich die Lebensfreude voll und ganz überhaupt zurückgemeldet hätte.

Wir leben in einer Zeit, deren „Entscheider“ uns sogar an der frischen Luft Schurze im Gesicht zu tragen vorschreiben wollen, made in China selbstredend. Wer das übertrieben findet, muss sich wappnen gegen Anwürfe und Verdächtigungen, den Corona-Tod von Millionen billigend in Kauf zu nehmen. Noch das versöhnlichste Lächeln wird von ängstlichen Eiferern missverstanden: Du sollst dich nicht lustigmachen über jene, die bis ins dritte und vierte Glied Kontaktnachverfolgungen betreiben! Dieses Elfte Gebot ist nunmehro das einzig Wahre, Gute, Schöne …

Nun, wir wollen nicht spotten. Und schon gar nicht unsererseits bitter respektive unerbittlich werden. Aber den gesunden Hausverstand lassen wir uns deswegen auch nicht nehmen. Ausgangssperren, die den Genuss lauschiger Abendstunden verhindern? Betretungsverbote, die Uferpromenaden und Parkanlagen unerreichbar machen und im Falle von Nichtbefolgung völlig unverhältnismäßige Polizeieinsätze nach sich ziehen? Hat man in den solchen Unfug verzapfenden Politikerkreisen noch nie etwas von der abhärtenden Wirkung natürlicher frischer Luft gehört? Also davon, dass der Aufenthalt draußen das Immunsystem stärkt und unter freiem Himmel so gut wie keine Ansteckungsgefahr besteht?

Schade, dass das Selbstverständliche nicht mehr unmittelbar einleuchtet. Traurig, wie uns die eigene bürgerliche Mündigkeit durch solche Maßnahmen abgesprochen wird. Die Kantische Würde, die den Menschen zugleich als „krummes Holz“ und auch als verantwortliches Wesen im Blick behält und ihm, mit Ernst Bloch gedacht, einen hoffnungsvollen „aufrechten Gang“ zuerkennt: wo spielt sie im aktuellen Diskurs eine nennenswerte Rolle?

„Krummes Holz – aufrechter Gang“ war der Titel eines Buches des evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer, erschienen 1970. Das ist jetzt über ein halbes Jahrhundert her. Man wird seine 68er-Attitude als überholt ansehen müssen; aber das Thema selbst, so griffig formuliert, lädt zu neuem Durchdenken geradezu ein! Ohne moralische Besserwisserei, frei von den selbstverschuldeten Zwängen politisch korrekter Ausdrucksweise, unabhängig von aller kleinlichen Schwarzmalerei. Dann kann unser Geist der finsteren Enge fröhlich entweichen und in neuem selbstbewussten Glanz erstrahlen.