August-Nachlese

Jahrein jahraus schrieb ich im achten Monat zu dessen sechstem Tag jeweils einen Beitrag über das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Anno Domini 1806. Ein Bild von der Michaeliskirche zu Hildesheim durfte dabei nicht fehlen, lenkte doch der Blick auf die Auflösung eines 844 Jahre währenden Staatswesens in dessen Anfangsgründe tief hinein. So landete ich gern beim 2. Februar 962, dem Datum der Salbung und Krönung von Kaiser Otto I. in der Peterskirche zu Rom.

Mir will solch ein Text zur Zeit nicht gelingen. Es ist, als ob jegliches Geschichtsbewusstsein sich verflüchtigt. Wen interessieren im Zeitalter von aufgeregter Diesseitigkeit noch tote alte weiße Männer wie die Regenten aus der Familie der Ottonen oder deren kirchliche Mitstreiter wie etwa Bischof Bernward, dessen tausendsten Todestag=Geburtstag für die Ewigkeit wir im November vergangenen Jahres feierlich begehen konnten?

„Kaiser“ und „Kirche“ sind zu Reizwörtern verkommen. Bei dem einen denken nur noch die wenigsten Leute über Wilhelm Zwo hinaus, beim anderen verengt sich die Sicht auf Missbrauch verschiedenster Art. Große und wirkmächtige Ideen, das antike Römische Reich der Caesaren und Augusti mit der Hoffnung auf das Himmlische Jerusalem schöpferisch in der nach besagtem Juristen und Theologen (sowohl in kaiserlichen und kirchlichen Diensten tätig) benannten „Bernwardinischen Kunst“ zu vereinen, werden derzeit kaum noch verstanden geschweige denn gewürdigt oder gar für unsere kleingeistigen Zeiten irgendwie fruchtbar zu machen versucht. Das würde nämlich womöglich den einseitig funktionalen Ablauf des von technischen Medien sämtlicher Couleur beherrschten Alltags von heute nur unzeitgemäß stören.

Vielleicht ist aber doch noch nicht aller Tage Abend. Als Fünfzehnjähriger fertigte ich eine kleine kolorierte Bleistiftzeichnung von der Hildesheimer Gottesburg des Bischofs Bernward an. Ich habe sie immer noch (siehe Abbildung weiter oben) und schaue sie sogar gelegentlich an. Ein bedenklicher Fall von kultureller Aneignung zwecks aggressiver Missionierung? Überhöhung des falschen Begriffs vom „christlichen Abendland“? Verherrlichung autoritärer Gesinnung? Ausgrenzung anderer Religionen? Rassismus, frauenfeindlich konnotiert? Oder ist dieser Vorgang als noch weit schlimmer einzustufen? Fragen über Fragen, die Anfang der 1980er Jahre gottlob noch keinen gebildeten Menschen in Wallung brachten …